Italien: Wut und spontane Streiks wegen des Coronavirus

12.03.2020, Lesezeit 6 Min.
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Eine Welle der Unzufriedenheit unter den Arbeiter*innen und spontane Streiks überrollen Italien: Sie lehnen die Notfallmaßnahmen der Regierung und die Entscheidung ab, die Fabriken offen zu halten, während die Geschäfte geschlossen bleiben.

Die Entscheidung, Geschäfte und Läden in Italien zu schließen, aber Fabriken und Produktionsaktivitäten offen zu lassen, hat starke Auswirkungen auf die italienischen Fabriken. Von Brescia bis Mantua und in den Provinzen Asti, Vercelli und Cuneo in Norditalien – dem am stärksten industrialisierten Gebiet – wird von spontanen Streiks mit sehr hoher Beteiligung berichtet. Die Gewerkschaften sind in Alarmbereitschaft, um das Niveau der Gesundheitssicherheit der Belegschaft zu gewährleisten.

Die mächtige Gewerkschaft Fiom (Föderation der Metallarbeiter*innen) hat auf die neue Notverordnung gegen das Coronavirus heftig reagiert. In einer Erklärung hat sie die Notwendigkeit des Schutzes sowohl der Arbeit als auch der Gesundheit der Arbeiter*innen angesprochen. Die Generalsekretärin der Fiom, Francesca Re David, hat als „inakzeptabel“ definiert, dass „im neuen Dekret des Präsidenten des Ministerrats Maßnahmen und Initiativen zum Schutz von Arbeiter*innen, die die wirtschaftliche Lebensfähigkeit des Landes in einer ernsten Notlage gewährleisten, fehlen“, und fordert „die Regierung auf, dringend eine Sitzung einzuberufen, um die Notsituation der Metallarbeiter*innen zu behandeln“.

Das Fiom fordert „die sofortige Mobilisierung für Initiativen, die darauf abzielen, zu überprüfen, dass die Unternehmen die Gesundheits- und Sicherheitsbedingungen der Arbeiter*innen auch durch Stilllegungen für eine programmierte Reduzierung der Produktion garantieren“.

Proteste und Streiks für die Sicherheit vervielfachen sich

Im ganzen Land gibt es Ausbrüche von Wut und Unzufriedenheit von Arrbeiter*innen, die sich über die mangelnde Aufmerksamkeit der Arbeitgeber beklagen und spontan in den Streik treten.

In der AST-Fabrik in Terni wurde am Donnerstagmorgen um 6 Uhr morgens für jede Arbeitsschicht bis einschließlich 13. März ein achtstündiger Streik ausgerufen. Bei der Firma Fincantieri in Marghera haben die Gewerkschaften den Beginn des Protests über den Sicherheitsnotstand bestätigt. „Es ist unmöglich, die Regeln zu respektieren – zum Beispiel kann man mit drei Leiharbeiter*innen diese Arbeit nicht in einem Abstand von einem Meter voneinander durchführen, es wäre besser, alles abzuschalten. Dieses Virus ist eine Katastrophe, und wir fühlen uns nicht geschützt.“

„Wir sind kein Schlachthof-Fleisch“

Die Gegend um Brescia wurde auch von einer Welle spontaner Streiks in einigen Fabriken getroffen, die die Produktion nicht eingestellt haben. „Wir sind kein Schlachthof-Fleisch“, sagten die Beschäftigten einiger Unternehmen in der Provinz, die die Einstellung der Tätigkeit für 15 Tage fordern. „Wir diskutieren mit den Unternehmen, wie wir mit dieser Situation umgehen können. Wir registrieren Streiks in vier oder fünf Sektoren“, sagte der Sekretär der Gewerkschaft Cgil von Brescias, Francesco Bertoli.

Ein anderer Fall ist der der Arbeiter*innen von Corneliani in Mantua, der Fabrik der historischen Männermode-Marke, die beschlossen haben, „zum Schutz ihrer Gesundheit“ zu streiken. Es handelt sich um 450 Arbeiter*innen, die heute Morgen spontan die Arme verschränkt haben, „um zu fordern, dass es keine Bürger*innen zweiter Klasse gibt: Gesundheit ist eine Sache, und sie gehört allen“.

Die USB (Unione Sindacale di Base) hat einen 32-stündigen Streik in nicht wesentlichen Industriesektoren proklamiert und „drastische Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit und der Löhne der Beschäftigten“ gefordert.

Auch aus Tarnato ist eine Beschwerde eingegangen, in der die Gewerkschaft Fim Cisl das Verhalten des Unternehmens Leonardo in Grottaglie und den mangelnden Schutz der Arbeiter*innen anprangert.

„Gegen die Bosse und das Coronavirus: Unsere Gesundheit kommt vor ihrem Profit“

Die Delegierten der Gewerkschaft USB prangern an, dass die meisten Arbeiter*innen keine Schutzmasken haben und dass auch die Handschuhe nicht ausreichend sind. „Wir bekommen nur ein Paar pro Tag“, sagen die Arbeiter*innen. Und das Alkohol-Gel wurde eine Zeit lang nicht gesehen. Die Beschäftigten des Logistikunternehmens Bartolini in Caorso, Provinz Piacenza, prangern Arbeitsbedingungen an, die bei weitem nicht die Sicherheit aller Mitarbeiter*innen gewährleisten. Deshalb streiken sie und fordern, dass sie unter anderen Bedingungen arbeiten können, mit „Sicherheit“ für ihre Gesundheit.

Deshalb haben die Arbeiter*innen sich mit der Parole „gegen die Bosse und das Coronavirus“ mobilisiert, und zwar mit der Parole „Gesundheit vor Leistung“. „Das Lager wird nicht desinfiziert, die Werkzeuge werden nicht desinfiziert“, sagt der Sicherheitsdelegierte von Usb Logistics in einer Videoübertragung auf seiner Facebook-Seite.

Die Delegierten prangern an, dass die Logistiker*innen seit Wochen in ganz Italien Waren und Pakete ausliefern, sogar an Menschen in Quarantäne, die theoretisch nicht einmal ihre Türen öffnen sollten, wodurch sie sich dem Risiko einer Coronavirus-Infektion aussetzen, und zwar unter der völligen Gleichgültigkeit der politischen, administrativen und Gesundheitsbehörden.

Proteste auch bei IKEA und im Hafen von Genua

Vor einigen Tagen wurde der Protest von den IKEA Anagnina-Mitarbeiter*innen in Rom angeführt. Sie stellten ihre Arbeit ein und behaupteten, dass sie dies nicht sicher tun könnten, da die erforderlichen Abstände zwischen den Menschen nicht garantiert seien. Das Unternehmen sagte, dass es die Empfehlungen der europäischen Behörden befolge.

Auch die Beschäftigten des PSA-Terminals Genova Pra‘ streikten am 11. März mit der Begründung, dass Maßnahmen wie die Desinfektion von Arbeitsgeräten wie Kränen und anderen Maschinen nicht ergriffen worden seien.

Die Kapitalist*innen sollen für die Krise zahlen

Angesichts einer durch das Coronavirus ausgelösten Krise von großem Ausmaß in Italien, die die gesamte Bevölkerung betrifft, die fast vollständig „unter Quarantäne“ steht, sind Millionen von Arbeiter*innen in Italien ungesunden Arbeitsbedingungen ausgesetzt, ohne elementare Gesundheitsgarantien, und das alles nur, weil sie den Profiten der kapitalistischen Bosse den Vorrang geben.

Betriebliche Proteste, Streiks und Selbstorganisation sind eine notwendige Reaktion, um der Arroganz der Bosse entgegenzutreten und die Diskussion über die zur Bewältigung dieser Krise notwendigen Maßnahmen zu beginnen, indem unter anderem ein größeres Budget für das öffentliche Gesundheitssystem bereitgestellt wird, Labors, Privatkliniken und Pharmaunternehmen enteignet werden, um der Bevölkerung alle notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen, und Urlaub ohne Lohnkürzungen für alle von Ansteckungsgefahr bedrohten Arbeiter*innen eingeführt wird, wobei das Verbot von Entlassungen während dieser Zeit garantiert wird. Denn, wie die Arbeiter*innen selbst sagen, unser Leben kommt vor ihren Profiten.

Dieser Artikel erschien zuerst bei La Izquierda Diario.

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