Ist die documenta14 politisch?

28.07.2017, Lesezeit 6 Min.
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In Kassel und Athen findet gerade eine der weltweit bedeutendsten Reihen von Kunstausstellungen statt. Es werden allein in Kassel mit über einer Million Übernachtungen gerechnet. Bürgerliche Kritiker*innen haben vieles an der documenta14 auszusetzen. Wie halten es Revolutionär*innen eigentlich mit der Kunst?

In der bürgerlichen Presse wird die documenta14 von allen Seiten angegriffen. Eine linksliberale Seite kritisiert die Selbstgerechtigkeit der Ausstellungsreihe und auch den offenen politischen Anspruch. So bezeichnet die ZEIT den „Traum von einer ganz unhierarchischen Seinsweise“ als einen „Albtraum für die Kunst“. Sie greift die Idee der Aussteller*innen an, eine freiere und politische Kunstausstellung durchzuführen. Auf der anderen Seite stehen konservative Kritiker*innen, die unzufrieden damit sind, dass die Kunst da ist, um politisch zu sein und nicht, um verkauft zu werden. Sie kritisieren also, dass die Kunst versucht, sich davon zu entziehen, ein Markt zu sein.

Über das Politische der Kunst

Doch was braucht es eigentlich für eine Kritik an der documenta14? Neben der mehr oder weniger offen reaktionären Kritik der Bürgerlichen kritisieren auch viele, dass die documenta14 abgehoben erscheint. Um einen Ansatz auf eine Antwort zu liefern, ohne in subjektivistische Sichtweisen abzurutschen, braucht es eine Analyse der Kunst an sich.

Zunächst müssen wir uns bewusst machen, in welcher historischen Phase wir uns gerade befinden. 2007 kam es zu einer großen Finanzkrise, die man als Beginn einer historischen Krisenphase des Kapitalismus werten muss. Die allermeisten Jugendlichen haben nicht mehr die soziale Sicherheit wie ihre Eltern.

Kunst darf man keinesfalls als „frei“ von den gesellschaftlichen Widersprüchen sehen. Schon Leo Trotzki schrieb, die Kunst „leidet ganz besonders unter dem Niedergang und Zerfall der bürgerlichen Gesellschaft“. Damit hat er auch sicher recht gehabt. Plump gesagt: Je mehr Geld für die Rettung der Wirtschaft ausgegeben wird, desto weniger bleibt für Kunst übrig.

Dass die documenta14 einen deutlich politischeren Anspruch erhebt als viele anderen Ausstellungsreihen, die offen „unpolitisch“ sein wollen, hat sehr wahrscheinlich viel mit der wachsenden Konfrontation der Künstler*innen mit den Widersprüchen des Kapitalismus zu tun, aber auch mit den täglichen Erfahrungen von Künstler*innen. So hat eine Künstlerin eine Art riesigen Vorhang aus Rentierschädeln ausgestellt, die von Tieren stammen, welche die norwegische Regierung in ihrer Heimat erschießen ließ, um Brachland für den Rohstoffabbau zu schaffen. Sie kritisiert in ihrer Kunst also offen die bürgerliche Realität.

Aber auch andere kleinere Projekte wie eine Reihe von Blumentrögen und Bänken vor den hässlichen neuen Gebäuden der Universität Kassel, die kläglich daran scheitern, modern sein zu wollen ohne auch nur den geringsten Abstrich in der Prahlerei mit Größe und Macht zu machen, sind ein kleiner Angriff auf den Normalzustand.

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Trotz ihres kleinbürgerlichen Kerns heben sich solche Werke im Mainstream durch ihren politischen Anspruch deutlich ab. Deshalb ist es auch nicht ganz abwegig zu sagen, dass die documenta14 ein Ausdruck davon ist, dass die Kunst ein Stück weit nach Freiheit strebt. Doch das bedeutet keinesfalls, dass Linke ihr unkritisch gegenüberstehen müssen.

Freiheit und Kunst

Unzählige Liberale geben vor, die Freiheit der Kunst zu verteidigen. Doch sie irren. Jene, die sich die Kunstfreiheit auf die Fahnen geschrieben haben und sie deshalb „frei“ von Politik machen wollen – im Glauben, Kunst könnte man frei von den materiellen Umständen produzieren –, stehen der Befreiung der Kunst entgegen, weil sie die Befreiung der Menschheit nicht unterstützen. Mehr noch: Sie reproduzieren nur das Bewusstsein der bürgerlichen Klasse, dass beispielsweise Luxus nur etwas für die „Schönen und Reichen“ ist, indem sie ihre Kunst nur in sehr begrenzten Auflagen veröffentlichen, nur in sehr teuren Museen zugänglich machen oder lächerlich hohe Preise verlangen. Sie manifestieren in ihrer vermeintlichen Freiheit und Individualität die Unterdrückung des Kapitalismus, was ihre Kunst ironischerweise sehr politisch macht.

Die Kunst kann sich zwar nicht selbst befreien, aber sie kann sehr wohl einen Teil dazu beitragen, dem Proletariat seine Klassenlage bewusstmachen. Trotzdem können wir als Marxist*innen nicht viel über die Form von Kunst sagen, die dieses Ziel hat. Die endgültige Form der Kunst ist letztendlich die Sache der Künstler*innen selbst. Es macht keinen Sinn, einen bestimmten Stil vorzuschreiben, da man so nur die Möglichkeit der Künstler*innen einschränkt, den Kapitalismus als das darzustellen, was er ist. Wir können die Kunst nur anschließend danach bewerten, ob sie es schafft, wahrhaftig nach Freiheit zu streben oder in die Muster der alten Gesellschaft zurückfällt.

Kunst und Revolution

Trotzdem gibt es ein paar Dinge, die Kunst und Kultur erfüllen sollte, um einen revolutionären Charakter anzunehmen. Antonio Gramsci, ein italienischer Kommunist, hat über Intellektuelle folgendes geschrieben: „Alle Menschen sind Intellektuelle, […] aber nicht alle Menschen haben in der Gesellschaft die Funktion von Intellektuellen.“ Diese Ansicht kann man Intellektuellen auch auf Künstler*innen beziehen.

Ziel sollte es nicht sein, eine kleine, gut ausgebildete Gruppe Kultur- und Kunstschaffender zu haben, sondern allen Menschen die Möglichkeit geben, kreativ zu sein und sich zu entfalten. Ziel sollte es vordringlich sein, die unteren sozialen Schichten der Künstler*innen für den Kampf für eine klassenfreie Gesellschaft zu gewinnen, sowie Arbeiter*innen und Jugendlichen zu ermutigen, sich künstlerisch zu entfalten. So ist Kunst nicht nur weniger abgehoben, weil viel mehr Menschen Zugang zu ihr haben, sie wäre dann auch ihren Anspruch nach Freiheit näher gekommen.

Natürlich ist dieses beschriebene Bild von Kunst eher ein Ideal, dass sicher nicht im Kapitalismus erreicht wird. Es wäre illusorisch zu glauben, dass man auch den letzten Kunstsnob vom Kommunismus überzeugen kann. Trotzdem ist es wichtig, darauf hinzuarbeiten, um seine eigene Bewegung vor allem im Bereich der Kultur zu stärken und sie somit geschlossener und bewusster zu machen.

Die documenta14 erfüllt das sicher noch lange nicht. Sie verliert sich oft in einer kleinbürgerlichen Kritik. Zwar schaffen es nur vereinzelt Projekte, ein Stück weiter weg von abgehobener Kunst zu einem alltäglichen Teil zu werden, aber die documenta als Ganzes sollte man schon als Schritt in die richtige Richtung betrachten. Sie bringt Widersprüche offener zu Tage als der Kunstmainstream. Nicht mehr und nicht weniger.

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