Ist das Existenzrecht Israels unverhandelbar?

22.01.2023, Lesezeit 5 Min.
Gastbeitrag

Ein Solid Bürokrat will in Rheinland-Pfalz "den Zionismus aufbauen". Dies bedeutet, sich hinter einen Apartheidsstaat zu stellen und vor echter und internationalistischer Antisemitismusbekämpfung zu kapitulieren.

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Loredana Sangiuliano // shutterstock

Nicht mal eine Woche nach dem RevBruch-Kongress liefert uns ein werdender Solid-Karrierist wieder einen Grund, warum der Bruch mit Solid und der Linke schlussendlich die richtige Konsequenz war und ist.

Miguel „Miggi“ Carrillo wirft seinen Hut in den Ring für die Wahl zum Landessprecher*innenrat der Solid-Rheinland-Pfalz am 23.01.2023. Dabei sein Kernthema: „Zionismus im Landesverband aufbauen“. Sein praktischer Vorschlag dafür ist es, einen lokalen Ableger des solid-intern überaus umstrittenen zionistischen BAK Shalom in Rheinland-Pfalz zu etablieren: „Israel ist der Staat der Jüdinnen und Juden und deren (noch) einziger wirklicher Schutzraum in der Welt. Darum ist dessen Existenzrecht unverhandelbar. Zu dessen Unterstützung möchte ich einen LAK Schalom in Rheinland-Pfalz einrichten lassen.“

Ist das Existenzrecht Israels unverhandelbar?

„Das jüdische Volk hat ein exklusives und unbestreitbares Recht auf alle Teile des Landes“ (eigene Hervorhebung) so lautet der erste Absatz des Koalitionsvertrags der neuen Regierung unter Israels ewigen konservativen Präsidenten Benjamin Netanyahu und dem zum neuen Sicherheitsminister erkorenen verurteilten Rechtsterroristen Itamar Ben-Gvir. Und die ersten Tage des neuen Jahres waren ambitioniert. Stand 19. Januar wurden bereits 17 Palästinenser*innen (darunter vier Kinder) in der West Bank getötet. Die palästinensische Flagge wurde landesweit verboten und der maßgeblich vom israelischen Staat abhängigen Palästinensische Autonomiebehörde hat man Steuereinnahmen in Höhe von 176 Millionen Dollar gestrichen. Die „kritischen“ Israel-Anhänger*innen zeigen sich bestürzt, so ist die zu teilen rechtsextreme Regierung doch auch nicht mit ihren Werten vereinbar, aber gibt natürlich keinen Rückschluss auf das Staatssystem und demzufolge darf das Existenzrecht Israels nicht in Frage gestellt werden.

Aber ist das denn so? Auch die Vorgängerregierung unter dem liberalen Yair Lapid war nicht dafür bekannt, besonders genügsam gegenüber der palästinensischen Bevölkerung in ihrer Einflusssphäre zu sein. So gingen in ihrer Regierungszeit nicht weniger als 100 tote Palästinenser*innen der Westbank auf ihr Konto und in der „Operation Breaking Dawn“, einem sogenannten Präventivschlag, tötete sie bis zu 49 Einwohner*innen Gazas (darunter 17 Kinder). Die Regierungen Israels stehen seit Anbeginn der Besatzung palästinensischer Gebiete in der Kritik, dort ein besonders repressives Militärregime für alle nicht-israelischen Staatsbürger*innen eingerichtet zu haben. Viele internationale und israelischen Menschenrechtsorganisationen gehen sogar so weit und sprechen von Apartheid. Darunter Amnesty International, Human Rights Watch, Yesh Din und B’Tselem.

Das Existenzrecht Israels sollte daher nicht nur diskutiert werden „dürfen“, es muss konsequent in seiner jetzigen Form abgelehnt werden. Das bedeutet, dass der jetzige Staat durch eine sozialistische Revolution überwunden werden muss, und an seine Stelle ein Gemscheinschaftswesen  tritt in dem Jüdinnen*Juden und Palästinenser*innen gleiche Rechte  genießen.

Der einzige Schutzraum der Jüdinnen*Juden?

In den antideutschen und bürgerlich-zionistischen Kreisen wird immer damit argumentiert, dass nur Israel einen Schutzraum für Jüdinnen*Juden darstellen kann. Weswegen allein Zweifel daran bereits als Antisemitismus und Aberkennung des jüdischen Selbstbestimmungsrechts abgetan wird. Der Gedanke, jüdische Menschen in allen Ländern und Regionen der Welt, in denen sie beheimatet sind, zu emanzipieren, stellt sich ihnen gar nicht. Insbesondere die antideutsche Bewegung in Deutschland geht davon aus, dass “den Deutschen” nach dem Holocaust nie wieder zu trauen ist. Die materialistische Erkenntnis, dass das Bewusstsein der Menschen, und demzufolge auch das “der Deutschen”, vor allem durch ihre äußeren Umstände determiniert ist, wird gänzlich geleugnet oder zumindest nicht als Praxis umgewandelt, abseits des Verweises auf  Israel als angeblicher Schutzraum. Anstatt gegen die Klassengesellschaft zu kämpfen, deren Produkt auch die Unterdrückung von Jüdinnen*Juden ist, denken sie ausschließlich in bürgerlichen Zwangskollektiven wie “den Deutschen”. Sie verkaufen es als Befreiung, dass sich Jüdinnen*Juden in einem Nationalstaat absondern sollen, der auch noch auf Siedlerkolonialismus und Apartheid fußt.  In Miguel Carrillos Erklärung ist kein Wort davon zu lesen und sein Hauptaugenmerk liegt nur darin, Israel selbst zu einem besseren Standing innerhalb der (linken) Gesellschaft zu verhelfen.

Damit stehen er und die Antideutschen gar nicht mehr so weit entfernt von den pro-zionistischen und antisemitischen Eliten des 19. und 20. Jahrhunderts. Sie sahen damals in den europäischen Juden*Jüdinnen ein Volk welches unmöglich in die europäische Gesellschaft zu integrieren ist und nahmen den aufkeimenden Gedanken eines Siedlungsprojekts in Palästina dankbar an und erhofften sich davon eine große jüdische Migrationsbewegung raus aus Europa.

Die antideutsche Ideologie ist eine Kapitulation vor echter und internationalistischer Antisemitismusbekämpfung.

Blick in die Zukunft

Auch wenn sich Miguel in seinem weitestgehend antiimperialistisch geprägten Landesverband voraussichtlich nicht durchsetzen wird, so ist er symptomatisch für die sich zuspitzende Lage innerhalb der deutschen Linken und der deutschen Öffentlichkeit im Israel-Diskurs.

Der Abschlussbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Thematik „Handlungsbedarf aufgrund zunehmender antisemitischer und antiisraelischer Hetze vor dem Hintergrund des Nahostkonflikts“ empfiehlt zum Beispiel die Infragestellung des Existenzrechts Israels in Form von Landkarten unter Strafe zu stellen. Die Innenministerkonferenz segnete dies ab und bat die Justiz um Umsetzung.

Für die radikale Linke heißt es, aufmerksam zu beobachten und geeignete politische Praxis zu entwickeln.

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