„Wir kritisieren das Vorgehen der Polizei scharf“ – Interview mit einem Demosanitäter über den Kessel in Leipzig

09.06.2023, Lesezeit 3 Min.
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Foto: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/d/dc/Blockupy_2013_Deutsche_Bank7.jpg

Dieses Wochenende wurden in Leipzig die Proteste gegen das Urteil im sogenannten „Antifa-Ost-Verfahren“ kriminalisiert und angegriffen. Etwa tausend Menschen verbrachten über elf Stunden lang unter menschenunwürdigen Bedingungen im Polizeikessel. Wir führten ein Interview mit Knut aus dem bundesweiten Demosanitäter:innen-Kollektiv, der in Leipzig vor Ort war.

Was sind eure Aufgaben als Demosanitäter:innen?

Wir sehen es als unsere Aufgabe, für linkspolitische Proteste auf solidarischer Ebene  Versorgung zu leisten. Wir sind kein Teil der Blaulichtfamilie, sondern helfen z.B. bei Verletzungen auf Demos und Aktionscamps. Wir kümmern uns vor allem um die Erstversorgung und sehen uns nicht als Ersatz für professionelle Rettungskräfte. Auch sind wir bei psychischen Ausnahmesituationen ansprechbar. Wir leisten allerdings auch Versorgung in unsicheren Zonen, in denen die Polizei Maßnahmen durchsetzt, die der herkömmliche Rettungsdienst nicht ohne weiteres betritt.

Mit welcher Motivation seid ihr zum Protest nach Leipzig gefahren?

Wir sind zusammen mit anderen Demosanitäter:innen und Demoärzt:innen angereist, mit dem Ziel, den Aktivist:innen sowohl Sicherheit als auch medizinische Versorgung unter diesen widrigen Bedingungen aufrechterhalten zu können. Wir haben einiges erwartet, aber nicht das, was eingetreten ist.

Wie hast du den Kessel in Leipzig erlebt?

Vor allem eines ist mir im Kopf hängen geblieben: die Bilder von traumatisierten Aktivist:innen. Als ich im späteren Verlauf die ersten drei Reihen im Kessel von außen gesehen habe, waren es leere Gesichter, die komplett emotionslos schauten und unter Schockstarren litten. Die einzigen Momente, in denen es Dynamik gab, waren die, als die Polizei den Kessel gewaltsam betrat oder Aktivist:innen alle fünf bis zehn Minuten Parolen anstimmten.

Wie seid ihr mit der Situation umgegangen?

Wir sind immer wieder in den Kessel rein, um dabei vor allem logistische Aufgaben  zu übernehmen, indem wir den Aktivist:innen Essen und Trinken brachten. Das durften wir jedoch erst nach einer Weile. Dabei ist es eigentlich Aufgabe der Polizei, für die Sicherstellung von Grundbedürfnissen zu sorgen, gerade bei einer Kesselung von über elf Stunden.

Die Aufgabe der Patient:innenenversorgung haben wir natürlich in erster Linie übernommen. Teilweise wurden wir bei der Arbeit behindert und vereinzelt nicht in den Kessel gelassen. Gegen einige Sanitäter:innen gab es Androhungen zur Strafverfolgung.

Wie bewertet ihr das Verhalten der Polizei?

Wir kritisieren das Vorgehen der Polizei scharf, denn die gesamte Situation war prekär. Dieser Einsatz war nicht mit der Menschenwürde vereinbar. Die UN-Menschenrechtskonvention gilt für alle. Auch ist es moralisch verwerflich, wie mit uns Demosanitäter:innen umgegangen worden ist, deren Arbeit in dieser Situation unabdingbar war.

Hast du sowas schon mal erlebt? Wie war das früher mit Repressionen auf Demos?

Als Demosanitäter habe ich schon verschiedene Dinge erlebt, z.B. als wir Menschen aufgrund von Pfeffersprayeinsatz behandeln mussten. Teilweise wurden wir auch an unserer Arbeit behindert. Allerdings war das kein Vergleich zur Situation in Leipzig. 

Wie geht es dir und den anderen Demosanitäter:innen jetzt?

Ich bin definitiv über meine Kapazitäten hinausgegangen. Das musste ich erstmal psychisch verarbeiten. Es war sehr belastend, die Menschen im Kessel zu sehen, ohne ihnen die Hilfe geben zu können, die sie bräuchten. Nachts war es sehr kalt, die meisten haben stark gefroren oder konnten sich nicht einmal richtig hinsetzen. Ich war über vierzehn Stunden lang unterwegs, was für mich eindeutig zu viel war.

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