In Gedenken an Sista Mimi, eine kämpferische geflüchtete Frau

08.03.2018, Lesezeit 5 Min.
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Unsere Autorin hat sich im Zuge des internationalen Frauenkampftages am 8. März mit der Situation geflüchteter Frauen befasst. Für diese Frauen sind Sexismus, Rassismus und Ausbeutung Alltag.

Bild: Sista Mimi

Was bedeutet es, eine Frau zu sein, die fliehen muss? Was bedeutet es, eine Frau zu sein, die bei allem von neu anfangen soll, was sie unter aller Art von Diskriminierung und Ausbeutung geschaffen hat?

Die Gewalt, der Frauen gegenüberstehen

Wenn man versucht, einen kleinen Teil der physischen und psychischen Gewalt, unter der die geflüchteten (Non-Citizens) Frauen leiden, zu schildern, weiß man nicht, wo man anfangen soll. Egal ob Herkunfts- oder so genannte „Ankunftsländer“, nirgendwo sind Frauen von Gewalt befreit, da diese Gewalt die Glieder einer Kette bildet, die auf der einen Seite Flucht verursacht und auf der anderen Seite in den Tod abschiebt. Sie trennt Mütter von ihren Kindern, sie raubt ihnen die Möglichkeit auf Bildung und Entwicklung und sperrt sie in Lager. Sie versklavt geflüchtete Frauen unter prekären Bedingungen oder zwingt sie dazu sich zu prostituieren.

In dieser patriarchalen kapitalistischen Welt haben wir natürlich keine Illusion, dass es einen Ort gäbe, wo wir, die geflüchteten Frauen, endlich keine Gewalt erfahren. Wo wir endlich frei atmen können. Nicht nur geflüchteten Frauen – allen Frauen unserer Klasse, der internationalen Arbeiter*innenklasse, fehlt im Kapitalismus dieser Ort frei von Gewalt.

Die besondere Lage geflüchteter Frauen

Wirft man einen Blick auf die Situation von Frauen in Deutschland, dann nehmen geflüchtete Frauen eine spezielle Rolle ein – sie erfahren Sexismus und Rassismus gleichermaßen. Diese Unterdrückungsformen durchziehen alle Lebensbereiche und zeigen sich in vielfältiger Form in physischer und psychischer Gewalt. Die ständige Bedrohung durch Abschiebungen, Residenzpflicht, Dublin, Duldung beziehungsweise Ablehnung der Asylbescheide, Anhörungen und die damit einhergehende Kriminalisierung und nicht zuletzt durch die Unterbringung in Lagern und Ausgrenzung. Geflüchtete Frauen bezeichnen diese Lager oft als Gefängnisse, in denen sie täglich sexistische und rassistische Schikanen durch Hausverwaltung, Securities und anderen Angestellten ausgesetzt sind und nur in kleinen Zimmern Zuflucht vor diesen Angriffen, aber keine Privatsphäre finden, da sich Geflüchtete die Zimmer teilen müssen.

Bei genauerer Betrachtung fehlte diese Privatsphäre und Eigenbestimmung schon länger. Sei es nun die Familie die Mädchen und Frauen diktiert, was sie zu tun und lassen haben – die meisten geflüchteten Frauen kommen aus stark patriarchalen Strukturen – oder die normative Erziehung der Gesellschaft, das Leben der Frauen war schon seit der Einrichtung des Privateigentums immer geprägt von sexistischer Gewalt und Unterdrückung. Alexandra Kollontai schildert in ihrer Vorlesungen an der Sverdlov-Universität 1921, wie die Situation der Frauen in der gesellschaftlichen Entwicklung durch den Charakter der Arbeit, die ihr in einer bestimmten Gesellschaft zugeteilt wird, abhängig ist. Mit dieser marxistischen Analyse kann man die besondere Situation der geflüchteten Frauen besser verstehen, denn die Mehrheit von ihnen ist von den Produktionszyklen ausgeschlossen.

Warum wir fliehen

Die Entscheidung zu fliehen war für uns notwendig, um überleben zu können. Frauen fliehen nicht, weil sie Deutschland für das Paradies halten, sondern weil sie sich ein besseres Leben für sich und auch ihre Kinder erhofften, wohl wissend, dass auf der Flucht noch mehr Gewalt droht.

Wenn der imperialistische und kolonialistische Profit die Infrastruktur im Heimatland zerstört und Krieg humanitäre Krisen verursacht, sind wir gezwungen unser Leben auf den Fluchtrouten durch die Sahara, über das Mittelmeer oder durch die Ägäis aufs Spiel zu setzen, um die Hölle zu verlassen. Vergewaltigung, Beschneidung, Zwangsverheiratung, keine Entscheidungsfreiheit über die Geschlechtsidentität oder die eigene sexuelle Orientierung sind die Gründe dafür, dass wir vor den diktatorischen und frauenfeindlichen Regimen fliehen, die von westlichen Ländern gebilligt und unterstützt werden. Aufstände unserer Schwestern und unserer Klasse wurden und werden mit Hilfe des Imperialismus unterdrückt. So zum Beispiel die Angriffe der türkischen Armee auf den Kanton Afrin in Nordsyrien mit deutschen Waffen, wo Frauen eine sehr progressive Rolle in der Gesellschaft spielen.

Uns gibt es schon immer

Wer oder was sind wir eigentlich? Manchmal scheint es so, dass nicht-geflüchtete Menschen denken, dass wir ein neues Phänomen sind, das plötzlich wie ein Pilz aus der Erde schießt. In diesen Situationen bekommen wir oft die gleichen Fragen zu denen wir uns positionieren müssen: Wie bist du hier her gekommen und warum?

Als würden nicht alle wissen, was in der Welt passiert. Es folgen weitere Fragen wie:

Wow, wie hast du das geschafft? Hast du studiert? Krass! Vermisst du deine Familie? Wie konntest du deine Kinder verlassen? Du trägst kein Kopftuch obwohl du Muslima bist? Hattest du schon Sex?

Da merken wir erst, wie merkwürdig wir für nicht-geflüchtete Menschen sein müssen.

Worin wir uns sicher sind: dass wir nicht aufgeben werden. Und das ist das Paradoxe an unserer Tragödie. Obwohl unsere Leben auf der einen Seite von roher, vollkommener Gewalt geprägt sind, regt sich auf der anderen Seite Widerstand und Kampf. Dieser Text will sich nicht beklagen und soll auch kein Mitleid erwecken. Denn wir, geflüchtete Frauen, können uns – als am meisten unterdrückter Teil der Klassengesellschaft und als wütendes Subjekt des Klassenkampfes – mit den anderen kämpferischen Teilen der Arbeiter*innenklasse zusammen tun, um für eine bessere Gesellschaft für uns und alle anderen zu ringen. Wir wollen ein Vorbild für Widerstand und Hoffnung sein.

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