Ihr vertretet uns nicht!

23.10.2018, Lesezeit 5 Min.
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Die marxistische jugend hat ihre zweite Zeitungsausgabe fertig. Wir veröffentlichen ihren Leitartikel mit einer Ansage an die Parlamente, die viel rechter sind als die Bevölkerung.

Während die großen Parteien in Wahlen und Umfragen an Zustimmung verlieren und sich der staatliche Rechtsruck vertieft, gehen immer mehr Menschen für Solidarität und gegen Rassismus auf die Straße – bei vielen Demos in München von noPAG bis #ausgehetzt und mit einer Viertelmillion Menschen in Berlin unter dem Motto #unteilbar. Der hilflosen und chaotischen Groko im Bund, die ein Schmierentheater um Merkels Ablöse von rechts aufführt, steht eine Bevölkerung entgegen, die lange nicht so rechts ist wie das politische Regime, sondern nach solidarischen Perspektiven sucht.

Derweil zeigt das Wahlergebnis in Bayern mit unter zehn Prozent für die SPD: Das sozialpartnerschaftliche Versprechen nach einem guten Leben aller im Kapitalismus ist nicht mehr glaubwürdig. Der Absturz der „alten Dame SPD“ ist nur ein oberflächliches Zeichen für einen morschen Sozialkompromiss, der seit den 1990er Jahren Stagnation für die Mehrheitsgesellschaft und Abstieg an den prekären Rändern bedeutet. Dass Deutschland nach World Economic Forum die Nummer 3 der „wettbewerbsfähigsten“ Länder ist, haben wir Lohnabhängige und Jugendliche teuer bezahlt.

Die rechte Hetze der vergangenen Jahre kann in den Augen Hunderttausender nicht überdecken, dass der scheiternde Neoliberalismus mit dem Ausverkauf aller sozialen und demokratischen Errungenschaften die eigentliche Krise ist. Und doch stehen uns zur Vertretung in den Parlamenten nur Parteien und Köpfe zur Verfügung, die diesem Ausverkauf zustimmen und ihn befördern. So hält uns die kapitalistische Demokratie gefangen: Wohin sollen wir gehen?

Rechts des Establishments steht mit der AfD eine Fusion aus neoliberalen Nationalist*innen und waschechten Nazis, deren „Sorgen und Nöte“ vom Establishment sehr ernst genommen werden, während die Sorgen und Nöte der nicht rechtsradikalen Lohnabhängigen, Geflüchteten, Menschen mit Migrationshintergrund, LGBTI* und Frauen in den Regierungsstuben nicht interessieren. Das Angebot von links ist in den Ländern eine Beteiligung an eben den rot-grünen Projekten, welche die Agenda-Politik, Leiharbeit, Privatisierung und Outsourcing gebracht haben und von Sarrazin bis Maaßen den Rechten bei jeder Gelegenheit entgegen kamen.

Mit dem Problem, dass uns niemand vertritt, sind wir international nicht allein. Seit der Weltwirtschaftskrise 2008 treten weltweit Legitimations- und Repräsentationskrisen auf. Da es momentan kein Angebot von links gibt, das die Interessen der lohnabhängigen Klasse und der Armen vertritt, ist in diesen zehn Jahren eine Dekade der Monster angebrochen: Trump in den USA, Erdogan in der Türkei, Salvini in Italien, Duterte auf den Philippinen, um nur einige besonders rückschrittliche Krisenverwalter zu nennen. In Brasilien steht mit Jair Bolsonaro auch eine solche Figur zur Wahl – der Präsidentschaftskandidat sympathisiert mit der früheren Militärdiktatur, er hasst LGBTI*, Frauen, Arbeiter*innen, Arme, nennt Geflüchtete „Abschaum“. Das klingt alles vertraut.

Wie wir international Probleme teilen, teilen wir auch eine Antwort: anstatt weiter auf eine kapitalistische Vertretung im sterbenden Neoliberalismus zu hoffen, schlagen wir die aktive Selbstorganisierung vor. Sie hat international viele Vorbilder, wie die große Arbeiter*innen- und Frauen-Bewegung in Argentinien um das Recht auf legale und kostenlose Abtreibung, die sich bereits international ausdehnt (Pan y Rosas – Brot und Rosen). Oder im Nachbarland Frankreich, wo der neoliberale Möchtegern-Bonaparte Macron mit Deutschland um Wettbewerbsfähigkeit streitet gibt es seit Jahren eine Arbeiter*innen- und Jugendbewegung gegen die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, wie wir sie mit der Agenda-Politik Schröders schon lange erleben.

Wir wissen nicht, wie es mit der Groko und dem ganzen Parteiensystem in Deutschland weitergeht. Aber wir wissen, dass es mit dem sozialen und demokratischen Abbau in Deutschland nicht so weitergehen kann wie bisher. Wir lehnen es im Vergleich zu Grünen und Linskpartei ab, im Rahmen der Verwaltung des kapitalistischen Staates eine Antwort zu suchen. Deshalb rufen wir den Verantwortlichen aus Groko und CSU ebenso wie den Aggressor*innen der AfD entgegen: „Ihr vertretet uns nicht!“

Mit dieser Ansicht sind wir nicht allein, sondern teilen sie mit den vielen Menschen, die dieses Jahr schon auf der Straße waren und selbst aktiv ihre Kolleg*innen, Mitschüler*innen und Freund*innen mobilisierten. An sie wollen wir den Vorschlag einer Perspektiv-Debatte richten: Wie können wir den eingeschrittenen Weg, die Sache selbst in die Hand zu nehmen, fortsetzen anstatt nur Appelle an die Oberen zu richten? Mit welchem politischen Inhalt und Programm diese Selbstorganisierung erfolgreich ist, damit beschäftigt sich die zweite Ausgabe der Zeitung der marxistischen jugend münchen.

Dieser Beitrag erscheint am 26. Oktober in der zweiten Ausgabe der Zeitung marxistische jugend, erhältlich in München (majumuc [at] gmail.com).

Interessiert? Am Freitag, den 26. Oktober, findet in München eine Release-Veranstaltung zur neuen Zeitung im Rahmen der Reihe „Druck gegen Rechts“ der Kunstakademie statt.

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