„Ich weiß nicht, wen man da noch wählen soll“ – Interview mit einem Berliner Arbeiter

19.09.2017, Lesezeit 4 Min.
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Egal ob Krankenhäuser, Hochschulen oder Museen – an öffentlichen Unternehmen in Berlin kämpfen Arbeiter*innen gegen Niedriglöhne, befristete Verträge und Outsourcing. Mehrere Parteien versprechen ein Ende der Prekarisierung – aber niemand liefert. Ein Interview mit Alex Bottrop (Name geändert), Arbeiter an einem Berliner Landesbetrieb. Da er und seine Kolleg*innen mit dem Senat verhandeln müssen, möchte er anonym bleiben.

Gerade sagt die SPD: „Zeit für mehr Gerechtigkeit“. In Berlin trägt diese Partei die Verantwortung für deine Arbeitsbedingungen. Haben die Sozialdemokrat*innen in den letzten Jahren für Gerechtigkeit gesorgt?

Natürlich haben sie das nicht. Das liegt daran, dass Arbeiter*innen längst nicht mehr die Zielgruppe der Sozialdemokrat*innen sind. Dabei wäre alles so einfach. Im Juli 2017 waren 44 Millionen Menschen in Deutschland erwerbstätig. Gäbe es eine Partei, die sich für Arbeiter*innen einsetzen würde, wäre es die erfolgreichste Partei Deutschlands. Dass es die SPD nicht schafft, diese Menschen für sich zu begeistern, ist unglaublich.

Man kann auch von selbstorganisierten Wahlniederlagen sprechen: Die SPD versucht jedes Mal gerade so viele Stimmen zu bekommen, dass sie die Verantwortung für unpopuläre Entscheidungen wie Privatisierungen an den nächstgrößeren Koalitionspartner abschieben kann, aber gleichzeitig ihre Minister*innenposten bekommt. Die CDU zeigt sich bei dieser Aufgabenteilung immer sehr großzügig.

Das alles führt zu einem furchtbaren politischen Verdruss. Manche kanalisieren ihren Frust dann falsch. Deswegen muss sich die SPD auch den Vorwurf gefallen lassen, dass sie durch ihre Weigerung, sich konsequent für Arbeiter*innen und sozial Schwache einzusetzen, Parteien wie die AfD groß gemacht haben. Vielleicht nimmt ja die AfD künftig der SPD unliebsame Entscheidungen ab, indem sie anstelle der SPD Stimmenlieferant bei Privatisierungen wird.

Bürgermeister Michael Müller macht Wahlkampf mit dem Versprechen, dass bald an der Charité Facility Management (CFM) ein Mindestlohn von 11 Euro bezahlt wird. Was hältst du davon?

Auf den ersten Blick handelt es sich schlicht um zu wenig Lohn, um davon zu leben. Bei der CFM und bei allen anderen Betrieben sollten wir keinen Millimeter von der Forderung abrücken: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit! Eine stufenweise Heranführung wäre vielleicht noch denkbar.

Die Linkspartei bläst ins gleiche Horn und nennt sich „Glaubwürdig für Gerechtigkeit“. Gerade stellt Die LINKE die Senatorin für Soziales in der Hauptstadt. Was macht diese Partei?

Ich denke DIE LINKE hat gute und schlechte Politiker*innen in den eigenen Reihen. Ich habe zuletzt LINKS gewählt. Ich kenne auch einzelne linke Politiker*innen die sich für unseren Betrieb stark einsetzen. Was mich sehr verwirrt hat, ist die Fortführung der Privatisierung der Landeszentralbibliothek, für die ja Klaus Lederer von der Linkspartei als Kultursenator die Verantwortung trägt.

Was wären die dringendsten Forderungen von prekär Beschäftigten im Vorfeld der Wahlen?

Das Geld für faire Löhne im Verantwortungsbereich des Staates ist vorhanden – bedenke man nur, wie stark der Rüstungsetat in Deutschland aufgestockt werden soll. Im Jahr 2024 dürfte dieser von 37 auf bis zu 70 Milliarden Euro angestiegen sein. Für die Verwundung von Menschen wird mehr Geld ausgegeben, als für Löhne im Gesundheitssystem, das Verwundete oder Erkrankte heilt. Das sagt alles.

Also wo wirst du dein Kreuz machen, wenn am übernächsten Sonntag gewählt wird?

Vor der Privatisierung der Landeszentralbibliothek hätte ich Die LINKE gewählt. Ob ich das nochmal tue, ist abhängig davon, ob bis Sonntag bei CFM und VSG etwas entscheidendes passiert – also ob die Kolleg*innen bei den Tochterunternehmen an den Krankenhäusern ihre Forderungen nach mehr Geld erfüllt bekommen.

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