IAA-Protest: „Was es braucht, sind Enteignungen der Automobilkonzerne“

12.09.2023, Lesezeit 8 Min.
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Im Rahmen der Proteste gegen die IAA besetzten Aktivist:innen des Aktionsbündnisses symbolisch ein leerstehendes Haus in der Bavariastraße. Bild: No Future for IAA

Die Internationale Automobil-Ausstellung in München wurde von Demonstrationen und Blockadeaktionen begleitet. Vor dem Protestwochenende sprachen wir mit Lou Schmitz, Pressesprecherin des Bündnisses „No Future for IAA“, welches mit dem Mobilitätswende-Camp eine Gegenveranstaltung zur IAA mitorganisiert hat.

KGK: Was ist das „No Future for IAA“-Bündnis?

Schmitz: „No Future for IAA“ hat sich anlässlich der letzten IAA 2021 gegründet und ist ein antikapitalistisches und antiautoritäres lokales Bündnis aus München. Unser Fokus liegt auf den Auswirkungen der Messe auf die Innenstadt und damit auch der Privatisierung des öffentlichen Raums. Im Zuge der „No Future“-Proteste 2021 wurde ein Haus mit dem Banner „Open Space for Everyone“ besetzt, um damit einen Kontrapunkt zu den Open Spaces der IAA zu setzen und einen Raum frei von Profit- und Konsumzwang in München zu eröffnen.

Welche Gruppen sind Teil des Bündnisses?

Das Bündnis besteht aus Aktivist:innen aus der autonomen Antifa- und der Klimagerechtigkeitsbewegung, weil wir eine Verbindung und Austausch zwischen Antifas und Klimaaktivist:innen herstellen wollten.

Was ist das Mobilitätswende-Camp?

Das Mobilitätswende-Camp hat fünf verschiedene inhaltliche Zelte, wo wir als „No Future for IAA“ gemeinsam mit der antifa nt auch in einem Zelt vertreten sind. Es gibt während der gesamten Zeit des Camps, also von Dienstag bis Samstag, Workshops und Vorträge rund um das Thema Klima und angrenzende Themen. Unter anderem gibt es von uns auch einen Vortrag über die Geschichte von Hausbesetzungen.

Welche Aktionen sind geplant?

Es gibt die „Block IAA“-Aktionsgruppen, also „Sand im Getriebe“, „Smash-IAA“ und „No Future for IAA“, die am Freitag und Samstag dazu aufrufen, die IAA in ihrem Ablauf zu stören. Am Sonntag findet ab 11 Uhr außerdem noch eine Großdemonstration unter dem Motto „Block IAA“ statt.

In eurem Aufruf steht, dass ihr euch die Stadt zurückholen wollt. Was genau ist damit gemeint?

Im Grunde geht es darum, dass die Stadt von den Menschen, die hier leben, gestaltet werden sollte. Es sollte nicht um Profitinteressen gehen, sondern um die Bedürfnisse der Menschen. Es sollte sinnvoll basisdemokratisch darüber entschieden werden, was produziert und auch wie produziert wird. Wichtig zu sagen ist, dass die Forderungen, die wir haben, nicht konkret an die IAA gestellt werden. Das Spektakel der IAA ist ein besonders alberner Ausdruck der kapitalistischen Wirtschaftsordnung. Solange die Profitinteressen an erster Stelle stehen und soziale und ökologische Fragen immer dahinterstehen, werden wir uns dafür einsetzen, dass das geändert werden muss. Gerade in München, wo es eben ganz wenig Freiräume gibt.

Die IAA muss als Symptom des kapitalistischen Wirtschaftssystems verstanden werden. Sie ist natürlich nicht die unmittelbare Ursache für Klimaschädigung, sondern ein Ausdruck dessen, was am hegemonialen Diskurs über den Klimawandel falsch ist. Die Autoindustrie versucht sich mit einem grünen Image durch E-Autos als Vorreiterin bei der Rettung des Klimas zu verkaufen und damit auch gleichzeitig den weiteren Verkauf von Verbrennerautos abzusichern. Und natürlich ist es so, dass die IAA in dieser Woche die Deutungshoheit darüber bekommt, wie Mobilität, Stadt- und Verkehrsplanung in der Zukunft aussehen sollte. Daher ist die IAA und insbesondere die Open Spaces ein guter Angriffspunkt, um unsere Kritik deutlich zu machen.

Wie muss die Produktion umgestellt werden, um den Klimawandel nicht auf den Individualverkehr abzuwälzen?

Das ist einer unserer großen Kritikpunkte an der IAA, die eben auf E-Mobilität setzt, aber trotzdem weiterhin den Individualverkehr befeuert. Letztendlich geht es immer nur um die Profite der Autokonzerne. Ganz davon abgesehen, ist E-Mobilität natürlich auch keineswegs klimaneutral. Durch den massiv wachsenden Bedarf an Lithium und seltenen Erden werden im globalen Süden Menschen in sklavenähnlichen Zuständen ausgebeutet und Wasservorkommen vollkommen ausgetrocknet. Ein weiteres Problem ist, dass unsere Stadt gar nicht darauf ausgelegt ist, eine klimagerechte Infrastruktur anzubieten. Menschen werden durch hohe Mieten aus der Stadt verdrängt und ziehen zum Beispiel aufs Land, müssen dann aber wieder mit dem Auto zurück in die Stadt fahren, weil nur zweimal am Tag der Bus in die Stadt fährt. Unsere Kritik bezieht sich auch nicht auf einzelne Autofahrer:innen, sondern darauf, wie die Stadt und die Infrastruktur aufgebaut sind. Der Ausbau von öffentlichem Nahverkehr wäre ein notwendiger Schritt für mehr Klimagerechtigkeit.

Du hattest die Ausbeutung des Lithiums angedeutet: Die EU hat Privatisierungs-Vorschläge für Lithium in der Ukraine gemacht und auch in Argentinien wird im Rahmen des Lithium-Dreiecks ausgebeutet. Die Automobilindustrie versucht auf Wasserstoff umzusteigen, beispielsweise durch Projekte in Namibia. Dadurch findet eine Verlagerung der Ausbeutung von Arbeiter:innen statt. Was ist für euch die Rolle der Arbeiter:innen in diesem Zusammenhang?

Ob jetzt hier bei BMW oder bei anderen Autokonzernen: Unsere Kritik zielt darauf ab, systemkritisch zu denken und nicht die einzelnen Punkte oder Forderung auf Individuen abzugeben. Es geht vielmehr darum, dass es einen fundamentalen Bruch mit diesem Wirtschaftssystem braucht und Appelle an Parteien oder Staat nicht zu mehr Klimagerechtigkeit führen werden. Es ist wichtig, eine gemeinsame solidarische Bewegung aufzubauen, die sich mit einer tatsächlichen Mobilitätswende beschäftigt, die ökologisch und sozial vertretbar ist. Eine stärkere Einbindung von organisierten Arbeiter:innen in ökologischen Bewegungen wäre natürlich sehr wünschenswert. Bei Beschäftigten im öffentlichen Nahverkehr geschieht das teilweise bereits, bei Beschäftigten in manchen anderen Sektoren sieht es da schlechter aus. Dabei ist es ein großes Problem, dass ökologische Fragen und Interessen von Arbeiter:innen in der breiteren Debatte häufig gegeneinander verhandelt werden.

Wie würde ein internationaler Plan, den Kapitalismus abzuschaffen aussehen, und welche Rolle spielen Arbeiter:innen darin?

Das ist die eigentliche zentrale Frage, die sich sowohl eine Linke als auch eine Klimagerechtigkeitsbewegung stellen muss und auch gerade stellt. Auf dem System-Change-Camp sind Allianzen gebildet worden und es hat Strategiedebatten darüber gegeben, wie man sich am besten vernetzt. Innerhalb der Linken gibt es zu politischen Themen immer auch unterschiedliche Standpunkte, aber im Endeffekt kämpfen wir ja alle gemeinsam für das gleiche Ziel: Für eine bessere Zukunft jenseits des Kapitalismus. Wir müssen anfangen miteinander zu sprechen, einen Raum für Diskussionen zu eröffnen, der diese inhaltlichen Unterschiede auch aushalten lässt. Wir sollten gemeinsam an einem Strang ziehen und eine Bewegung aufbauen, die solidarisch miteinander ist, auch wenn das bei manchen inhaltlichen Punkten bedeutet, nicht ganz einig zu sein.

Wir haben mit Fridays For Future seit fünf Jahren eine der größten Klimabewegungen in Deutschland. Ihr schreibt in eurem Aufruf auch, dass das Klima weiter brennt. FFF versucht mit Appellen die Regierung zu ökologischem Handeln zu zwingen. Was ist da eure Perspektive zur Regierung? Was ist die Rolle der Regierung für euch?

Also erstmal gehen unsere Appelle oder unsere Forderungen eben nicht an den Staat oder im Falle der IAA an die Autokonzerne an sich, weil der Staat die Interessen der Autokonzerne schützt. Der Staat funktioniert nur im Interesse von einem ständigen Wachstum und einer ständigen Profitmaximierung. Das ist die wechselseitige Abhängigkeit zwischen der Regierung und den Konzernen. Und deswegen ist es wichtig zu verstehen, dass es eine tatsächliche Mobilitätswende, die sozial und ökologisch tragbar ist, auch nur gegen die Interessen der Autoindustrie geben kann. Was es braucht, sind Enteignungen der Automobilkonzerne und basisdemokratische Entscheidungen darüber, was wirklich gebraucht und produziert wird. Im Interesse aller Menschen und nicht im Interesse von Profitmaximierung und ständigem Wachstumszwang.

Gruppen wie die Letzte Generation haben schon vorab durch Präventivhaft heftige Repressionen erfahren, was in Bayern durch das vor ein paar Jahren durchgesetzte Polizeiaufgabengesetz erst möglich wurde. Was können wir gegen diese Repressionen unternehmen?

Die Repression, die gerade die Letzte Generation erfährt, zeigen mal wieder ganz klar, dass der Staat nicht im Interesse einer tatsächlichen Klimagerechtigkeit handelt, sondern dass der Staat die Interessen der Autokonzerne schützt, sie sogar auch noch befeuert durch Subventionen. Der Staat hat kein Interesse daran, die bestehende Ordnung irgendwie zu ändern. Weswegen es absolut notwendig ist, dass die bestehende Ordnung gestürzt wird und wir uns auch mit Gruppen wie der Letzten Generation solidarisieren müssen, wenn sie kriminalisiert werden, auch wenn wir ihre Inhalte, ihre Aktionen und Strategie kritisieren. Es ist wichtig, sich solidarisch mit all den Menschen zu zeigen, die für Klimagerechtigkeit auf die Straße gehen.

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