H&M verschenkt zu Weihnachten Kündigungen

20.12.2020, Lesezeit 6 Min.
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H&M wirbt mit Slogans wie „Wir sind uns im Herzen nah – trotz 1.50 m Abstand“ oder „Gemeinsam schaffen wir das“. Nun wollen sie bis zu 800 Stellen abbauen. Dazu zwingen die Kolleg:innen in eine groteske Job-Lotterie um ihre Zukunft. Bericht einer Kollegin.

„Wir sind uns im Herzen nah – trotz 1.50 m Abstand“ oder „Gemeinsam schaffen wir das“. Slogans mit denen H&M während der Coronapandemie per Durchsagen und Beschilderungen in den Geschäften wirbt. Für mich als Mitarbeiterin klingt das verlogen. Am 19. November wurde nämlich bekannt gegeben, dass H&M bis zu 800 Stellen in Deutschland abbauen wird.

Diese Information habe ich persönlich von meinem Vorgesetzten erfahren dürfen. Das ist nicht selbstverständlich. Andere Arbeitskolleg:innen erfuhren davon zufällig über die Nachrichten oder Gerüchten. Dass H&M es nicht so mit der Kommunikation hat, war zuletzt zu beobachten, als der Überwachungsskandal in Nürnberg publik wurde und einige Monate später die Sanktion in Höhe von über 35 Millionen Euro folgte. Interne Informationen oder Stellungnahmen an die Mitarbeiter:innen waren auch hier vergeblich zu finden.

Mir wurde zudem sofort versichert, dass ich mir bezüglich des Stellenabbaus keine Sorgen machen solle, es betreffe nur die Festkräfte. Anders als die Festkräfte arbeite ich auf flexibler Stundenbasis, was für mich Nachteile und für H&M Vorteile hat. Denn laut Vertrag stehen mir wöchentlich nur 10 Arbeitsstunden zu, was bedeutet, dass meine wöchentliche Arbeitszeit zwischen 10 und 40 Stunden schwanken kann. Flexibel nennt H&M das. Auf diese vertragliche Festlegung greift H&M dann in besonders umsatzschwachen Zeiten, wie beispielsweise aktuell, zurück. Grund genug also für H&M nun mehr flexible Verträge zu schaffen und bewusst Stellen, wie die der Festkräfte, abzubauen, die eine solch absurde geringe Stundenfestlegung nicht erfüllen.

Mit der trockenen Information, dass ein Stellenabbau stattfinden wird, wurden die Betroffenen seit Bekanntgabe -oder seit dem Tag, an dem sie es irgendwie in Erfahrung bringen konnten- allein gelassen. Bis Mitte Dezember mussten sie verharren und bangen, um dann zu erfahren, welche Filialen zunächst überhaupt vom Stellenabbau betroffen sind. Ein Weihnachtsgeschenk von H&M, mit Glücksspielcharakter: Glückwunsch! Du bist eine Runde weiter und darfst weiterhin darauf hoffen nicht gekündigt zu werden! Mit diesem Geschenk gehen die Betroffenen nun in den Lockdown und dürfen Weihnachten feiern.

Wie geht es nun weiter? In den kommenden Wochen werden den Mitarbeiter:innen der betroffenen Filialen ein sogenanntes Freiwilligenprogramm vorgestellt. Dieses Programm bietet die Option freiwillig das Unternehmen zu verlassen. Belohnt wird das dann mit einer Abfindung, die individuell ermittelt wird. Wenn sich niemand bis zu der vom Programm festgelegten Deadline freiwillig aufopfert, wird es besonders ungemütlich. Dann wird nämlich ein Sozialplan erstellt. Dafür werden Anwälte und Wirtschaftsprüfer anrücken und alle Betroffenen unter die Lupe nehmen. Es werden Punkte vergeben, die aussagen sollen wie schlecht es den Betroffenen ohne den Job bei H&M gehen würde. Das Alter, der Beziehungsstatus und die Anzahl der Kinder spielen dabei beispielsweise eine Rolle. Letzten Endes werden diejenigen, die am wenigsten Punkten erreichen konnten, gekündigt. Das heißt logischerweise nicht, dass es diesen Personen besser gehen würde, nur eben laut Punktesystem am wenigsten schlecht. Blöd nur, wenn beispielsweise im Extremfall alle Betroffenen einer Filiale mittelalt und alleinerziehend sind. Ist die Entscheidung gefallen, erhalten die Gekündigten aber keine Abfindung. Also alle die nicht freiwillig ihren existenzabhängigen Job zu Coronazeiten aufgeben wollen, müssen damit rechnen ohne Abfindung gekündigt zu werden. Der Stellenabbau ist durch und durch skandalös.

H&M begründet den Stellenabbau in einem Informationsblatt mit einem Konzept, um „langfristig den Erfolg des Unternehmens zu sichern und so viele Geschäfte wie möglich profitabel zu halten und somit langfristig so viele Arbeitsplätze wie möglich zu erhalten“. Weiter heißt es: „Dieses Konzept schließt neben der Anpassung unserer Strukturen auf die neuen Gegebenheiten auch mit ein, dass wir uns von Kolleg:innen trennen müssen“. Demnach verlieren also Menschen ihre Jobs damit andere ihre Jobs behalten können? Nein! H&M geht es bei dem Stellenabbau nicht darum langfristig auch weiterhin Stellen zu sichern. H&M räumt nämlich außerdem ein, Kosten senken zu wollen, um massiv in die Digitalisierung zu investieren. Orhan Akman, Leiter des Bereichs Einzel- und Versandhandel bei ver.di sagt: „Damit sollen die Beschäftigten die Zeche dafür zahlen, dass H&M jahrelang die Verknüpfung von Ladengeschäften und Onlinehandel verschlafen hat.“ Das ist sehr nett ausgedrückt, aber auch naiv formuliert. Denn es gibt einen Unterschied zwischen „Ich habe den Wecker nicht gehört und deshalb verschlafen“ und „Ich habe den Wecker zwar gehört, war mir aber egal“. Bereits seit mehreren Jahren ist eine stetige Zunahme des Umsatzes durch den Onlinehandel zu beobachten gewesen und dank des ersten Lockdowns wurde dieser zusätzlich gepusht. Im Januar 2020 forderte ver.di bereits zu Verhandlungen über einen Digitalisierungsvertrag auf. H&M ist bisher auf keine der Forderungen eingegangen. Der aktuell stattfindende Stellenabbau hätte also verhindert werden können.

Zu guter Letzt stellt sich H&M in eine Reihe mit all den anderen Kapitalist:innen, die dieses Jahr ihren Mitarbeiter:innen „Geschenke“ in Form von Gutscheinen machten, die selbstverständlich nur im eigenen Unternehmen einzulösen sind, um so noch einmal verzweifelt zu versuchen den eigenen Umsatz anzukurbeln. Bei H&M ist es ein Rabattgutschein in Höhe von 40% auf einen einmaligen Einkauf bis zu 250 €. Dem Gutschein beigelegt war eine Nachricht vom H&M Deutschlandchef Thorsten Mindermann, die mich beim Lesen so wütend gemacht hat, dass ich den Gutschein am Liebsten zerrissen hätte: „Durch euren außergewöhnlichen Einsatz und euer Engagement während der Pandemie haben wir diese Krise bisher gemeinsam gemeistert. Hierfür möchten wir uns heute mit einem speziellen Dankeschön ganz herzlich bei euch bedanken.“ Das mindeste Dankeschön, was wir Arbeiter:innen jetzt haben möchten, ist unsere Jobs behalten zu dürfen.

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