Hassmails gegen Berliner Juden*Jüdinnen – und sie stammen von Unterstützer*innen der israelischen Regierung

04.11.2016, Lesezeit 4 Min.
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Der Tagesspiegel startet eine Hetzkampagne gegen ein palästinensischen Kulturfestival. Jüdische Intellektuelle prangern diesen Zensurversuch an. Dafür erhalten sie Hassmails. Eine haarsträubende Geschichte.

Die Berliner Presse und Politik war in der letzten Woche voller Diskussionen über „Israel-Hass“. Der Tagesspiegel hatte behauptet, dass das palästinensische Kulturfestival „After the Last Sky“ im Ballhaus Naunystraße, das vom Senat gefördert wurde, Terrorismus gegen jüdische Zivilist*innen verherrlicht hatte. Wie sich inzwischen herausgestellt hat, hatte der Tagesspiegel-Hetzer Johannes C. Bockenheimer – der sich selbst als „Journalist“ bezeichnet – seine Vorwürfe teilweise erfunden. Der Artikel ist von der Tagesspiegel-Website entfernt worden. Ob es für ihn Konsequenzen geben wird, ist noch nicht bekannt.

Gegen diese Kampagne haben über 100 jüdische und israelische Kulturschaffende in einem offenen Brief protestiert. Sie schreiben:

Wir, die Unterzeichner_innen, sind durchaus unterschiedlicher Meinung darüber, ob Begriffe wie „Apartheid“, „Kolonialismus“ und „ethnische Säuberung“ in Bezug auf die Geschichte und Gegenwart des Staates Israel zutreffend oder nützlich sind; […] wir stellen aber fest, dass die Diskussion über diese Begriffe und die Argumente der BDS-Bewegung, legitime Bestandteile einer öffentlichen Debatte über die politische Situation in Israel-Palästina sind.

Dieser Brief bekam auffällig weniger Aufmerksamkeit in der Presse als die ursprünglichen – falschen – Vorwürfe. Stattdessen konnten zahlreiche deutsche Politiker*innen fordern, die Kulturförderung in Berlin davon abhängig zu machen, das jegliche Kritik an Israel unterbunden wird. Das ist eine Vorlage für zukünftige Zensur gegen linke und migrantische Kultur aller Art.

Es überrascht nicht, dass rechte Parteien in Deutschland zur Zensur aufrufen – schließlich gehört die bedingungslose Unterstützung des israelischen Staates seit mehreren Jahren zur deutschen „Staatsräson“. Aber auch Klaus Lederer, dem Vorsitzenden der Berliner Linkspartei, zeichnete sich durch besonders eifrige Unterstützung der rechten Regierung in Jerusalem aus. Lederer sagte zu den Vorwürfen:

Wenn Israel als Apartheid-Regime und ‚kolonialistisches Gebilde‘ diffamiert wird, dann geht es nicht länger um Kultur, sondern um Agitation – und das ist für eine Veranstaltung, die mit öffentlichen Mitteln gefördert wurde, nicht akzeptabel. Das ist Wasser auf den Mühlen der Antisemiten.

Die „Israelsolidarität“ des deutschen Establishments, von den „Regierungssozialisten“, der Linkspartei, die den deutschen Imperialismus mitverwalten wollen, bis zum offen rassistischen AfD Funktionären, gilt immer der rechten Regierung. Linke Israelis dagegen werden, so weit es geht, ignoriert. So wird wenig über die Teilnahme israelischer Künstler*innen am umstrittenen Festival berichtet.

Aber nicht nur das. Armin Langer, dessen Buch „Ein Jude in Neukölln“ gerade erschienen ist, gehört zu den prominentesten Unterzeichner*innen des offenen Briefes. In der letzten Woche bekam er viele Hassmails. Einige hat er auf Facebook veröffentlicht:

Du gehörst genauso bekämpft wie Islamisten, du Widerling.

Bei solchen Artikeln wird mir immer wieder bewusst, dass es auch in den KL’s [Konzentrationslagern] es jüdische Kapos gab. Jüdische Kulturschaffende hin, oder her. Für mich ist Israel weder rassistisch noch ein koloniale Gebilde. Es ist eher für mich ein Zufluchtsort vor solch sich offensichtlich selbst hassenden Juden mit ihren antisemitischen Freunden.

Was soll man dazu sagen? Juden*Jüdinnen, die die Politik des Staates Israel zu kritisieren wegen, werden Beihilfe zum Holocaust vorgeworfen.

Die Verteidiger*innen des israelischen Staates und seiner rechten Regierung glauben wohl, dass sie Juden*Jüdinnen unterstützen. Aber so bald ein*e Jude*Jüdin abweichende Meinungen äußert, wird die menschenverachtende Haltung hinter der „Israelsolidarität“ deutlich. Ähnlich wie die Antisemit*innen sind sie der Meinung, dass Juden*Jüdinnen ein homogenes Kollektiv darstellen.

Wir als Kommunist*innen solidarisieren uns mit linken Aktivist*innen in und aus Israel/Palästina, die gegen Krieg, Ausbeutung und Unterdrückung kämpfen. Das kapitalistische System produziert Rassismus und Antisemitismus. Deswegen kämpfen wir gegen jede Diskriminierung und für die sozialistische Revolution. Wir verurteilen jeden Antisemitismus – auch im Gewand von „Israelsolidarität“.

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