Hafenstreiks: Inflationsmonster stoppen, Vollstreik jetzt!

18.08.2022, Lesezeit 8 Min.
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Hafenarbeiter:innen bei der Streikdemonstration während des Warnstreiks am 15. Juli in Hamburg. Bild: Inés In (Klasse Gegen Klasse)

Die Streiks an den norddeutschen Häfen sind noch bis zum 26. August ausgesetzt, nachdem sich Gewerkschaftsführung und Unternehmen im Juli auf einen Vergleich geeinigt hatten. Doch in den Verhandlungen zeichnet sich kein annehmbares Ergebnis ab. Also: jetzt einen Gang höher schalten und vom Warnstreik in den Vollstreik gehen.

Am 14. und 15. Juli streikten zuletzt tausende Hafenbeschäftigte. An der Streikdemo am 15. nahmen circa 5.000 von ihnen teil. Zuvor hatte der Verband der Hafenunternehmen ihnen zwölf Prozent Lohnerhöhung bei einer Laufzeit von zwei Jahren angeboten – also angesichts der im Vergleich zum Vorjahr um 35 Prozent angestiegenen Energie- und um 15 Prozent höheren Lebensmittelpreise eine Reallohnsenkung. Eine ähnliche Linie fahren die Bosse in den unterschiedlichsten Branchen: In den Medien fordern sie “Lohnzurückhaltung” und bieten in Tarifrunden nur Reallohnsenkungen an, während sie gleichzeitig weiterhin Milliardenprofite scheffeln und wie beispielsweise im Energiesektor von der Regierung Subventionen erhalten. Das heißt: Der Arbeitskampf der Hafenbeschäftigten steht exemplarisch für hunderttausende Arbeiter:innen, die in der aktuellen Situation ihre Lebensbedingungen verteidigen müssen.

Gleichzeitig hatten einige Hafenunternehmen versucht, den Streik gerichtlich zu untersagen. Statt diesem Versuch eine klare Absage zu erteilen, ließ sich die ver.di-Führung auf einen Vergleich ein, der den Beschäftigten in Hamburg eine “Friedenspflicht” bis Ende August aufzwang. Außerdem sollten in dieser Zeit drei Verhandlungsrunden stattfinden. Die erzwungene Friedenspflicht war ein gutes Beispiel für die Sozialpartnerschaft, die die Gewerkschaftsbürokratie verfolgt: lieber sich auf aussichtslose Verhandlungen einlassen, als die Konfrontation auf der Straße zu erhöhen. Über 3000 Hafenbeschäftigte, darunter auch mehrere Mitglieder der Tarifkommission, hatten sich mit einer öffentlichen Petition gegen die erzwungene Friedenspflicht gewehrt und dessen Aufhebung gefordert.

Natürlich haben die Bosse in den bisherigen Verhandlungsrunden keine Zugeständnisse gemacht. Allerdings haben die Hafenunternehmen mit ihrem Angriff und dem Vergleich bereits selbst etwas erreicht: Der Streik der entschlossenen Hafenbeschäftigten wurde ausgebremst. Auf den längsten Streik seit über 40 Jahren folgte eine Pause von über einem Monat.

Angesichts dieser Situation ergibt sich die Notwendigkeit, endlich den Spieß wieder umzudrehen: Die letzte der drei Verhandlungsrunden während der “Friedenspflicht” wird am kommenden Montag, den 22. August, in Bremen stattfinden. Aus diesem Anlass organisieren die Beschäftigten eine Kundgebung. Nicht nur die Hafenarbeiter:innen im Kampf selbst, sondern Gewerkschafter:innen und solidarische Unterstützer:innen im ganzen Land sollten dorthin mobilisieren, um ein starkes Zeichen zu setzen: “Wir alle sind der Hafen! Kein Abschluss unterhalb der Inflationsrate!” Eine starke Demonstration von Hafenarbeiter:innen – selbst wenn an dem Tag kein Streik stattfindet, könnten alle, die keine Schicht haben, nach Bremen fahren – mit großer Unterstützung von Arbeiter:innen aus ganz Deutschland und aus den verschiedensten Branchen würde deutlich machen, dass es hier nicht nur um die Lohnforderungen der Kolleg:innen im Hafen geht. Es geht darum, wer die Kosten der Krise bezahlen soll: die Arbeiter:innen, die unter ihr zu leiden haben, oder die Bosse, die weiterhin Profite scheffeln?

Es zeichnet sich aber bereits ab, dass es kaum zu einem Angebot kommen wird, das die Kernforderungen der Beschäftigten erfüllt. Darunter fällt nicht nur eine Lohnerhöhung über Inflationsniveau für alle, sondern auch eine Mindesterhöhung von 1,20 Euro für die unteren Lohngruppen, die bisher besonders wenig bekommen. Eine starke Mobilisierung am 22. August nach Bremen würde es auch der Verhandlungskommission ermöglichen, selbst den Druck in der Verhandlung zu erhöhen – und sich über die weiteren Verhandlungsschritte direkt mit den anwesenden Kolleg:innen zu beraten, anstatt sich hinter verschlossenen Türen auf die Argumente der Bosse einlassen zu müssen.

Vom Warnstreik zum Vollstreik!

Die Demonstration am 22. August in Bremen zur nächsten Verhandlungsrunde ist ein starkes Zeichen, dass die Streikenden und die Tarifkommission trotz der Friedenspflicht weiter demonstrieren wollen. Sie würde zudem die Möglichkeit bieten, eine Versammlung der Beschäftigten abzuhalten, auf der eine erste Einschätzung der Verhandlungsrunde diskutiert werden kann, um diese Diskussion dann zurück in die Betriebe zu tragen. Selbst Zwischenberichte aus der Verhandlung während der Verhandlungspausen wären auf diese Weise möglich.

Am ersten Tag nach der Friedenspflicht könnte ein Warnstreik an allen Standorten stattfinden, verbunden mit Streikversammlungen, die über den Verhandlungsstand diskutieren und über das weitere Vorgehen demokratisch entscheiden. Wird das Angebot für schlecht befunden, können die Verhandlungen für gescheitert erklärt und eine Urabstimmung für einen Vollstreik eingeleitet werden.

Sollte auch die letzte der Verhandlungsrunden scheitern, wird es seitens der Politik und der Arbeitgeber großen Druck auf ver.di und die Tarifkommission geben, sich auf eine Schlichtung einzulassen. Das würde bedeuten, dass es nicht mehr gestreikt werden darf und sich beide Seiten auf einen gemeinsamen, vermeintlich neutralen Schlichter, meist aus der Politik, einigen sollen. Das kann bedeuten, dass die Regierungsparteien, die ohnehin gegen den Streik Stimmung machen, einen direkten Einfluss auf die Verhandlungen und Gewerkschaft ausüben – natürlich zugunsten der Unternehmen. Jedem Versuch, eine Schlichtung oder „Moderation“ einzuleiten, muss eine klare Absage erteilt werden. Für die vollständige Unabhängigkeit unserer Streiks und unserer Gewerkschaft von der Regierung! Unsere Antwort muss “Urabstimmung” lauten.

Laut ver.di-Satzung wäre bei einer solchen Urabstimmung eine Mehrheit von 75 Prozent notwendig, um den Streik zu beschließen. Angesichts der Entschlossenheit der Hafenbelegschaften sollte dieses Quorum leicht zu erreichen sein. Trotzdem handelt es sich dabei eigentlich um eine undemokratische Regelung – warum reicht nicht eine einfache Mehrheit aus, um den Streik zu beschließen? Noch problematischer wird es, wenn über die Annahme oder Ablehnung eines Angebots und die Beendigung eines Streiks entschieden wird. Dann sind laut ver.di-Satzung plötzlich 25 Prozent der Stimmen ausreichend, um ein Angebot anzunehmen und den Streik zu beenden.

Wenn die Kolleg:innen der Seehäfen ihren Kampf konsequent zu Ende führen wollen, müssen sie sich dieser Fallstricke bewusst sein – und für eine möglichst demokratische Kontrolle über ihren Streik eintreten. Gewerkschaftsstatuten sind eine Sache, die lebendige Demokratie unter Streikenden ist eine ganz andere. Eine Streikversammlung zur Urabstimmung könnte ein Votum vorlegen, dass nach einfacher Mehrheit entschieden wird, und die Tarifkommission beauftragen, dieses Votum zu respektieren und umzusetzen.

Wenn der Vollstreik beginnt, können dann jeden Tag Streikversammlungen organisiert werden, in denen die nächsten Schritte diskutiert und beschlossen werden. Diese Entscheidungen müssen für die Tarifkommission bindend sein. Die Tarifkommissionsmitglieder sollten sich also der Entscheidungen der Versammlungen verpflichten und jederzeit abwählbar sein. Wenn die Tarifkommission und die Streikenden so direkt miteinander verbunden sind, kann ein Streik eine ungleich größere Schlagkraft entfalten – und es wäre ein Schritt für eine Demokratisierung der Gewerkschaften, damit sie wieder zu Werkzeugen des Kampfes ihrer Millionen Mitglieder werden.

Inflationsausgleich heißt gegen hohe Energiepreise kämpfen!

Ein Vollstreik würde den wirtschaftlichen Druck auf die Hafenunternehmen drastisch erhöhen und wäre eine scharfe Waffe zur Durchsetzung der eigenen Forderungen. Jedoch ist der Kampf gegen das Inflationsmonster nicht nur auf der Ebene des Tarifvertrages zu führen, sondern auch politisch.

Denn die Angriffe auf unsere Kaufkraft und Reallöhne finden nicht nur auf tariflicher Ebene statt. Die frisch beschlossene Gasumlage etwa wird für Familien hunderte Euro Mehrausgaben im Jahr bedeuten. Dazu kommt noch, dass die Spritpreise und die allgemeinen Preissteigerungen durch diese Umlage in die Höhen schießen werden. Besonders am Hafen, wo die überdurchschnittliche Mehrheit der Kolleg:innen auf Autos angewiesen sind, bedeuten hohe Spritpreise große Lohneinbußen.

Daher wäre es auch überlegenswert, ob unsere Gewerkschaft ver.di und Streikende an einem der kommenden Streiktage am Hafen eine große Demonstration gegen die Inflation und hohen Energiepreisen organisiert. An einer solchen Demo könnten sich tausende Hafenarbeiter:innen und weitere Kolleg:innen beteiligen und sich für gemeinsame Forderungen einsetzen. Nicht umsonst gucken tausende Arbeiter:innen anderer Sektoren auf den Kampf der Kolleg:innen an den Häfen: Sie haben die Macht die gesamte Arbeiter:innenklasse im Kampf gegen das Inflationsmonster und die Regierungspolitik anzuführen.

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