Große Bündnisdemo in Hamburg: „Impfstoff für alle, sonst gibt’s Krawalle“

16.01.2022, Lesezeit 6 Min.
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Fotos von Jannis Große

Unter dem Motto „Solidarität und Aufklärung statt Verschwörungsideologien“ startet am Samstagmittag in Hamburg eine große Bündnisdemo linker Gruppierungen. Sie fordern die Pantentfreigabe der Coronaimpfstoffe und stellen sich gegen die sogenannten „Coronademos“, die Woche für Woche auch in Hamburg stattfinden.

Die Interventionistische Linke, Fridays For Future, TVStud, die Linke, der DGB und verschiedene Bündnisse gegen rechts gehen gemeinsam mit Aktivist:innen der Hamburger Antifa-Vernetzung auf die Straße, um zu zeigen, dass der Protest von Impfgegner:innen und Pandemieleugner:innen in Hamburg nicht unwidersprochen bleibt. „Das ist heute ein Auftakt“, sagt die Versammlungsleiterin Christiane Schneider vom Hamburger Bündnis gegen Rechts. „Ich weiß nicht, ob es weitere Demonstrationen geben wird, aber es ist ganz klar: Der Widerstand gegen diese Demonstrationen wächst – in Hamburg und auch anderswo“. Rund 100 Gruppierungen haben den Demo-Aufruf unterzeichnet. 

Schon bei der Blockaufstellung auf dem Bahnhofsvorplatz wird klar: es geht hier um mehr, als nur gegen „Querdenker:innen“ auf die Straße zu gehen. „Gebt die Patente frei“ steht auf einem Plakat im ersten Demoblock, der von der IL organisiert ist. Auf dem Fronttransparent des Blocks wird in weiß auf pink gefordert Klinik- und Pharmakonzerne zu enteignen. „Wir gehen auch auf die Straße, weil wir sehr unzufrieden sind, mit der Politik der letzten zwei Jahren: Während wir als einzelne zum Beispiel mit Ausgangsperren, mit drakonischen Strafen reglementiert wurden, konnten und können Unternehmen relativ freie Hand haben, weil das Geschäft im Kapitalismus weiterlaufen muss“, bezieht ein Aktivist aus dem Block der Antifa-Vernetzung Position. „Wir fordern – sowie wir generell ein Ende des Kapitalismus fordern – ein Gesundheitswesen, das sich unseren Bedürfnissen anpasst und nicht anders rum“. 

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Rund 3.000 beteiligen sich an der Bündnisdemonstration, die nur langsam vorankommt. Drei Zwischenkundgebung sind auf der kurzen Demoroute angemeldet. Die Demo stoppt bereits zum ersten Mal, da haben die letzten noch nicht einmal den Bahnhofsvorplatz verlassen. Ziel wäre es gewesen möglichst lange den Innenstadtbereich durch die Demo zu blockieren, um damit den Protest der „Querdenker:innen“ zu stören, wird in einer Rede gesagt. Die Demonstration der Pandemieleugner:innen und Impfgegner:innen wurde aber verboten. Zu hoch sei die Gefahr, dass Maskenpflicht und Mindestabstände nicht eingehalten werden, heißt es in der Begründung von Polizei und Gericht dazu. Trotzdem sammeln sich am Nachmittag an mehreren Punkten im Stadtgebiet Aktivist:innen zu Demonstrationen. 

Von Verboten halten viele Aktivist:innen der Bündnisdemo wenig. „Wir verlassen uns bei der Bekämpfung von Nazis, von Rechten und Antisemit:innen nicht auf der Staat“, erklärt der Aktivist aus dem Schwarzen Block. „Auf den Staat ist kein Verlass, Demoverbote sollte man selber duchsetzen. Wir kritisieren die Querdenker-Demos, wir wollen sie stoppen und wir brauchen dafür nicht den Staat“. Ein anderer Aktivist erzählt, sie seien heute auch hier, um den Protest der Impfgegner:innen und Pandemieleugner:innen zu blockieren: „Mal schauen, was die Schwurblis machen, wir sind bereit“. 

In großen Buchstaben steht auf einem Transparent der Antifa-Vernetzung: „Verschwörungsideologie stoppen! Gegen jeden Antisemitismus und autoritäre Krisenlösungen“. Versteckt hinter Bannern und Schirmen bewegen sich die schwarzgekleideten Aktivist:innen des Antifa-Blocks langsam vorwärts. . Sie rufen „A-, Anti-, Anticapitalista“ und „Impfstoff für alle, sonst gibt’s Krawalle“. Am Stephansplatz zünden die Aktivist:innen Bengalos und Rauchtöpfe. Die Polizei zieht Kräfte zusammen und filmt in den Block. 

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So radikal der Block wirkt, so bunt ist der Rest der Demo. Man sieht selbstgebastelte Pappschilder mit Sprüchen wie: „Globuli stoppen keine Pandemie“ oder „Wissenschaft statt Aluhüten“. Man sieht zahlreiche ältere Menschen bei den Omas gegen Rechts und hunderte Schüler:innen und Studierende im Klima- und Jugendbildungsblock . 

Am Jungfernstieg werden die Aktivist:innen der Antifa-Vernetzung dann von der Polizei aufgestoppt. Die Polizei fordert die schwarz gekleideten Aktivist:innen auf, mehr Abstand einzuhalten. Fünf Aktivist:innen aus dem Umfeld der „Omas gegen Rechts“ stellen sich schützend zwischen Block und Polizei. Auch der bürgerliche Teil der Demo will nur gemeinsam mit dem Schwarzen Block die Demo beenden. 

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Anders als auf den Demonstrationen der Impfgegner:innen, bei denen nur stichprobenartig Auflagen kontrolliert werden, nehmen es die Polizist:innen heute genau. Dabei tragen auch in den Blöcken der Antifa-Vernetzung nahezu alle eine FFP2-Maske – der Großteil der Demo hält weite Abstände ein und will zeigen, dass Protest auch in Zeiten einer Pandemie verantwortungsvoll umgesetzt werden kann. 

Während die Demoleitung noch mit der Polizei diskutiert, um die wenigen hundert Meter über den Jungfernstieg bis zur Abschlusskundgebung laufen zu können, sammeln sich an anderen Orten in der Stadt Gruppen von „Querdenker:innen“. Neben angemeldeten Demonstrationen z.B. der „Freien Linken“ an den Landungsbrücken, versammeln sich auch an der Kunsthalle hunderte Protestwillige – ohne Abstand oder Masken. Die Polizei geht zwar gegen die Versammlung vor, kann aber nicht verhindern, dass sich die Menschen wenig später an anderen Orten wieder versammeln – um „spazieren zu gehen“, wie es in der Szene geframt wird. 

„Viele Menschen, die da mitlaufen, die durchaus aus einem bürgerlichen Milieu kommen, haben Gedanken, die anschlussfähig sind an verschwörungsideologisches, an faschistisches Gedankengut“ ordnet der Aktivist aus dem Block der Antifa-Vernetzung ein. „Vielen Leuten ist der Alltag noch gar nicht brutal genug, das sieht man auch an Parolen, das sieht man an Schildern“. Gleichzeitig könne er auch verstehen, dass es dort Menschen gibt, die Gründe haben unzufrieden zu sein, die Probleme haben über die Runden zu kommen. „Trotzdem kann und darf das kein Grund sein, mit Nazis mitzulaufen“. 

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Trotz aller Kritik an den Protesten übt der Aktivist auch Selbstkritik an der Radikalen Linken: „Viele Linke haben es sich zu gemütlich gemacht in der Pandemie. Es wurde zu oft die soziale Frage vergessen, es wurde vergessen zu kritisieren, was Maßnahmen – die in einer gewissen Situation richtig und wichtig sein können – was diese Maßnahmen auch mit sich bringen können. Ein Beispiel wäre die Datenerfassung durch die Luca-App, die nicht geschützt sind vor der Strafverfolgung durch die Polizei oder die Ausgangssperre. Das sind schon Mechanismen und Mittel eines autoritärer werdenden Staates“. Diese Entwicklung müsse man als Linke auch zurückweisen und bekämpfen, argumentiert er weiter. „Es gibt da keine einfachen Antworten.“ 

Schlussendlich darf die Bündnisdemo ihre Abschlusskundgebung durchführen – bis auf das Abbrennen von Pyrotechnik blieb es friedlich. Am Rande der Bündnisdemo tauchten vereinzelt Akteur:innen des „Querdenker:innen“-Spektrums auf. Bei der Abreise und dem späteren Protest der Impfgegner:innen und Pandemieleugner:innen in Mundsburg soll es Berichten zufolge vereinzelt zu Konfrontationen gekommen sein. 

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