Gewerkschaften im Aufbruch?

08.04.2015, Lesezeit 5 Min.
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// STUDIE: Eine neoliberale Denkfabrik lobt die stärkere Klassenkollaboration der Gewerkschaften. Doch wie könnte ein tatsächlicher klassenkämpferischer Aufbruch aussehen? //

„Die Gewerkschaften befinden sich in Deutschland offenbar im Aufwind.“ Mit dieser Feststellung beginnt eine Studie, die im Februar vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) veröffentlicht wurde – einer neoliberalen Denkfabrik, finanziert von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und dem Bundesverband der Deutschen Industrie. Wenn die Sprachrohre des deutschen Kapitals solche Thesen aufstellen, lohnt es sich aufzuhorchen. Denn sie könnten ein Indikator dafür sein, dass die herrschende Klasse sich auf steigende Klassenkampfauseinandersetzungen gefasst macht. Eigentlich ein gutes Signal für einen Aufbruch in der ArbeiterInnenklasse – könnte man meinen.

Widersprüchliche Trends

Bei einem genaueren Blick in die Studie fällt das Fazit jedoch anders aus. Das IW beschreibt das „Comeback der Gewerkschaften“ zunächst folgendermaßen: „Nach einer längeren Strukturkrise scheinen die Gewerkschaften in Deutschland derzeit wieder an Einfluss zu gewinnen. Die Große Koalition hat mit dem gesetzlichen Mindestlohn und anderen Gesetzesvorhaben wichtige Forderungen der Gewerkschaften aufgegriffen. Gleichzeitig konnte der anhaltende Schrumpfungsprozess gestoppt werden. Inzwischen erfreuen sich nicht nur kleinere Spartengewerkschaften und der zweitgrößte Gewerkschaftsdachverband, der beamtenbund und tarifunion (dbb), eines Zulaufs. Auch fünf der acht im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) zusammengeschlossenen Einzelgewerkschaften konnten in den letzten Jahren zumindest zeitweise den Gewerkschaftsmitglieder anhaltenden Abwärtstrend bei der Mitgliederentwicklung stoppen oder umkehren.“1

Aus dieser Situationsbeschreibung folgt für das IW allerdings nicht, dass die Gewerkschaften mittels schärferer Auseinandersetzungen wieder stärkeres organisatorisches und politisches Gewicht erlangen und somit potenziell eine Gefahr für die Interessen des Kapitals darstellen könnten. Ganz im Gegenteil: Mit ihrer angeblichen „Opposition“ (!) gegen die Agenda 2010 hätten sich die Gewerkschaften ins Abseits manövriert, was sie nun Schritt für Schritt durch Pakte mit der Großen Koalition überwänden. „Erfolge“ wie der lächerlich geringe Mindestlohn, die „abschlagsfreie“ Rente mit 63, die in der Realität nur einem winzigen Bruchteil der Lohnabhängigen zukommen wird, oder der „Kompromiss“ zur Verschlechterung des Streikrechts mittels des „Tarifeinheitsgesetzes“, seien die Früchte dieser wiedergewonnenen Allianz mit dem deutschen Kapital. Das IW beglückwünscht somit die deutschen Gewerkschaften für ihr erneuertes Vertrauen in die Klassenkollaboration mit den Interessen des deutschen Imperialismus. Aus einer klassenkämpferischen Perspektive ist ein solcher „Aufbruch“ der deutschen Gewerkschaften ein düsteres Omen.

Kampfsektoren

Dabei ging in den letzten Jahren der Mitgliederschwund der Gewerkschaften tatsächlich zurück. Trotz eines Einbruchs aufgrund fehlender großer Tarifrunden im Jahr 2014 nimmt die Streikbereitschaft in Deutschland wieder zu.

Die Sektoren, die diese Trendumkehr vollziehen, frönen aber gerade nicht der „Sozialpartnerschaft“, wie es das IW nahelegt. Stattdessen sind es prekarisierte Bereiche, die die Vorhut der deutschen Gewerkschaftsbewegung bilden: ohne Tarifbindung, mit einem hohen Frauenanteil, mit negativen Erfahrungen gegenüber der „Sozialpartnerschaft“, zum Beispiel im Einzelhandel oder im Logistik-Sektor. Sie haben keine Wahl, als eine höhere Kampfbereitschaft und radikalere Arbeitskampfformen an den Tag zu legen, um überhaupt ihre Interessen gegen eine Kapitalseite geltend zu machen, die immer stärker auf Union Busting und Tarifflucht setzt.

Gerade weil sie sich mit einer Gewerkschaftsbürokratie konfrontiert sehen, die trotz mauer Resultate immer wieder nach dem Strohhalm der Sozialpartnerschaft greift, können sie leicht Sprünge im Klassenbewusstsein machen. Emblematische Erfahrungen dieser Art waren und sind der Streik bei Neupack 2012/13 oder aktuell der Arbeitskampf bei Amazon. Sie werfen in der konkreten Kampfsituation immer wieder die Frage auf: Welche Gewerkschaften brauchen wir?

Rückeroberung

Wir ziehen dem Institut der deutschen Wirtschaft entgegengesetzte Schlussfolgerungen. Statt einem Festhalten an Sozialpartnerschaft und Klassenkollaboration, die den Gewerkschaftsbonzen eine politische Mitsprache und ein Mittagessen im KanzlerInnenamt ermöglichen, während sie gemeinsam mit dem Kapital das Streikrecht für kämpferische Sektoren einschränken oder abschaffen, sieht unser Aufbruch anders aus. Für uns ist das Wiedererlangen der Stärke der ArbeiterInnenbewegung untrennbar verbunden mit einer stärkeren Klassenkonfrontation. Zur Frage, welche Gewerkschaften wir brauchen, sagen wir: Kampforganisationen unserer Klasse gegen das Kapital.

Das bedeutet Streik und Zusammenführung der Kämpfe verschiedener Sektoren, dabei Aufbau einer klassenkämpferischen und basisdemokratischen Alternative zur aktuellen Gewerkschaftsführung und schließlich Rauswurf der Gewerkschaftsbürokratie. Wir beteiligen uns deshalb an Streiksoli-Netzwerken und stellen in jedem Kampf die Selbstorganisierung der ArbeiterInnen in den Vordergrund, zum Beispiel mit Streikversammlungen, Betriebsgruppen und dem Ziel einer klassenkämpferischen, antibürokratischen Strömung in den Gewerkschaften. Dabei sind die Interessen der gesamten Klasse zu betonen, wie im Fall der Verteidigung des Streikrechts.

Fußnoten

1. Carsten Anders/Hendrik Biebeler/Hagen Lesch: Gewerkschaftsmitglieder. Mitgliederentwicklung und politische Einflussnahme: Die deutschen Gewerkschaften im Aufbruch? In: IW Trends 1/2015, Jg. 42.

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