Gaza steht unter Beschuss – Warum der vermeintliche Waffenstillstand kein echter ist

10.08.2022, Lesezeit 7 Min.
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shutterstock.com / Anas-Mohammed

Gaza steht erneut unter Beschuss. Einige Tage später berichten die Medien von einem “Waffenstillstand”, während immer weiter Videos und Nachrichten aus der Westbank kursieren, in denen Zivilist:innen bei Protesten ermordet werden.

Am Freitag, den 5. August 2022 verbreiten sich die Videos wie ein Lauffeuer auf allen Plattformen. Gaza wird erneut attackiert. Allein bei dieser ersten Attacke gibt es 55 Verletzte und 10 Tote, darunter die Fünfjährige Alaa Qaddoum. In den darauffolgenden Tagen verschärfte sich die Situation. Laut Al Jazeera wurden mittlerweile mindestens 44 Palästinenser:innen getötet, darunter 15 Kinder. Die meisten Ermordeten waren Zivilist:innen. Hunderte sind verletzt.

Proteste als Antwort auf die Angriffe in Palästina

Seit 2008 gab es vier militärische Angriffe auf Gaza, dieser ist der fünfte. Seitdem wurden 4000 Palästinenser:innen getötet. Die Medien berichten von einem vermeintlichen Waffenstillstand. Die Vereinten Nationen sollen sich nun um die Angelegenheit kümmern. Warum all dies nichts an der Situation verändert, zeigen die Berichte der letzten Tage. In der Stadt Nablus wurde eine Arbeitsniederlegung angekündigt, als Reaktion auf einen israelischen Anschlag auf die Stadt und die Ermordung von drei millitanten Palästinenser:innen, darunter Ibrahim Nabulsi, Kommandeur der Al-Aqsa-Brigaden. Nicht einmal 24 Stunden nach dem angeblichen Waffenstillstand startete Israel eine erneute Offensive, diesmal auf eine Stadt in der Westbank. In den Moscheen wurde daraufhin eine Arbeitsniederlegung als Zeichen der Trauer verkündet. Alle Geschäfte wurden geschlossen, ebenfalls die Universitäten und Schulen.

In anderen Teilen Palästinas kommt es aufgrund der anhaltenden Angriffe vermehrt zu Protesten. Viele werden von jungen Palästinenser:innen angeführt. Zuletzt wurde bei den Protesten gegen die israelische Eskalation in der Stadt Hebron der 17-Jährige Momen Jaber getötet. Die Journalistin Alena Jabarine berichtet zurzeit live aus der Westbank über die aktuelle Situation. In einem ihrer Story-Posts auf Instagram schreibt sie zu Protesten der Jugend in Jericho:

“Die palästinensische Jugend hat es satt. Viele sagen, sie haben das Gefühl, es gäbe nichts mehr zu verlieren. Also fürchten sie sich nicht vor israelischem Maschinengewehren. Sie haben sich an sie gewöhnt. Viele sagen: `Entweder ein Leben in Würde und Freiheit, oder Tod!`”

Die Verzerrung in der deutschen Berichterstattung

Während die Betrachtung dieser Fakten sehr eindeutig das israelische Militär in seiner Rolle als Aggressor zeigt, zeichnen die bürgerlichen Medien insbesondere in Deutschland ein komplett anderes Bild. Am 6. August berichtete die Tagesschau, dass Israel Raketen aus Gaza abwehrte. Ganz klein in der Ecke wird noch erwähnt: “zuvor hatte Israel mit Militäraktionen Ziele im Gazastreifen angegriffen”. Auch andere Medien zogen mit und berichteten, dass Israel unter Beschuss stehen würde. Dass der militärische Angriff allerdings von Israel ausging, wird hierbei gerne ignoriert oder eher weniger Bedeutung geschenkt.

Die Dehumanisierung der Opfer der ständigen Aggressionen der Besatzungsmacht, sie alle durchweg als terroristisch zu framen, hat brutale Folgen: Die fatalen Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung werden normalisiert und die Kräfteverhältnisse verzerrt dargestellt. Dass Israel von den Bomben durch ihr modernes Abwehrsystem, die Existenz von Bunkern und durch die USA und EU finanzierte Waffen und Überwachungssysteme, nicht gleichermaßen wie Gaza und Palästina getroffen wird, scheint keine Rolle zu spielen. An dieser Stelle ist auch zu erwähnen, dass es nach bisherigem Kenntnisstand keine Todesopfer auf israelischer Seite gab. Allein dieses Jahr forderte der US-Präsident Joe Biden 3,3 Milliarden USD für die Unterstützung Israels. Und nun werden diese beiden Angriffe nicht einmal gleichgesetzt, sondern der verteidigende Rückangriff auf Israel sogar als gravierender eingeschätzt.

Die verdrehte Berichterstattung der deutschen bürgerlichen Medien basiert jedoch nicht nur darauf, dass unhinterfragt Pressemitteilungen übernommen werden oder auf falscher Recherche. Israel ist ein wichtiger Handelspartner. Allein im Jahr 2021 lag der Wert der nach Israel exportierter Güter bei 5,71 Milliarden US-Dollar. In einem kapitalistischen System, in dem Profite über Menschenleben stehen und jedes Mittel für die Kapitalanhäufung Recht ist, scheut die deutsche Bourgeoisie auch nicht davor, mit Staaten zu kooperieren, die systematisch Menschenrechte missachten.  Um die Geschäfte aber zu rechtfertigen, brauchen diese Legitimation in der breiten Bevölkerung. Und da kommt die verdrehte Berichterstattung der deutschen bürgerlichen Medien ins Spiel. Die Nachrichten, die wir hierzulande über Gaza lesen, zeichnen ein falsches Bild des Konflikts, lassen Fakten über die Ausstattung des israelischen Militärs aus, verschweigen Tote und die unmenschlichen Zustände, denen Palästinenser:innen tagtäglich ausgesetzt sind und arbeiten bewusst mit Rassismus, um die Profitmacherei des deutschen Kapitals zu legitimieren und sich Rückhalt in der Bevölkerung einzuholen. Dies zeigte sich erst jüngst im Zusammenhang mit Robert Habecks (Grüne) Gasgeschäften und den damit verbundenen Äußerungen zu Katar, die systematisch Zwangsarbeit anwenden und einen blutigen Krieg im Jemen führen.

Obwohl der Gazastreifen offiziell unter Palästinensischer Verwaltung existiert, wird er seit 1967 vom israelischen Militär besetzt. Das bedeutet konkret, dass den Menschen vor Ort alle allgemeinen Grundrechte entzogen wurden. Gaza ist ein von Ägypten und dem israelischen Staat umzingeltes riesiges Freiluftgefängnis. Über zwei Millionen Menschen leben dort mit schlechter bis keiner Wasserversorgung, schlechter bis keiner Elektrizität, und wenig bis keiner medizinischen Versorgung, keiner Möglichkeit des Schutzes und vor allem keiner Möglichkeit der Flucht. Dieser Ort  wird nun von israelischen, hochentwickelten Raketen getroffen.

Solidarität mit Palästina – Stoppt den Krieg und die Besatzung!

Wie Solidarität außerhalb Palästinas aussehen kann, welche deutlich über Lippenbekenntnisse hinausgeht und das reelle Potential hat, die Unterstützung des israelischen Staates aus den imperialistischen Zentren zu stoppen, zeigt sich in folgendem Beispiel vom letzten Jahr sehr gut:

“In Livorno [Italien] weigerten sich Arbeiter:innen ein Schiff zu entladen, das eine für Israel bestimmte Waffenlieferung transportiert. Sie zeigten damit ihre Solidarität mit den Palästinenser:innen, die gegen die israelische Besatzung um ihr Leben kämpfen.”

Auch die jüngsten Streiks der Hafenarbeiter:innen in Deutschland haben das Potential, aus diesen Erfahrungen nicht nur zu lernen, sondern ähnliche Solidaritätsaktionen durchzuführen. Schließlich ist “das Waffengeschäft zwischen Deutschland und Israel […] essentiell für die Unterdrückung des palästinensischen Volkes.” Der Kampf gegen die Unterdrückung Palästinas muss in den imperialistischen Zentren wie Deutschland heißen, die Waffenlieferungen an den israelischen Staat zu verhindern, die Palästina besetzt halten. Auch die Forderung nach Einsicht in sämtliche diplomatische Verträge und den Inhalt von Frachtlieferungen müssen vor den Arbeiter:innen offengelegt werden. Sie sollen die Exporte kontrollieren und Waffenlieferungen stoppen können.

Als Internationalist:innen verstehen wir also, dass wir uns gegen den Imperialismus in unserem Land stellen und diesen bekämpfen müssen. Genauso wie Menschen gerade in Palästina für ihre Freiheit auf der Straße stehen und dafür den Tod in Kauf nehmen, stehen wir an unseren Orten solidarisch mit ihnen auf der Straße, gegen den gleichen Feind, das gleiche System. Nur die internationale Organisierung unserer Klasse wird Palästina und letztendlich die Welt befreien.

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