G20-Fahndung: In der Dunkelheit des Denunziantenstaates

23.12.2017, Lesezeit 4 Min.
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Durch die Förderung des Denunziantentums versucht der Staat die Deutungshoheit über G20 zu erringen. Der Hass der Massen soll sich nicht gegen die Obrigkeit richten, sondern gegen diejenigen, die es wagen, sich zu erheben.

Du könntest morgen als nächstes dran sein. An einem trüben Dezembertag die Titelseite der „Bild“-Zeitung zieren, am Pranger der merkelschen Republik, und millionenfach den verächtlichen Blick derer auf dich ziehen, die von der Politik der G20 genauso mies behandelt werden wie du. Die vielen Geschwister deiner Klasse, Arbeiter*innen und Angestellte, die dich dafür hassen sollen, dein Schicksal nicht mit Gleichmut entgegenzunehmen. Dein Verbrechen: Dich gegen die Herrschenden gestellt zu haben, es tatsächlich gewagt zu haben, ihnen und ihren wildgewordenen Schlägerbullen auf den Straßen Hamburgs die Stirn geboten zu haben.

Du wolltest demonstrieren, dass du kein wehrloses Opfer bist. Dass du dich nicht von mächtigen Menschen auf hohen Posten herumschubsen lassen willst, die sich anmaßen, über dein Leben wie einen Spielball zu verfügen. Skrupellose Entscheider*innen, die am Champagner-Bankett die Zerstörung deines Arbeitsplatzes und den von Tausenden von Kolleg*innen ebenso beschließen können wie die nächsten Drohnen-Angriffe in Syrien oder Afghanistan.

Das ist die Welt, in der wir leben. Eine Welt, in der viele deiner Klassenkamerad*innen, Kommiliton*innen und Arbeitskolleg*innen sagen werden, dass du es schon verdient haben wirst, am Pranger zu stehen. Deine Nachbar*innen mit ihren mickrigen Renten, die es gar nicht abwarten können, dich bei den Bullen zu verpfeifen. Es ist der Staat des Denunziant*innentums. Bonzen, Bild und Bullen schlagen mit ihrer perfiden Maschinerie tiefe Löcher in das Bewusstsein der Massen. Es geht ihnen nicht nur darum, ein paar dutzend rebellische Jugendliche einzuknasten. Sie wollen die potentielle Widerständigkeit einer ganzen Gesellschaft einlullen, um weiter ihre Party feiern zu können.

Die Fahndungsaufrufe von Polizei und Springer-Presse machen mehr als 80 Millionen Menschen in Deutschland zu potentiellen Spitzeln. Jede Grenzüberschreitung kann und soll an die Herrschenden verraten werden. Du bist keine selbstständig handelnde Person. Du bist nur noch „Krawall-Barbie“. Ein Püppchen, das mithilfe der Denunziation und sexistischen Objektifizierung wieder unter Kontrolle gebracht wird.

Die Polizei nutzt die Denunziation vor allem, um ihre Deutungshoheit über G20 zu sichern. Den Kampf gegen den 18-jährigen Fabio hat der Repressionsapparat verloren. Sie hatten ihm in alle Körperöffnungen gegriffen, ihm Erziehungsmängel attestiert und ihn monatelang ohne Beweise eingesperrt. Nun ist er frei, doch wie in Rage entfesselt die Polizei eine Repressionswelle nach der anderen. Jetzt also die Fotofahndung.

Es ist ein Staat, der auf Demoralisierung setzt. Ein Staat, der in die Psychologie jedes*r Einzelnen von uns eindringt und uns einbläut, uns gegenseitig zu misstrauen, miteinander zu konkurrieren und uns seiner Obrigkeit zu fügen. Ein Staat, der sagt, wir sollen diejenigen verachten, die gegen sein Unrecht aufbegehren. Aber es ist auch ein Staat, der weiß, dass er all seine Gewalt und seinen Zynismus aufbieten werden muss, um die Psychologie der Massen so gefügig zu halten. Es wird ihm nicht immer gelingen. Wir werden Möglichkeiten finden, als handelnde Subjekte aufzutreten und die Einschüchterungen von Springer und Bullerei abzuschütteln. Um es mit Fabio zu sagen, den dieser Staat nicht brechen konnte:

Wahrscheinlich glauben diese Herrschaften, dass die Repression unseren Durst nach Freiheit aufhalten wird. Unseren Willen, eine bessere Welt zu erschaffen. Nun gut, diese Herrschaften täuschen sich. Sie liegen falsch, das beweist auch die Geschichte.

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