„Für uns gehören der Kampf gegen den Genozid in Gaza und der Kampf gegen den Rechtsruck untrennbar zusammen“

08.02.2024, Lesezeit 10 Min.
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Foto: Waffen der Kritik

Heute fand an der Freien Universität die Kundgebung "Schluss mit den Lügen und der Heuchlerei“ in Solidarität mit Palästina statt. Wir dokumentieren hier die Rede unserer Redakteurin Caro Vargas.

Wir demonstrieren hier nun schon zum 4. Mal in diesem Semester an der FU gegen den Genozid an der palästinensische Bevölkerung. Jedes Mal, wenn wir hier stehen, müssen wir anklagen, dass die humanitäre Situation noch katastrophaler geworden ist, dass die Kriegsführung der israelischen Armee noch mörderischer geworden ist. 

Seit Oktober hat die israelische Armee nicht nur über 30.000 Palästinenser:innen ermordet, sondern auch zwei Drittel aller Gebäude in Gaza zerstört. Alle Krankenhäuser sind zerstört, die medizinische Versorgung vollständig zusammengebrochen. Fast alle Menschen in Gaza haben nicht jeden Tag etwas zu essen, sondern müssen hungern. Und nachdem die israelische Armee 1,5 Millionen Menschen in die Flucht gezwungen hat, nach Süden, nach Rafah, hat sie nun angefangen, auch Rafah zu bombardieren. 

Wir zählen heute 125 Tage Genozid. 125 Tage voller Leid. 125 Tage voller Bilder und Aufnahmen, die wir niemals vergessen werden. 125 Tage gefüllt mit der Frage, wann der Krieg und das Morden endlich ein Ende haben werden. Wir zählen über 75 Jahre mit der Frage, wann Palästina endlich frei sein wird?

Doch anstatt diese genozidale Kriegsführung zu verurteilen, machen die imperialistischen Mächte wie die USA und Deutschland einfach weiter als zuvor. Angesichts dieser unvorstellbaren humanitären Katastrophe, mit Hungersnot, Seuchengefahr, Ökozid durch kontaminiertes Trinkwasser – und die Liste geht weiter und weiter –, drängt die Bundesregierung nicht etwa auf ein Ende des Krieges. Nein, sie streicht die Hilfsgelder für die palästinensische Bevölkerung. Das ist nichts anderes als sich zum Komplizen im Genozid zu machen. 

Die Proteste gegen den Krieg dauern wie gesagt seit Monaten an, hier an der FU, und weltweit. Erst letztes Wochenende gingen in London wieder Hunderttausende in Solidarität mit Palästina auf die Straße. Auch in Deutschland gehen immer wieder Tausende auf die Straße, und trotz der unerschütterlichen pro-zionistischen Staatsräson der Regierung, der Institutionen und der meisten Medien sind heute mehr als zwei Drittel der Bevölkerung in Deutschland gegen die israelische Kriegsführung. Das ist ein Erfolg, den wir uns als internationale Bewegung auf die Fahne schreiben können. Und wir werden nicht aufhören, bis der Genozid aufhört und bis Gaza und Palästina frei sind. 

Hier an der FU haben wir ein selbstorganisiertes Solidaritätskomitee mitbegründet, das Proteste organisiert hat und heute diese Kundgebung veranstaltet. Diese Kundgebung und die propalästinensische Solidarität, die wir hier aufbauen, wurde in den vergangenen Tagen und Wochen massiv angegriffen, von den Medien, von der Unileitung, selbst von der Bundesbildungsministerin. Es ist nicht das erste Mal, dass unser Protest kriminalisiert werden soll. Erinnern wir uns an die Verbote palästinensischer Organisationen oder an die rassistischen Debatten über verschärfte Aufenthaltsbestimmungen. Unsere Aktionen und Proteste hier an der Uni wurden teilweise mit körperlicher Gewalt bedroht, uns wurde bei Treffen und bei unserem Wahlkampf aufgelauert.

Nun werden Exmatrikulationen gefordert – die laut Berliner Hochschulgesetz rechtlich gar nicht erlaubt sind –, Hausverbote angedroht, die FU hat  eine Strafanzeige gegen unser Komitee wegen der Kufiya auf unseren Plakaten gestellt, und es wird eine mediale Hetze betrieben, die jegliche Palästinasolidarität kriminalisiert und versucht, sie zum Schweigen zu bringen. Palästinasolidarität wird mit Rechtsextremismus gleichgesetzt oder als Beförderer antisemitischer Gewalt angesehen.

Angesichts täglicher hunderter neuer Todesopfer in Gaza, der unvorstellbaren humanitären Katastrophe und der Komplizenschaft der deutschen Regierung werden wir nicht schweigen, und wir werden nicht zulassen, dass unser berechtigter Protest gegen den Genozid in Gaza kriminalisiert wird. Wir verteidigen unser demokratisches Recht auf Protest und stellen uns dagegen, dass die Palästinasolidarität von rechts, von den Medien, von der Unileitung und dem Staat angegriffen wird.

Denn die Repression und Diffamierung der Palästinasolidarität geschieht nicht im luftleeren Raum, sondern ist Teil des Rechtsrucks insgesamt. Die Regierung verschärft Abschiebegesetze und Sparhaushalte, während sie aber immer mehr Geld für Militär ausgibt, die Polizei mit mehr Überwachungsmöglichkeiten ausstattet und die israelische Armee mit aufrüstet.

In den vergangenen Wochen sind bundesweit Millionen Menschen auf die Straße gegangen, um gegen die rassistische, neoliberale, rechtsextreme AfD zu protestieren. Wir verurteilen die Angriffe auf die Palästinablöcke in Berlin, aber auch in München und Münster. Aber wir sehen bei diesen Demonstrationen auch, dass immer mehr Menschen erkennen, dass die Regierung mit Schuld an diesem Rechtsruck ist und mit rassistischen und repressiven Gesetzen der AfD weiteren Nährboden verschafft. 

Für uns gehören der Kampf gegen den Genozid in Gaza und der Kampf gegen den Rechtsruck untrennbar zusammen. Wir wollen dazu beitragen, dass in der aktuellen Bewegung gegen Rechts ein deutlich erkennbarer, antikapitalistischer Pol entsteht, der nicht nur die AfD bekämpft. Wir wollen eine Front gegen die unsoziale und rassistische Regierungspolitik aufbauen. Gegen die Kürzungen in Bildung und sozialen Sektoren und die vermehrten Angriffe auf Sozialleistungen, die (Alters-)Armut und Ungerechtigkeit nur weiter bedingen, gegen Krieg und Kapitalismus. 

Dafür müssen wir auch sehen, wer bis jetzt am effektivsten aus Europa gegen den Genozid gekämpft hat: Das waren die Arbeiter:innen an den Flughäfen Belgiens, die sich geweigert haben, Waffenlieferungen nach Israel zu verladen und die Arbeiter:innen aus Großbritannien, die die Fabrik des israelischen Waffenherstellers Elbit blockiert haben. Internationale Gewerkschaftsverbände fordern nach dem vorläufigen Urteil in Den Haag einen Waffenstillstand in Gaza. Die deutschen Gewerkschaften müssen sich diesem Ruf anschließen. Denn wenn wir uns fragen: Wie können Waffenlieferungen gestoppt werden, wenn die Regierung nichts tut? Dann können es nur die Millionen Arbeiter:innen in Industrie und Logistik sein, die die Macht haben, die Waffenproduktion und die Lieferungen zu stoppen. Deshalb ist es für uns notwendig, uns auch hier mit den Arbeiter:innen zu verbünden und zum Beispiel die anstehenden Streiks im Nahverkehr zu unterstützen. Wir müssen die Streiks unterstützen und in Diskussion treten, dass auch gegen deutsche Waffenlieferungen, die Aufrüstung der Bundeswehr und für massive Investitionen in Bildung und Soziales gestreikt werden muss. Deutsche Rüstungsunternehmen müssen unter Arbeiter:innenkontrolle verstaatlicht und auf zivile Produktion umgestellt werden.

Im Angesicht der Deportationspläne von AfD, Werteunion und Co., während die Unileitung nun die Repression weiter verschärfen will, nachdem sie schon im Dezember die Cops gegen unsere friedliche Besetzung gerufen hat, und während ausnahmslos alle Parteien im Bundestag den Genozid unterstützen, müssen wir den Kampf gegen Rechts selbst in die Hand nehmen. In welchen Kontexten äußerte Scholz denn, es müsse wieder konsequent mehr angeschoben werden? Um was ging es, als die CDU bereits im Oktober einen Vorschlag für den Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft bei doppelter Staatsbürgerschaft einbrachte? All dies fand in einem Kontext statt, in dem Antizionismus mit Antisemitismus gleichgesetzt wurde. 

Unsere Solidarität mit Palästina wird benutzt, um uns als Terroristen, als Extremisten und Antisemiten zu brandmarken. Sie benutzen das, um uns endlich abzuschieben. Mit ihren Narrativen machen sie uns zu Angriffsflächen für Nazis, und wenn es nicht die Regierung ist, die uns abschiebt, dann ist es der Cop, der uns festnimmt oder der nächste Nazi-Einzeltäter, der in unseren Kiez spaziert und uns abknallt. 

Deswegen kämpfen wir für einen selbstorganisierten Antifaschismus von unten statt einem Vertrauen auf diese Regierung, auf die Cops, auf die Unileitung und die Konzerne. Wir können uns nicht auf den Staat verlassen, denn es ist derselbe Staat, der Nazis in seinen Institutionen willkommen heißt und den Nährboden schafft für die AfD und für rechten Terror. 

Am 19. Februar gedenken wir dem rassistischen Anschlag in Hanau zum vierten Mal. Vier Jahre ist es her, dass ein rechtsextremer Täter, der der Polizei bekannt war, durch Hanau fuhr und neun Menschen ermordete. Vier Jahre ist es her, dass die Polizei den Notruf ignorierte, vier Jahre ist es her, dass wegen rassistischer Razzien der Notausgang des Shisha Cafés verschlossen war. Vier Jahre – und es fühlt sich so grausam an wie am ersten Tag. Auch für euch stehen wir hier: Für Said Nesar Hashemi, Für Hamza Kenan Kurtović, Für Ferhat Unvar, Für Sedat Gürbüz, Für Fatih Saraçoğlu, Für Gökhan Gültekin, Für Vili Viorel Păun, Für Mercedes Kierpacz und Für Kaloyan Velkov.

Wir wissen: Hanau war kein Einzelfall. Wir wissen: Es sind dieselben Strukturen, die hinter den Anschlägen in Celle, in Hanau und in Halle stehen. Wir wissen: Es sind dieselben Behörden, die den Mord an Oury Jalloh bis heute unaufgeklärt lassen und den NSU schützen. Und auch heute, wo die Zahl der rassistischen und antimuslimischen und antisemitischen Angriffe wächst. Wir stehen gemeinsam und geschlossen gegen all diese Angriffe. Wir müssen uns dagegen organisieren, denn der Staat und die Behörden tun dies nicht! Deswegen kämpfen wir für selbstorganisierte Komitees an der FU und allen Unis. In Solidarität mit den Menschen in Gaza und Palästina, aber eben auch gegen den deutschen Staat, der sich zum Mittäter in Genozid gemacht hat und auch in Deutschland Hand in Hand mit Nazis zusammenarbeitet. 

Für uns von Waffen der Kritik bedeutet das auch den Aufbau einer antiimperialistischen Bewegung. Denn der Grund für die massive Unterstützung Israels durch die Bundesregierung und alle anderen wichtigen westlichen Mächte, ist der, dass Israel ein riesiger militärischer Stützpunkt des Imperialismus in Westasien ist. Es ist notwendig, dass der Imperialismus aus der Region rausgeworfen wird, für einen dauerhaften gerechten Frieden. Für ein bedingungsloses Rückkehrrecht für alle Palästinenser:innen in der Diaspora. Für ein einziges, freies und sozialistisches Palästina, in dem jüdische Menschen, Palästinenser:innen und alle Menschen gemeinsam friedlich zusammenleben können.

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