FU-Präsidium verteidigt Repression auf dem Campus

15.01.2024, Lesezeit 5 Min.
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Foto: Mo Photography Berlin / shutterstock.com

Zwei Angehörige des FU-Präsidiums stellten sich einem Gespräch mit Studierenden ausgewählter Studiengänge zum Nahostkonflikt. Es hagelte Kritik. Das Präsidium möchte keine politischen Debatten.

Am vergangenen Mittwoch, dem 10. Januar, fand an der FU Berlin eine Gesprächsveranstaltung zum Nahostkonflikt statt. Dort haben Prof. Verena Belchinger-Talcott, Vizepräsidentin der FU, und Prof. Sven Chojnacki, ebenfalls Vizepräsident, Fragen und Beiträge von Studierenden und Beschäftigten entgegengenommen und beantwortet. Obwohl die Veranstaltung nicht öffentlich beworben wurde, nahmen über 100 Menschen teil. Sie war vor allem an Angehörige der Institute und Fachrichtungen gerichtet, die eine besondere Verbindung mit dem Nahostkonflikt haben, beispielsweise Semitistik, Arabistik und Juadistik.

Die Veranstaltung begann damit, dass pro-palästinensische Studierende, die zum Teil auch an der Hörsaalbesetzung teilgenommen hatten, den Umgang der Universität mit dem Konflikt und der Besetzung im Dezember scharf anprangerten. Im Hinblick auf die Hörsaalbesetzung wurde dem Präsidium unter anderem äußerste Fahrlässigkeit und Gefährdung von Studierenden vorgeworfen, weil es die Besetzer:innen dazu aufgefordert hatte, aggressive Zionist:innen in den Hörsaal zu lassen. Dort störten die Israel-Unterstützer:innen dann die Diskussionsveranstaltung im Hörsaal, bedrängten Teilnehmer:innen und traten im Nachhinein eine Hetzjagd gegen ihre Opfer los.

Die Präsidiumsmitglieder rechtfertigten das Vorgehen gegen die Besetzung. Diese sei nicht genehmigt gewesen und die Universitätsleitung habe von ihrem Hausrecht Gebrauch gemacht. Dabei wäre das Präsidium angeblich eigentlich bereit gewesen, die Besetzung als offenen Raum für Diskussionen zu tolerieren. Zur Räumung habe man sich erst entschlossen, als sich gezeigt habe, dass eine offene Diskussion im Rahmen der Besetzung nicht möglich gewesen wäre. Dabei haben während der Besetzung weder das Präsidium noch die zionistischen Störer:innen versucht, eine sachliche Diskussion mit den Teilnehmer:innen der Besetzung zu führen.

Immerhin kritisierte Prof. Belchinger-Talcott aber die Bundesministerin für Bildung Stark-Watzinger (FDP) für ihren Tweet am Tag der Besetzung, in dem sie schrieb, „die Hochschulleitung muss konsequent [gegen die Hörsaalbesetzung] vorgehen und dem ein Ende setzen“. So eine Einflussnahme der Regierung auf die Leitung der Universität sei unangebracht und entspreche nicht den Aufgaben der Bildungsministerin.

Ferner wurde dem Präsidium vorgeworfen, nicht mit gleichem Ernst gegen Antisemitismus und antipalästinensischen Rassismus sowie Islamophobie vorzugehen. Das leugneten die Vertreter:innen des Präsidiums und verwiesen auf die Möglichkeit, sich bei Fällen von Diskriminierung an die Diversity-Beauftragten der Universität zu wenden. Darüber hinaus gab man sich politisch neutral. Auf den Hinweis, dass es keine Neutralität sei, wenn man sich bedingungslos hinter die deutsche Staatsräson stelle, antwortete die Vizepräsidenten, als staatliche Institution müsse die Universität die deutsche Staatsräson vertreten.

Neben Studierenden kamen auch Wissenschaftliche Mitarbeiter:innen zu Wort, die sich mit dem Verhalten der Universität ebenfalls unzufrieden zeigten. Mehrere von ihnen beklagten, dass sie um ihre wissenschaftliche Reputation und Karriere zu fürchten haben, wenn ihre Arbeit mit der Freien Universität in Verbindung gebracht werde. International mache sich nämlich der Eindruck breit, hier sei in einigen Fragen keine freie Forschung möglich. Sie zeigten sich auch um die Studierenden besorgt, gegen die die FU nach der Besetzung im Dezember Anzeige wegen Hausfriedensbruchs gestellt hatte. Die Vertreter:innen des Präsidiums wollten sich nicht dazu äußern, ob diese Anzeigen fallen gelassen werden, da das Aufgabe der Rechtsabteilung sei.

Außer propalästinensischen Studierenden waren auch zionistische Studierende im Saal. Sie inszenierten sich vor allem als Opfer und beklagten zum Beispiel, dass Plakate mit israelischen Geiseln an der FU entfernt wurden. Auch im Hinblick auf die Hörsaalbesetzung hoben sie hervor, dass der pro-israelische „Protest“ in deutlicher Unterzahl gegenüber den Besetzer:innen gewesen sei. Über die Störer:innen, die Plakate von palästinensischen Opfern von der Wand gerissen hatten und breit grinsend durch den besetzen Hörsaal spaziert waren, erzählten sie, „es ist schwer in Worte zu fassen, was sie an diesem Tag gefühlt haben“. Eine andere Teilnehmerin sagte, ihr falle es schwer, an der Universität „auf jedem zweiten Plakat das Wort Genozid“ zu sehen. Deswegen, so ihr Vorschlag, solle man doch einfach alle Plakate mit Bezug zum Nahostkonflikt vom Campus verbannen.

Im Großen und Ganzen lag sie damit gar nicht so fern von der Strategie des FU-Präsidiums. Dieses will die Nahostdebatte an der FU vor allem entpolitisieren und aus der Öffentlichkeit in Seminarräume verbannen. Davon zeugt auch, dass eine vergleichbare Veranstaltung über den Nahostkonflikt für die gesamte Universitätsöffentlichkeit bis heute nicht stattgefunden hat. Immer wieder appellierten die beiden Vizepräsident:innen dazu, an der Universität keine politischen, sondern akademische Debatten zu führen. „Wir lösen nicht die Probleme der Welt, wir erforschen sie“, fasste Prof. Belchinger-Talcott ihr Selbstverständnis zusammen.

Diese Versuche, die Universität zu einem „unpolitischen“ Ort zu erklären und wichtige Konflikte in Hinterzimmergesprächen zu lösen, dürfen wir ihnen nicht durchgehen lassen. Die Universität muss eine demokratische Institution sein, an der politische Diskussionen offen geführt werden können. Die Universitätsleitung muss den Universitätsangehörigen über ihre Entscheidungen der letzten Monate Rechenschaft leisten und sich einer Diskussion stellen, die allen Angehörigen der FU angekündigt wird und allen offensteht. Außerdem muss die Universitätsleitung ihre skandalösen Anzeigen gegen die Besetzer:innen vom 14. Dezember unverzüglich zurückziehen.

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