FSJ: Dein Jahr um den sozialen Notstand auszugleichen

12.08.2023, Lesezeit 5 Min.
Gastbeitrag

In vielen sozialen Berufen erschwert der Fachkräftemangel die Arbeit. Schlecht entlohnte FSJs sollen das abfedern. Anklage von eine:r FSJ-ler:in.

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Foto: Sorapop Udomsri / Shutterstock.com

Heute ist der letzte Tag meines FSJ. Gleichzeitig freue ich mich sehr, aber ich gehe auch mit einem eher unschönen Gefühl raus.

Ein FSJ (freiwilliges soziales Jahr) kann man im Alter zwischen 16 und 27 machen. Dabei wird man als Freiwillige:r von einem Freiwilligenträger in verschiedensten sozialen Einrichtungen eingesetzt, wie zum Beispiel in Kliniken, Kindergärten, Wohngruppen, Schulen usw., um dort ein wenig auszuhelfen und das Arbeitsfeld kennenzulernen. Eine Art Orientierungsjahr. (Auch gibt es seit ein paar Jahren die Möglichkeit dies in Jugendhäusern, Museen, Sportvereinen,… zu absolvieren.)
Wer ein FSJ macht, bekommt in den meisten Fällen zwischen 350 Euro und 450 Euro im Monat. Ausgerechnet beträgt das ungefähr 2-3 Euro die Stunde. Das sind ungefähr 10 Euro unter dem offiziellen Mindestlohn, von dem Freiwilligendienste ausgenommen sind. Von dem niedrigen „Gehalt“ kann man natürlich als alleinstehende Person nicht wirklich leben. Wer Miete zahlen muss, sucht sich einen Nebenjob, der dann eine 50 statt 40 Stunden Woche bedeutet. Dann kommst du abends nach Hause und der Tag ist gelaufen.

FSJ-ler:innen arbeiten Vollzeit in einem sozialen Berufsfeld – das heißt: Arbeitsplätze, die mit großer psychischer Belastung vor allem auch für Mitarbeitende einhergehen, weil man Tag für Tag auch der psychischen und körperlich gesundheitlichen Belastung, Traumata und Lebensumstände von anderen ausgesetzt ist. Hinzu kommt der krasse Personalmangel, den es in eigentlich allen sozialen Berufen gibt. Dadurch macht man Überstunden über Überstunden und man arbeitet sich so langsam in einen Burnout rein.

FSJ-ler:innen sind vor allem dafür da, den Notstand in sozialen Berufen mit ihrer unterbezahlten Arbeit aufzufangen. Natürlich ist es sinnvoll, in Berufe reinzuschnuppern, um herauszufinden, ob einem ein Beruf wirklich taugt oder nicht. In der Praxis sieht das alles aber anders aus. Kliniken sind im aktuellen System auf Profite ausgerichtet. Mit dem DRG-System müssen möglichst viele Patient:innen in möglichst geringer Zeit „abgearbeitet“ werden. Einsparungen beim Personal und bei der Infrastruktur sind Alltag in Kliniken. Das Wohl der Beschäftigten rückt in den Hintergrund. FSJler:innen sind vor allen Dingen ein Mittel, um den Fachkräftemangel abzufedern.

FSJ-ler:innen aus Kliniken berichteten, alle Aufgaben erledigen zu müssen, für die sich sonst niemand die Zeit nehmen kann, weil ja nicht mal genug Zeit für die pflegerischen Aufgaben ist. Sie schleppen dutzende Kisten voll mit Wasser, teilen das Essen an Patienten aus, machen Botengänge im ganzen Krankenhaus, sortieren die Wäsche und verräumen. Man könnte sagen, sie schmeißen den Klinikhaushalt. Diese Arbeit wird aber weder gesehen noch gewürdigt. Nachdem man den ganzen Tag geschuftet hat, bekommt man meistens nicht mal ein Dankeschön. Sind die FSJ-ler aber nicht da, gibt es mal kein Wasser auf einer Station, oder das nötige sterilgut, welches essentiell auch für Notfall Situationen ist, ist nicht ordentlich gereinigt um benutzt zu werden. FSJ-ler:innen in Kreißsälen werden teilweise mit Menschen unter Geburt alleine gelassen.

Uns wird gesagt, das sei unser Jahr. Aber unser Jahr für was? Unser Jahr für unser Fachabi, unser Jahr um die Qualifikation für bestimmte Studiengänge zu bekommen, unser Jahr für – ein Jahr – Aufenthaltserlaubnis in einem EU-Staat. Unser Jahr, um den sozialen Notstand auszubügeln.

FSJ-ler:innen sind keine Jugendlichen, die Bock auf ein Jahr chillen haben oder keinen Bock auf Arbeit haben. Sie sind unterbezahlte und unausgebildete Vollzeitkräfte. Hätten wir keinen sozialen Notstand, müsste man die Arbeitskraft von Jugendlichen nicht ausbeuten, sondern ihnen fair und gerecht entlohnt die Chance geben herauszufinden, welcher Berufszweig ihnen taugt. Ein System, in dem Jugendliche frei von Profitinteressen und Notständen herausfinden können, wer sie sind und sein wollen, ohne sich ausnehmen zu lassen.

Das bedeutet auch, dass es nicht um Reformen für Freiwilligen-Dienste geht, wo Freiwillige 500 statt 400 Euro im Monat bekommen. Es geht darum, das Problem dahinter zu beheben. Wir brauchen ein Gesundheitssystem, das nicht auf Profit für die Konzerne, sondern für das Wohl der Menschen aufgebaut ist. Ein Sozialsystem, welches sich um die psychische Gesundheit der Menschen kümmert, nicht mit dem Zweck, sie wieder in den Arbeitsmarkt eingliedern zu können.

Manager:innen des Gesundheitswesens, welche fast nie einen Fuß in ein Krankenhaus setzen und Gesundheitsminister:innen, die die Situationen in den Kliniken verbessern sollen, wissen nicht, was eine Klinik braucht, was die Beschäftigten brauchen und vor allem was Patient:innen brauchen. Wer das weiß sind die Mitarbeiter:innen. Pflegekräfte, Putzkräfte, Ärzt:innen, Techniker:innen,usw. Deswegen braucht es die Enteignung der Kliniken und ihre Verwaltung und Kontrolle durch die Beschäftigten für ein Gesundheitssystem, welches auf das Wohl der Patient:innen und Beschäftigten ausgerichtet ist.

Wenn du auch ein FSJ, Praktikum oder eine Ausbildung machst und über die Arbeitsbedingungen einen Artikel schreiben willst, schreib uns gerne eine Mail.

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