#freedom4yildiz: Deutsche Justiz kriminalisiert kurdische Frauenrechtsaktivistin

08.01.2020, Lesezeit 9 Min.
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In Berlin geht diese Woche der Prozess gegen Yildiz Aktaş weiter. Vorgeworfen wird ihr Mitgliedschaft in der PKK. Yildiz setzt sich ihr gesamtes Leben für die Rechte von Frauen und Kurd*innen ein. Gastbeitrag von Lea Dalmazia.

Seit Oktober läuft am Kammergericht Schöneberg die Verhandlung gegen Yildiz Aktaş. Sie wird wegen angeblicher Mitgliedschaft in der PKK gem. § 129b Strafgesetzbuch angeklagt. Verfolgt wird in der Logik der §§ 129ff. StGB, wer eine terroristische Vereinigung gründet, Mitglied ist, aber auch, wer sie unterstützt oder für sie um Mitglieder oder Unterstützer*innen wirbt. Dies weitet § 129b StGB auf terroristische Vereinigungen im Ausland aus. Für die Verfolgung von terroristischen Organisationen im Ausland muss das Bundesministerium für Justiz eine Ermächtigung zur Verfolgung geben. Allein, dass die Ermächtigung in den Händen eines Ministeriums liegt, lässt an der Einhaltung des von der bürgerlichen Justiz hochgepriesenen Grundsatzes der Gewaltenteilung zweifeln. Laut Gesetz sind bei der Entscheidung über die Ermächtigung zu berücksichtigen, ob die Vereinigung „gegen die Grundwerte einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker“ gerichtet ist und ob sie insgesamt als „verwerflich“ erscheint. Jeder Person, die sich länger als fünf Minuten mit der PKK und der kurdischen Befreiungsbewegung beschäftigt hat, wird sich ein Rätsel auftun, inwiefern diese Punkte auf sie zutreffen sollen.

Deutsches Strafrecht – Instrument zur Kriminalisierung von Gegner*innen des türkischen Faschismus

Trotzdem liegt für die PKK eine allgemeine Verfolgungsermächtigung vor, im Fall von Yildiz wurde zusätzlich eine Einzelermächtigung erteilt. Dabei ergäbe sich, so ihr Verteidiger, aus den Überwachungen nicht, dass Yildiz zu irgendeiner Zeit PKK-Mitglied war. In dem Verfahren wird deutlich, welch gefährlich ausuferndes Verständnis von „Unterstützung“ dem Straftatbestand zugrunde liegt und wie weit die deutsche Justiz bei der Auslegung des Begriffs geht. Zu den strafbarkeitsbegründenden Handlungen von Yildiz soll es gehört haben, Demonstrationen und Busse für diese mitorganisiert zu haben, Flyer zu drucken, Transparente zu malen oder eine Ausstellung für die in Paris ermordeten Sakine Cansız, Leyla Söylemez und Fidan Doğan auf die Beine zu stellen. All das sind Tätigkeiten, die, so die Verteidigung, vom Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt sein sollten. Das zeigt: Die Normen dienen nicht dazu, Gewalt gegen Personen zu verhindern, sondern sind vor allem ein Instrument, politisch unliebsame Bewegungen zu verfolgen. Auch solche, die den faschistischen Verbündeten in der Türkei ein Dorn im Auge sind. Indem die deutsche Justiz mitverfolgt und mitverurteilt, macht sie sich selbst schuldig und zum Handlanger Erdoğans. Aber die deutsche Doppelmoral diesbezüglich ist ja leider bekannt.

Ein Leben für den feministischen Widerstand

Dass mit dem Erfordernis des Handelns gegen die Menschenwürde und gegen das friedliche Zusammenleben der Völker mit Yildiz die falsche Angeklagte im Saal sitzt, wird durch die Verlesung ihrer Erklärungen im Prozess klar, die von ihrer Geschichte, ihrer Motivation und ihren politischen Aktivitäten erzählen. Schon mit 12 Jahren wurde sie in den 80er Jahren als jüngste Gefangene in dem berüchtigten Gefängnis Nr. 5 in Diyarbakır gefoltert und misshandelt. “Ich war noch ein Kind und wurde von heute auf morgen, ohne zu verstehen warum, zu einer Terroristin“, so Yildiz. Seitdem ist ihr Leben geprägt vom Kampf für die Stärkung der Rechte der Kurd*innen und vor allem vom Kampf für die Rechte von Frauen und anderen Personen, die unter patriarchalen Strukturen leiden. Wie unzählige feministische Aktivist*innen weltweit plante sie Demonstrationen für den 25. November und den 8. März. Sie setzte sich für die wirtschaftliche Unabhängigkeit vom Mann und für Bildung ein, gegen Zwangsheirat, Ehrenmorde, Vergewaltigung und andere Formen der sexualisierten Gewalt. Es war ihr wichtig, dass Frauen einen Platz in der Öffentlichkeit haben. Nicht zuletzt ist für Yildiz der türkische Staat mit seinem patriarchalen Charakter Teil ihres Kampfes. In diesem wollte sie auch mit gleichgesinnten türkischen Frauen zusammenarbeiten. Es ging ihr dabei nie um ein elitäres Politikverständnis, sondern sie handelte aus Überzeugung und aus tiefstem Herzen. Sie suchte immer das Gespräch mit anderen Frauen, ging dafür von Tür zu Tür, um mit ihnen über ihre Erfahrungen zu reden, sich auszutauschen darüber, wie gesellschaftliche Gleichberechtigung erreicht werden könne. Gleichzeitig habe ihr das Zusammensein mit Frauen stets Halt und Kraft gegeben.

Ich würde heute nicht vor Ihnen stehen, wenn ich keine Solidarität von anderen, insbesondere kurdischen, Frauen erfahren hätte. Dank dieser Solidarität konnte ich überleben.

Fernab von irgendwelchen Terrorismusvorwürfen ging es ihr vor allem darum, für ein gutes und würdevolles Leben für alle zu kämpfen. In der Türkei arbeitete sie nie in illegalen Strukturen. Dennoch drohten ihr wegen ihrem politischen Engagement in der Türkei weitere Haftstrafen, weshalb sie 2012 nach Deutschland kam. In Deutschland war sie weiterhin politisch aktiv, bis sie 2018 festgenommen wurde und nun von der Staatsanwaltschaft Berlin angeklagt wird.

Feminismus und Imperialismus

Es könnte fragwürdig erscheinen, warum Yildiz aus den Gründen, aus denen ihr zunächst Asyl gewährt wurde, nun festgenommen wird. Offensichtlich spielt das Verlangen der Türkei, Kurd*innen auch im Ausland zu verfolgen, eine große Rolle. Trotzdem ist erstmal verwunderlich, dass in Deutschland feministischer Aktivismus verurteilt wird, wo es sich doch sonst so gerne mit feministischen Errungenschaften schmückt. Linksliberale, bürgerliche bis faschistische Spektren verurteilen eine Unterdrückung der Frau im Islam; wo liegt das Problem, wenn Frauen sich selbstständig gegen von jenen Gruppen propagierte Missstände wehren?

Zum einen werden Frauenrechte vom Westen gerne instrumentalisiert, um die eigenen imperialistischen Interventionen unter einem humanitären Deckmantel zu verkaufen. Neben demokratischen Bestrebungen für alle werden nach dieser kolonialistischen Argumentation auch den Frauen endlich mehr Rechte gebracht. Diese Mission überlässt der Westen aber ungern den Frauen vor Ort, sondern übernimmt sie lieber selbst. Eine unabhängige demokratische Kraft in der Region, in der die Gleichberechtigung der Geschlechter im Zentrum der Gesellschaft steht, ist für den Westen schlechter kontrollierbar. Der Westen könnte nicht mehr so leicht als Retter für die Frauen auftreten, den er so gerne spielt. Eine lang genutzte Argumentation zur Legitimation eigener Machtbestrebungen in der Region würde wegfallen. Die gleichgültige bis befürwortende Haltung der Regierungsparteien zum türkischen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg untermauert jedoch die Ablehnung gegenüber fortschrittlichen, feministischen Kräften. Dass der Krieg auch ein Kampf gegen feministische Errungenschaften ist, zeigt unter anderem die brutale Ermordung der kurdischen Politikerin Hevrîn Khalaf.

Zum anderen liegt dem Feminismus progressiver kurdischer Kräfte ein Verständnis zugrunde, das weiter geht als das des gängigen bürgerlichen Feminismus in Deutschland. Es sollen nicht nur Änderungen im System erreicht werden, wie etwa das hier groß gefeierte hundertjährige Frauenwahlrecht (für Frauen mit deutscher Staatsbürgerschaft) oder die Forderung nach mehr Frauen in Führungspositionen. Obwohl darin punktuelle Verbesserungen für einige Individuen liegen, sind solche Maßnahmen ungeeignet, reale Gleichberechtigung zu erreichen. Denn diese Art von Feminismus vergisst die meisten Frauen, die tagtäglich ausbeutet und unterdrückt werden, die Arbeiter*innen, die Migrant*innen und die große Mehrheit der Personen aus dem globalen Süden. Um echte Emanzipation zu erreichen, muss das gesamte kapitalistische System im Mittelpunkt der Analyse stehen, denn nur durch die Überwindung des Kapitalismus und der Klassengesellschaft ist die tatsächliche Befreiung aller Frauen möglich. Yildiz und andere kurdische feministische Kräfte haben das erkannt und erblicken im kapitalistischen Staat eine patriarchale Machtstruktur, in der ein freies, gleichberechtigtes Leben nicht möglich ist. „Erst durch die patriarchale Ausrichtung der Gesellschaft auf der Grundlage der Institution des Staates breitete sich die patriarchale Familie unter der Führung des Mannes aus“, schreibt Abdullah Öcalan1. Diese so essenzielle Erkenntnis ist nicht Teil des kapitalistischen pro-imperialistischen Feminismus. Ein Feminismus, der die eigentlichen Machtverhältnisse sieht und ändern will, ist in dieser Perspektive unerwünscht.

Feministische Prozessbeobachtung

Der sonstige Prozess gegen Yildiz lässt sich bisher kurz so zusammenfassen: Die geladenen Zeug*innen, bekannt aus anderen Verfahren, sind ausschließlich Beamt*innen, beim BKA oder der Polizei tätig. Sie glänzten hauptsächlich durch ihre Ahnungslosigkeit über politische oder gesellschaftliche Hintergründe: Wer denn für den Anschlag in Suruç 2015 verantwortlich sei, wird ein Zeuge gefragt. Er überlegt sehr lange und antwortet dann, „die PKK vermutet eine Komplizenschaft der Türkei mit dem IS“. Auch der Einsatz von Chemiewaffen durch die Türkei, Begriffe wie „Verschwindenlassen“ und „Zwangsumsiedlungen“ sind ihm nicht bekannt. Die Türkei wird als Akteur staatlicher Gewalt größtenteils außer Acht gelassen, kritische Fragen dazu kommen weit überwiegend von der Verteidigung. Insgesamt wird deutlich, dass die Anklage nicht der Erfüllung des Straftatbestandes entspringt, sondern vom türkischen Faschismus eingeleitet wurde. Mit der Verfolgung von Kurdinnen und Kurden erweist sich die BRD weiterhin willig, Erdoğans Krieg gegen die Kurd*innen auch hier fortzuführen und damit mitunter die feministischen Errungenschaften der kurdischen Bewegung zu gefährden.

Im Schlusswort ihrer Erklärung sagt Yildiz, sie freue sich besonders über die vielen Frauen, die zum Prozess kommen und sich solidarisch zeigen. In diesem Sinne: Kommt zur feministischen Prozessbeobachtung, zeigt eure Unterstützung und Solidarität!

Der nächste Termin ist am Donnerstag, den 09. Januar 2020, um 9:00 Uhr am Kammergericht Schöneberg. Genauere Infos hier.

Fußnote

1 Öcalan, Jenseits von Staat, Macht und Gewalt, Mesopotamien Verlag 2015, S. 43.

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