Frankreich: Streikende besetzen den Sitz des Gewerkschafts­bundes CFDT: „Verhandelt nicht in unserem Namen!“

19.01.2020, Lesezeit 5 Min.
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[DOSSIER ZU STREIKS IN FRANKREICH] Am 44. Tag des Streiks besetzten Arbeiter*innen der französischen Transport- und Bahngesellschaften am Freitag den Sitz der CFDT, um sie zu warnen: "Verhandelt nicht in unserem Namen!" Die CFDT rief die Polizei, die die Streikenden am Ausgang erwartete.

Am Freitagmittag drangen mehrere Dutzend Mitglieder der Streikkoordination der RATP (U-Bahn und Busse) und der SNCF (Eisenbahnen) friedlich in den Sitz der CFDT (Französische Demokratische Konföderation der Arbeit) ein und sangen: „…auch wenn Berger nicht will, sind wir hier!“ Sie prangerten an, dass Berger, der Vorsitzende des Gewerkschaftsbundes, nie zum Streik aufgerufen hat und dennoch im Namen der Streikenden mit der Regierung über die Rentenreform verhandelt, welche die Streikenden als sozialen Rückschritt betrachten.

Diese symbolische Aktion hatte den ganzen Tag über eine enorme Wirkung. Zuerst verurteilte Berger selbst in einem Tweet die Aktion mit den Worten, es habe „verbale und physische Aggressionen der Beschäftigten“ gegeben, wobei er die „Koordination SNCF-RATP“ anprangerte.

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Anasse Kazib, einer der herausragenden Anführer des Streiks, drückte mit dem Megafon in der Hand „unsere ganze Solidarität mit den gewerkschaftlich organisierten CFDT-Bahnbeschäftigten aus, die immer noch streiken und die vollständige Rücknahme der Rentenreform fordern“. Der bekannte Aktivist erklärte, dass die Streikenden „nicht gekommen sind, um die CFDT anzuprangern, denn es gibt Mitglieder, die militant sind und Teil des Streiks sind, wir sind nicht gegen sie; wir sind gekommen, um diese Bürokraten und ihren Champion Laurent Berger anzuprangern“.

„Wir sind nicht gegen die Mitglieder der @CFDT, sondern gegen die Bürokratie, die hier den Namen Laurent Berger trägt und dabei ist, den sozialen Rückschritt auszuhandeln“, erklärt @AnasseKazib vor dem Hauptsitz der #CFDT. @CfdtBerger #greve17janvier

Obwohl die CFDT bei den Verhandlungen einen besonders wichtigen Platz einnahm, betonten die Streikenden, dass die CFDT in den beiden Hochburgen des Streiks keine Legitimität besitzt, um mit der Regierung zu verhandeln: In der RATP ist die Gewerkschaft CFDT nicht repräsentativ, während die CFDT-Mitglieder in der SNCF die vollständige Rücknahme der Rentenreform ohne Verhandlungen fordern – eine Position, die weit von der des Sekretärs des Gewerkschaftsbundes entfernt ist.

Aber die Frage der Verhandlungen mit der Regierung war nicht die einzige Sorge der Streikenden. Nach anderthalb Monaten Streik stand auch die Frage der Streikkasse im Mittelpunkt ihrer Reden: „Sie haben 126 Millionen Euro in der Kasse. Diese 126 Millionen müssen den Streikenden, ob gewerkschaftlich organisiert oder nicht, gegeben werden, damit sie Widerstand leisten können“, rief Anasse Kazib am Mikrofon und prangerte an, dass bisher kein Gewerkschaftsbund eine wirkliche finanzielle Solidarität mit den Streikenden aufgebaut hat.

Gegenüber den Streikenden war die Reaktion der anwesenden Gewerkschaftsfunktionär*innen besonders heftig: „Geht wieder an die Arbeit“, schrie sie einer von ihnen sogar an. Sie wagten es sogar, die Polizei zu rufen, um sie zu vertreiben. Dass eine Organisation, die behauptet, Teil der Arbeiter*innenbewegung zu sein, die Polizei ruft, ist ein klares Zeichen für die Politik der Gewerkschaftsführung, die, wie die Streikenden sagten, „das Gewicht der Ketten“ aushandelt, die die Arbeiter*innen niederhalten sollen.

Am Nachmittag trat das gesamte französische Regime an die Öffentlichkeit, um den „Soldaten“ Berger zu verteidigen, einschließlich der Anführer*innen der Gewerkschaftszentralen CGT und FO, die sich von der Aktion der Streikenden distanzierten. So auch der ehemalige Präsident Hollande (Sozialistische Partei), der die Bedeutung des „Respektierens der Gewerkschaften“ hervorhob. „In einer Demokratie müssen wir uns gegenseitig respektieren. Wir müssen die Gewerkschaften respektieren: ob sie protestieren, ob sie auf der Straße sind oder ob sie verhandeln und Kompromisse eingehen.“

Emmanuel Macron seinerseits, der gestern keinen guten Tag hatte, sagte den Medien: „Ich verurteile aufs Schärfste, was heute Nachmittag passiert ist. Diese Gewalt ist eine Schande für unsere Demokratie und nicht hinnehmbar“. Kurz darauf wurde er bei einem Besuch eines Theaterstücks in Paris von den Leuten so sehr ausgepfiffen, dass er zu seiner Sicherheit entfernt werden musste.

Am selben Freitag führten die kämpferischsten Sektoren der Bewegung eine dritte Kampfaktion durch, diesmal im berühmten Louvre-Museum, wo sie an den Türen standen und den Eintritt blockierten, um den historischen Angriff auf die Errungenschaften der Arbeiter*innen, den Macron durchsetzen will, sichtbar zu machen.

Diese Sektoren der kämpferischen Streikenden haben sich über ein Koordinationsgremium organisiert, um die vollständige Rücknahme der Rentenreform zu erreichen und die Hindernisse zu überwinden, die von der Gewerkschaftsführung auferlegt wurden. Denn diese versucht, hinter dem Rücken der streikenden Sektoren, die weiter kämpfen wollen, mit der Regierung zu verhandeln.

Dieser Artikel erschien zuerst am 18. Januar 2020 bei La Izquierda Diario.

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