Frankreich: Repression der Bosse tötet Eisenbahner. Eine Hommage an Edouard

14.03.2017, Lesezeit 5 Min.
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Am 10. März nahm sich Edouard, ein Arbeiter der staatlichen Eisenbahngesellschaft SNCF, das Leben. Hintergrund für diesen Suizid war die unerträglich gewordenen Repression seitens der Bosse. Ein solidarischer, aber auch gleichzeitig kämpferischer Nachruf an den Gewerkschafter der SUD Rail.

Im Klassenkampf sind wir es gewohnt, dass die Kapitalseite mit Repressionen auf kämpferische Arbeiter*innen reagiert. Erst recht, wenn sie streiken und erst recht, wenn sie zum wohl kämpferischsten Sektor der französischen Arbeiter*innenklasse gehören: Die Rede ist von den Eisenbahnarbeiter*innen, den cheminots, die bei der SNCF angestellt sind. Die meisten von ihnen sind bei der SUD (eine auch von Trotzkist*innen aufgebaute Gewerkschaft, die für Solidaire, Unitaire und Democratique steht) und der bekannten CGT (Allgemeiner Gewerkschaftsbund) organisiert. Während des Kampfes gegen das neue Arbeitsgesetz standen die cheminots nicht nur an vorderster Front, sondern führten zugleich selbst eine Tarifauseinandersetzung um bessere Bezahlung und Arbeitsbedingungen. Und selbst als der Kampf gegen das verschärfte Arbeitsgesetz in den Wintermonaten an Dynamik verlor, gaben die Cheminots nicht auf, sondern kämpften weiter.

Kein Unfall, sondern ein Mord! Ein Verbrechen!

In diesem Jahr traten sie bereits zwei Mal in Streik, zunächst am 23. Januar. Edouard war Teil dieser kämpfenden Sektoren, obwohl er ein Handicap hatte. Was ihn jedoch besonders auszeichnete, war, dass er sich gegen die Repressionen der SNCF auflehnte, die seit Monaten gegen ihn anhielten. Auch deswegen stand er kurz vor der Entlassung, hatte bereits eine letzte Abmahnung und eine Strafversetzung bekommen. Das Ziel der unmenschlichen Repression der SCNF ist es, alle Arbeiter*innen loszuwerden, die der Geschäftsführung etwas entgegen setzen wollen. Dadurch wurde der Kollege und Genosse Edouard in den Tod getrieben, indem er sich vor einen Zug warf. Dieser eklatante Fall zeigt auf, dass es eben kein Unfall, sondern ein Mord war:

Wenn ein einzelner einem andern körperlichen Schaden tut, und zwar solchen Schaden, der dem Beschädigten den Tod zuzieht, so nennen wir das Totschlag; wenn der Täter im voraus wußte, daß der Schaden tödlich sein würde, so nennen wir seine Tat einen Mord. Wenn aber die Gesellschaft Hunderte von Proletariern in eine solche Lage versetzt, daß sie notwendig einem vorzeitigen, unnatürlichen Tode verfallen, einem Tode, der ebenso gewaltsam ist wie der Tod durchs Schwert oder die Kugel; wenn sie Tausenden die nötigen Lebensbedingungen entzieht, sie in Verhältnisse stellt, in welchen sie nicht leben können; wenn sie sie durch den starken Arm des Gesetzes zwingt, in diesen Verhältnissen zu bleiben, bis der Tod eintritt, der die Folge dieser Verhältnisse sein muß; wenn sie weiß, nur zu gut weiß, daß diese Tausende solchen Bedingungen zum Opfer fallen müssen, und doch diese Bedingungen bestehen läßt – so ist das ebensogut Mord wie die Tat des einzelnen, nur versteckter, heimtückischer Mord, ein Mord, gegen den sich niemand wehren kann, der kein Mord zu sein scheint, weil man den Mörder nicht sieht, weil alle und doch wieder niemand dieser Mörder ist, weil der Tod des Schlachtopfers wie ein natürlicher aussieht und weil er weniger eine Begehungssünde als eine Unterlassungssünde ist. Aber er bleibt Mord.

Dieses Zitat stammt von Friedrich Engels‘ Frühwerk Zur Lage der arbeitenden Klasse in England, das vor über 172 Jahren geschrieben wurde. Doch das Elend der Arbeiter*innen geht weiter, Repression folgt Repression, eine Lohnkürzung jagt die nächste, weil die Krise auf den Schultern unserer Klasse abgeladen werden, weil die übersättigten Bosse nicht genug kriegen können. Die Kapitalherrschaft ist der Grund, warum unsere Klassengeschwister wie Edouard in den Tod getrieben werden. Wie schon damals in England, weiß die heutige herrschende Klasse in Frankreich,

[…] daß sie die Arbeiter in eine Lage versetzt hat, in der diese nicht gesund bleiben und nicht lange leben können; daß sie so das Leben dieser Arbeiter stückweise, allmählich untergräbt und sie so vor der Zeit ins Grab bringt; […] daß die Gesellschaft weiß, wie schädlich eine solche Lage der Gesundheit und dem Leben der Arbeiter ist, und daß sie doch nichts tut, um diese Lage zu verbessern. Daß sie um die Folgen ihrer Einrichtungen weiß, daß ihre Handlungsweise also nicht bloßer Totschlag, sondern Mord ist.


Dieser Mord wird nicht ungesühnt bleiben. Unsere Trauer verwandelt sich in Wut und diese Wut wird dafür sorgen, dass wir über den heutigen Schmerz über den schrecklichen Verlust unser aller hinauskommen werden, dass der Tag kommen wird, an dem sie nicht ungestraft einen der unseren töten können.

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