EU-Libyen-Deal: Festung Europa baut ihre eigene Mauer weiter aus

06.02.2017, Lesezeit 4 Min.
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Nach dem EU-Türkei-Deal und den Massenabschiebungen nach Afghanistan kommt der nächste blutige Streich der europäischen Migrationspolitik: Um die „Mittelmeerroute“ zu kappen, wurde nun eine enge Zusammenarbeit mit dem von Bürger*innenkrieg geplagten und gespaltenen Libyen beschlossen.

Viel Kritik ist in den letzten Tagen von den europäischen Regierungen an Trumps Plänen zum Bau einer Mauer und dem Einreisestopp geübt worden. Doch gut eine Woche nach Trumps Ankündigungen scheinen sich die Regierungschefs von 27 EU-Ländern ein Beispiel an dieser unmenschlichen und rassistischen Politik genommen zu haben: Denn nichts anderes als ein Einreisestopp für Hunderttausende Geflüchtete – und für viele von ihnen das Todesurteil – ist der Zehn-Punkte-Plan, den der EU-Sondergipfel in Malta zur vertieften Zusammenarbeit mit Libyen beschlossen hat. Die Mauer um die Festung Europa wird nun noch einige Meter höher.

Ein immer schärferes Grenzregime

Tatsächlich ist diese Politik wesentlich älter als Trumps Präsidentschaft. Vergangenes Jahr beschloss die Bundesregierung mit der türkischen Regierung den EU-Türkei-Deal, laut dem die Türkei alle Geflüchteten auf dem Weg nach Europa aufhalten sollte. Im Gegenzug flossen Milliardenhilfen und weitere materielle Zuwendungen. Das Gros der Geflüchteten erreichte daher 2016 Europa über die lebensgefährliche Mittelmeerroute.

180.000 Menschen kamen so im letzten Jahr hauptsächlich aus Libyen nach Italien und andere europäische Mittelmeeranrainer. Dabei starben bis zu 5.000 Geflüchtete aufgrund der widrigen Bedingungen und der Politik der Grenzschutzbehörde Frontex. Aktuell warten rund 350.000 weitere Menschen auf besseres Wetter, um das Mittelmeer nach Europa hin überqueren zu können.

Deswegen schloss Bundeskanzlerin Angela Merkel schon im letzten Jahr sogenannte „Migrationspartnerschaften“ mit verschiedenen afrikanischen Staaten. Diese sollten dazu gebracht werden, ihre Bevölkerung von der Flucht abzuhalten und abgelehnte Geflüchtete wieder aufzunehmen. Zu diesen Ländern gehört unter anderem Mali, in dem große Kontingente französischer, deutscher und anderer imperialistischer Armeen stationiert sind. Auch die Versuche der Bundesregierung, Marokko, Algerien und Tunesien zu „sicheren Herkunftsstaaten“ zu erklären, um massiv in die Maghreb-Staaten abzuschieben, gehören zu dieser Unternehmung.

Der jetzt beschlossene Zehn-Punkte-Plan mit Libyen ist also nur ein weiteres Puzzlestück dieser unmenschlichen Politik. Der Plan sieht die Unterstützung lokaler Institutionen wie der „Einheitsregierung“ in Tripolis vor. Dazu kommt die Ausbildung und Ausrüstung der Küstenwache, der Bau von Geflüchtetenlagern, die Stärkung des libyschen Grenzschutzes zu anderen afrikanischen Ländern, Kampagnen gegen „illegale Migration“, die Überwachung von Alternativrouten und sogar die verstärkte Zusammenarbeit, um die Rückführung „nicht schutzbedürftiger“ Menschen zu ermöglichen.

Zwangslager, Chaos, Krieg in Libyen

Dabei steckt Libyen seit den imperialistischen Bombardements 2011 in einem nicht endenden Bürger*innenkrieg. Milizen teilen sich mit verschiedenen „Regierungen“ und Machtzentren das gespaltene Staatsgebiet auf. Die „Einheitsregierung“, mit der die EU zusammenarbeitet, existiert seit nicht einmal einem Jahr.

Zudem erhob zuletzt sogar die deutsche Botschaft in Niamey, Niger, schwere Vorwürfe ob der grausamen Bedingungen in den Camps, in denen die Schlepper die Geflüchteten vor der Überfahrt einsperren. In diesen Lagern kommt es zu Zwangsarbeit, Vergewaltigungen, Menschenhandel, Folter und systematischen Erschießungen, wie Hunderte Zeug*innen und Video-Aufnahmen berichten. In der Korrespondenz der Botschaft in Niamey ist von „KZ-ähnlichen Zuständen“ die Rede.

Amnesty International hatte vor kurzen einen Bericht veröffentlicht, in dem Geflüchtete von Angriffen mit Schüssen und Schlägen durch die Küstenwache sprechen. Ein anderes Boot mit 120 Menschen und defektem Motor sei sich selbst überlassen worden. Arjan Hehenkamp von Ärzte ohne Grenzen zeigt auf, dass die EU und die UNO aufgrund der damit verbundenen Gefahren überhaupt nicht in Libyen aktiv seien. Die Stärkung der Strukturen vor Ort mache die Situation noch schlimmer.

NGO’s wie Pro Asyl warnen deshalb zu Recht vor den drohenden Menschenrechtsverletzungen des inhumanen „EU-Libyen-Deals“. Doch es ist deutlich, dass diese Verletzungen kein fehlerhaftes Abgleiten, sondern Teil der DNA der europäischen Migrationspolitik sind, die Trumps fremdenfeindlicher Abschottungspolitik in nichts nach steht.

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