Eine Welle von Betriebsschließungen: Wie die russische Arbeiter:innenklasse für die Sanktionen der EU und der USA bezahlt

10.03.2022, Lesezeit 5 Min.
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Foto: Sandra Cohen-Rose and Colin Rose

Inditex entlässt 9.000 Mitarbeiter:innen; Ikea weitere 12.000 Angestellte; McDonald's zählt 62.000 und PepsiCo 60.000 Entlassene. Mehr als 300 Unternehmen haben bereits beschlossen, Russland zu verlassen oder ihre Geschäfte einzuschränken.

Am Dienstagnachmittag kündigten einige Unternehmen an, die sinnbildlich für den Kapitalismus stehen, ihre Aktivitäten in Russland einzustellen oder einzuschränken. McDonald’s, Coca-Cola, Pepsi und Starbucks werden ihre Restaurants schließen oder ihre Ware aus den Supermarktregalen nehmen. Sie reihen sich damit in eine Liste von 300 multinationalen Unternehmen ein, die ähnliche Entscheidungen getroffen haben, darunter Amazon, Ericsson, Ikea und Inditex.

Die Mainstream-Medien berichten mit unverhohlener Kriegsbegeisterung: „Endlich wird die Reißleine gezogen.“ Aber man muss sich nicht großartig Mühe geben, um sich vorzustellen, was eine solche Entscheidung für Tausende von Arbeiter:innen bedeutet.

Es reicht, wenn wir in Bereichen arbeiten, gearbeitet haben oder jemanden kennen, der Hamburger serviert, Pakete ausliefert, in einem Bekleidungs-, Möbel- oder Elektrogeschäft arbeitet oder Fabrikarbeiter:in ist. Mit anderen Worten: Es reicht, ein Teil der großen gesellschaftlichen Mehrheit, der Arbeiter:innenklasse, zu sein, um zu verstehen, was es bedeutet, wenn das eigene Unternehmen von einem auf den anderen Tag beschließt, zu schließen.

Wenn zu der Tatsache, nun auf der Straße zu stehen, noch die Tatsache hinzukommt, unter einem autoritären Regime leben zu müssen, welches aufgrund des Wirtschaftskrieges dazu führt, dass Menschen sich inmitten eines historischen Verfalls der Währung und der Löhne wiederfinden, dann sollte klar sein, dass sie gerade zum Elend verurteilt werden.
Die Gesamtzahl der Entlassungen ist noch nicht bekannt. Angesichts der Größe der Belegschaften dieser multinationalen Unternehmen erlebt Russland allerdings eine Entlassungswelle von stratosphärischem Ausmaß.

McDonald’s allein hat 62.000 Beschäftigte; Starbucks hat 2.000 direkt Beschäftigte (es gibt keine genauen Angaben zu den Franchise-Filialen); Pepsi ist mit 20.000 Beschäftigten in den Fabriken und 40.000 auf dem Land, zum drittgrößten Standort nach den USA und Mexiko. Ikea, das coole Unternehmen der Abholzung, wird auch weitere 12.000 Mitarbeiter:innen entlassen.

Einige Manager:innen dieser Unternehmen geben vor, die Folgen ihrer Entscheidung abfedern zu wollen. Beispielsweise McDonald’s verspricht die Gehälter ihrer Mitarbeiter:innen beizubehalten. Sollte der Konflikt jedoch länger andauern, wird diese Abfederung sehr wahrscheinlich ausgesetzt werden. Ähnlich verspricht das auch Starbucks. Pepsi wird vorerst einige Arbeitsplätze im Zusammenhang mit der Herstellung von Grundnahrungsmitteln beibehalten, um damit die 20.000 russischen Fabrikarbeiter:innen und die 40.000 russischen Landarbeiter:innen, die Teil der Lieferketten sind, weiterhin zu unterstützen. Doch mit welchen konkreten Beiträgen, geben sie nicht Preis.

„Die Bevölkerung des Feindes aushungern”: Das ist die Parole unter der die Sanktionen der EU und der NATO beschlossen wurden. Wie bereits im Falle von dem Iran oder Venezuela, werden diese Sanktionen die russische Arbeiter:innenklasse und den öffentlichen Sektor Russlands direkt treffen.

In den 1930er Jahren warnte Trotzki schon vor den Sanktionen Chamberlains gegen das von Lázaro Cárdenas’ geführte Mexiko: „Boykott bedeutet bekanntlich immer Selbstboykott“. Die Auswirkungen dieses Wirtschaftskriegs machen sich bereits in der Eskalation der Preise in den imperialistischen Ländern selbst bemerkbar. Die Arbeiter:innenklasse erlebt zurzeit eine Gaspreiserhöhung und Inflation, wie es sie seit der Krise der 1970er Jahre nicht mehr gegeben hat. Angesichts dessen fordern vermeintlich progressive Machthaber:innen wie Ursula von der Leyen die Arbeiter:innen auf, sich auf große Veränderungen vorzubereiten und Energie einzusparen.

Wie verschiedene humanitäre Organisationen, wie z.B. Save the Children, bereits seit langem warnen, könnten die Folgen auf den Getreidemärkten zu sehr ernsten Nahrungsmittelkrisen in ganzen Regionen wie Nordafrika und dem Nahen Osten führen.

Der Widerstand gegen die russische Invasion in der Ukraine und die Eskalation der Kriegstreiberei des europäischen und US-amerikanischen Imperialismus bedeutet daher auch, sich dieser speziellen Form des Krieges, dem Wirtschaftskrieg, entgegenzustellen. Es reicht nicht aus, dass sich die imperialistischen Länder gegen die Entsendung von NATO-Soldaten und Waffen nach Osteuropa wehren. Noch viel weniger reicht es aus, wie es Parteien wie Die Linke oder die Grünen tun, die sich als Pazifisten präsentieren, zu argumentieren, dass die Alternative zur Kriegstreiberei Sanktionen und Hungerblockaden sind.

Genauso wie die Arbeiter:innenklasse in jedem Land gegen die Kriegstreiberei der eigenen Regierungen kämpfen und einen von ihnen unabhängigen Kampf gegen die russische Invasion in der Ukraine unterstützen muss, müssen wir uns laut und deutlich gegen all diese Sanktionen wenden, die darauf abzielen, die Arbeiter:innen und Bevölkerungen der Welt, für die Kosten ihres Krieges zahlen zu lassen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf Spanisch bei unserer Schwesterseite La Izquierda Dario.

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