Eine Viertelmillion Menschen gegen TTIP und CETA

12.10.2015, Lesezeit 4 Min.
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// FREIHANDEL: Berlin hat sein zehn Jahren keine so große Demonstration mehr erlebt. Am Samstag protestierten bis zu 250.000 Menschen gegen TTIP (die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft) und CETA (Umfassendes Wirtschafts- und Handelsabkommen). //

Es waren so viele Demonstrant*innen, dass Berlins Hauptbahnhof zeitweilig geschlossen werden musste. Zehntausende Menschen versammelten sich am Washingtonplatz. Von dort waren noch nicht alle Protestierenden losgelaufen, als die Abschlusskundgebung an der Siegessäule schon begonnen hatte. Insgesamt waren bis zu eine Viertelmillion Menschen auf der Straße. Sie waren mit 600 Bussen und fünf Zügen aus ganz Deutschland angereist.

#NoTTIP war das Motto des Protests gegen das geplante Freihandelsabkommen zwischen den USA und der Europäischen Union. Die Verhandlungen, die seit mehr als zwei Jahren im Geheimen ablaufen, zielen darauf ab, die Märkte zu liberalisieren, indem soziale, Umwelts- und Arbeitsstandards „angeglichen“ (d.h. eliminiert) werden. Das Abkommen würde „Investorenschutz“ garantieren, indem Konzernen erlaubt wird, Staaten vor privaten Schiedsgerichten wegen Gewinnverlusten aufgrund von Regulierungen zu verklagen.

Weil drei Millionen Menschen eine Petition dagegen unterschrieben haben, könnten die von Konzernen dominierten „Schattengerichte“ durch öffentliche Handelsgerichte ersetzt werden. Das gilt allerdings nicht für das kanadisch-europäische Gegenstück des Abkommens, CETA, welches eine viel unmittelbarere Gefahr darstellt, weil dort die Verhandlungen schon abgeschlossen sind. Schon jetzt haben 82 Prozent aller großen US-Unternehmen ihren Firmensitz in Kanada, wodurch diese multinationalen Konzernen auch von CETA profitieren würden – der Rest wird sicher nicht lange auf sich warten lassen. Die Ratifizierung des Abkommens wird bald erwartet.

170 verschiedene Organisationen – inklusive Gewerkschaften, Umwelt- und Verbraucher*innenschutzorganisationen, sowie politische Parteien wie die Grünen oder die Linkspartei – hatten zu der Demonstration aufgerufen. Das Event war von den reformistischen Apparaten professionell organisiert worden, um – in den Worten des ersten Redners, dem linken Sozialdemokraten Michael Müller – die „Demokratie zu verteidigen“ und „gerechten Handel“ zu sichern.

Sie tun so, als ob Deutschland kein zentrales imperialistisches Land wäre, welches sich mit Waffenexporten, Militäreinsätzen und finanzieller Ausplünderung anderer Länder bereichert. Am Extremsten drückte das ein rechter, nationalistischer, verschwörungstheoretischer Sektor der Demonstration aus, der behauptete: „Merkel verkauft uns an die USA.“ Aber um fair zu sein, haben die Organisator*innen sichergestellt, dass viele US-amerikanische Aktivist*innen von der Bühne sprechen konnten, um eine internationale Perspektive des Widerstands von beiden Seiten des Atlantiks aufzuzeigen.

In Wahrheit ist es so, dass deutsche Konzerne genauso wie ihre US-amerikanischen Konkurrent*innen von „Freihandels“-Regeln profitieren, die Umweltschutz unterminieren – wie kürzlich beim Volkswagen-Skandal bestätigt. Die Vertreter*innen des deutschen Kapitals sind energisch in ihrer Verteidigung von TTIP.

„Eine Absenkung der erreichten Standards wird es nicht geben“, versprach Sigmar Gabriel (SPD), Merkels Wirtschaftsminister, in ganzseitigen Anzeigen in allen großen Zeitungen. Die Regierung hat keine Kosten gescheut, und die Unternehmer*Innenverbände BDA und BDI taten es ihr gleich. „Gerade Deutschland lebt von offenen Märkten“, sagte Matthias Wissmann, Chef des Verbandes der Automobilindustrie (VDA). Die Herren der deutschen Wirtschaft sehen keinerlei Gefahr für ihre Souveränität.

Die Demonstration zog eine riesige Zahl von Menschen aller Altersstufen an. Das war auch die größte  Versammlung von Gewerkschafter*innen seit mehreren Jahren. Die Ziele von Demokratie und Gerechtigkeit können jedoch nicht durch eine versuchte Rückkehr zur nationalen Souveränität erreicht werden. Nur die internationale Solidarität der Arbeiter*innen kann eine Basis für „gerechten Handel“, d.h. für eine Produktion auf der Grundlage der Bedürfnisse aller, nicht die Profite einiger weniger Kapitalist*innen, legen. Das war die Perspektive, die Revolutionär*innen bei der Demonstration vertreten haben.

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