Ein historischer Streik endet, ein weiterer beginnt

16.05.2015, Lesezeit 6 Min.
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// Die Streikkonjunktur in Deutschland steigt an. Am Sonntag endete der achte Streik der LokführerInnen-Gewerkschaft, der längste Streik in der Geschichte der Deutschen Bahn. Am vergangenen Freitag begann der erste unbefristete Streik der Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst: zuerst in einigen Bundesländern, seit Montag deutschlandweit. Eine historische Neuheit. //

Am vergangenen Montag begann der achte Streik der Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL) gegen den Staatskonzern Deutsche Bahn AG (DB). Zuerst gingen die LokführerInnen im Güterverkehr in den Streik, gefolgt von den LokführerInnen im Personenverkehr am Dienstag. Diese Arbeitskampfmaßnahme – die vom Unternehmen, von der Regierung und von den Medien scharf angegriffen wurde, indem sie der GDL „Geiselnahme der Bevölkerung“ vorwarfen – dauerte sechs Tage und endete am Sonntag um 9 Uhr. Damit ging sie in die Geschichte als der längste Streik in der Geschichte der Deutschen Bahn ein.

Laut dem Unternehmen kostete der Streik zehn Millionen Euro täglich, was sich zu einer Gesamtsumme von 220 Millionen Euro seit Beginn des Konflikts vor mehr als acht Monaten summiert. Zusätzlich zu dieser Summe schätzen die VertreterInnen des Kapitals, dass der Streik der deutschen Wirtschaft rund 500 Millionen Euro an weiteren Kosten verursacht. Regierungsnahe WirtschaftswissenschaftlerInnen behaupten, dass sich die Wachstumsprognose der BRD allein durch diesen Streik um 0,1 Punkte senken wird.

Der harte Arbeitskampf bei DB fordert bessere Löhne und geringere Arbeitszeiten, aber im Grunde geht es um viel mehr. Die deutsche Regierung möchte ein neues Gesetz zur Regulierung von Tarifauseinandersetzungen einführen, das „Tarifeinheitsgesetz“. Dieses beschränkt das Streikrecht auf diejenigen Gewerkschaften, die in einem bestimmten Betrieb die meisten Beschäftigten organisieren. Und bei der Deutschen Bahn existiert eine zweite Gewerkschaft, die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), der die GDL ihren Einfluss streitig macht. Auch wenn diese regierungsnahe Gewerkschaft sich auch in einem Konflikt mit dem Unternehmen befindet, stellt sie sich stark gegen den GDL-Streik, weil sie Angst davor hat, dass die GDL ihr Mitglieder streitig machen könnte, falls sie aus ihrem Konflikt mit der Geschäftsführung siegriech hervor geht.

So kommt es, dass die EVG ebenfalls die wildgewordene mediale und politische Kampagne gegen den GDL-Streik unterstützt, trotz der ironischen Situation, dass auch ihre Verhandlungen mit der DB-Spitze stocken und sie deshalb mit eigenen Streiks droht. Schon jetzt malen die deutschen Medien das Bild eines „Megastreiks“, der schon nächste Woche beginnen könnte.

Währenddessen begann die GDL nach dem Ende ihres letzten Streiks, die Medienkampagne gegen sie dadurch abzubremsen, dass sie vorerst auf weitere Streiks verzichten und erst einmal auf neue Verhandlungen warten will. Ob diese Strategie erfolgreich sein wird, ist fraglich. Der GDL-Apparat ist bisher der Notwendigkeit ausgewichen, eine große Solidaritätskampagne mit dem Kampf der LokführerInnen zu organisieren, ganz zu schweigen von der Notwendigkeit, die Zwangsgesetzgebung der Regierung politisch zu bekämpfen. Denn obwohl der Gesetzesentwurf sich gegen alle Spartengewerkschaften und Minderheitengewerkschaften richtet, ist der Öffentlichkeit klar, dass es sich um ein „Anti-GDL-Gesetz“ handelt.

Trotzdem gibt es in der deutschen Linken und in einem breiten Teil der Bevölkerung eine große Solidarität mit dem Streik der GDL – ein Zeichen dafür, wie weit von der Wahrheit die Behauptung der deutschen Bourgeoisie und ihrer Medien ist, dass die LokführerInnen die Bevölkerung „Geisel nehmen“ würden. Nichtsdestotrotz wird der Kampf ohne eine Strategie, die sich direkt der deutschen Regierung und ihrem Versuch, das Streikrecht kämpferischer Sektoren einzuschränken – eine Strategie, die die GDL-Bürokratie nicht besitzt –, nicht gewonnen werden können.

Dafür wird auch die Solidarität der Basis der EVG mit dem Kampf der GDL notwendig sein, in der Perspektive eines gemeinsamen Streiks, der die tendenziöse Berichterstattung Lügen straft, die die „verrückte“ GDL der „vernünftigen“ EVG gegenüberstellt. Andernfalls werden sie die wirklichen „Geiseln“ im Konflikt zwischen ihren Gewerkschaftsapparaten werden.

Ein weiterer historischer Streik

Noch war der Streik der LokführerInnen nicht zu Ende, als schon der nächste Streik begann, der schon jetzt historisch ist. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di rief am vergangenen Freitag zehntausende Erzieherinnen zu einem unbefristeten Streik in mehreren Bundesländern auf.

Noch nie zuvor wurden die Erzieherinnen zu einem unbefristeten Streik aufgerufen. Am Montag wurde der Streik auf ganz Deutschland ausgeweitet, mit mehr als 40.000 Arbeiterinnen im Arbeitskampf im ganzen Land. Die Kolleginnen fordern eine höhere Eingruppierung, die zu einer durchschnittlichen Lohnerhöhung von zehn Prozent führen würde. Dies geschieht im Rahmen einer Kampagne für die Aufwertung des Berufs, da die Beschäftigten der Kindertagesstätten historisch zu den schlechtbezahltesten ArbeiterInnen gehören.

Dagegen hatten sie schon häufiger gestreikt, wie 2009 und 2013, aber bisher konnten sie keine substanziellen Erhöhungen durchsetzen. In diesem Rahmen kann der Beginn des unbefristeten Streiks als nicht weniger als historisch bezeichnet werden.

Dieser Streik findet statt im Kontext eines allgemeineren Anstiegs der Streikkonjunktur in Deutschland, wo immer mehr Sektoren von ArbeiterInnen nach mehr als einem Jahrzehnt extremer Zurückhaltung sowohl in den Forderungen als auch in den Methoden zu kämpfen beginnen, um bessere Lebensbedingungen zu erstreiten.

Der Streik in den Kindertagesstätten zielt auch auf eine andere Forderung mit grundlegender Wichtigkeit ab: das Ende der Gehaltslücke zwischen Männern und Frauen, die in Deutschland im Durchschnitt immer noch 23 Prozent betrifft. Fast alle Kita-Beschäftigten sind Frauen, und ihre Sorgearbeit wird in dieser kapitalistischen Gesellschaft traditionell als „weiblich“ definiert. Deshalb ist der Kampf für bessere Löhne im Sozial- und Erziehungsdienst auch ein Kampf für die Rechte der Frauen.

dieser Artikel erschien zuerst auf Spanisch auf LaIzquierdaDiario

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