Ein Erdbeben in Südamerika eröffnet die Debatte über den Imperialismus

28.04.2016, Lesezeit 4 Min.
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Am Abend des 16. April ereignete sich an der Küste Ecuadors ein Erdbeben der Stärke 7,8. Es war damit das stärkste Beben in diesem Land seit 70 Jahren. Die Zahl der Opfer ist verheerend: 655 Tote, 48 Vermisste, 17.638 Verletzte und 29.067 Menschen, die ihre Häuser verloren.

Esmeraldas und Manabí sind die Provinzen, die am härtesten von dem Beben getroffen wurden. Beides sind Gebiete mit einer hohen Armutsrate, die in einigen Gebieten bis zu 70 Prozent der Bevölkerung umfasst. Die Regierung unter Rafael Correa, die seit 2007 an der Macht ist und der Tradition von Chávez, dem „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“, folgt, hat es in neun Jahren nicht geschafft, diese Millionen von Menschen aus der Armut zu befreien. Im Gegenteil ist sie mit ihrer sozialpartnerschaftlichen Politik der Almosen und Steuererhöhungen in eine Sackgasse geraten.

Dem Großteil der Bevölkerung fehlen die Mittel, um Häuser zu bauen, die solchen Erdbeben standhalten können. Das Ergebnis sind prekäre Bauten, die bald einstürzen. Des Weiteren hat das Erdbeben große Teile der Infrastruktur zerstört, viele Landstraßen sind unbefahrbar, betroffenen Gemeinden fehlen Strom, Wasser und Zugang zu notwendigen Medikamenten und Lebensmitteln. Was als Naturkatastrophe beginnt, verwandelt sich sofort in eine soziale Katastrophe, die vor allem die arme Bevölkerung, Arbeiter*innen, Jugendliche, Frauen und Kleinstunternehmer*innen trifft.

Diese soziale Katastrophe, die ausgelöst wurde, kann durch die aktuelle Politik jedoch nicht gelöst werden. Obwohl die Solidarität der Bevölkerung erstaunlich ist, reicht sie dennoch nicht aus. Viele organisieren sich in anderen Teilen des Landes, um Lebensmittel einzukaufen, anstatt dass die großen Lebensmittelkonzerne diese einfach zur Verfügung stellen. NGOs und Stiftungen verteilen aus ihrer privilegierten Position heraus Lebensmittel und Güter, statt aus basisdemokratischer Organisierung heraus selbst von den Betroffenen entschieden wird, was sie am meisten nötig haben.

Die angeblich „sozialistische“ Regierung biedert sich an die Bourgeoisie an, anstatt notwendige Industrien zu verstaatlichen und somit effektiver helfen zu können. Eine Sofortmaßnahme war die Erhöhung der Mehrwertsteuer, wodurch die Bevölkerung selbst für die Schäden zahlen muss. Außerdem wurde ein Ausnahmezustand beschlossen, der Plünderungen verhindern und die Bevölkerung „unter Kontrolle“ halten soll. Währenddessen vertröstet Correa sie darauf, dass die Probleme bald beendet werden. Diese Rolle soll vom Militär übernommen werden, das zu Tausenden in die betroffenen Gebiete geschickt wird und damit ihr Ansehen als „demokratische Institution“ aufbessern kann. Um die Unzufriedenheit mit diesen Maßnahmen abzuschwächen, möchte die Regierung eine „nationale Einheit“ herstellen, die in „Krisenzeiten zusammenstehen“ muss. Das verbirgt jedoch, wer wirklich unter der sozialen Katastrophe zu leiden und wer die Kosten zu zahlen hat.

Die Folgen des Erdbebens werden somit noch Jahre andauern. Da der Staat schon seit geraumer Zeit stark verschuldet ist und sich aus seiner halbkolonialen Abhängigkeit nicht befreit hat, werden für viele Güter die Steuern erhöht und die Kaufkraft der Bevölkerung nimmt ab. Nun werden Milliarden in Reparatur investiert werden müssen, was die Krise nur noch verstärken wird. Deshalb hat der Imperialismus, vor allem der US-amerikanische, eine große Verantwortung an den aktuellen Leiden der ecuadorianischen Bevölkerung.

Währenddessen sind sich viele in Deutschland, große Teile der politischen Linken mit eingeschlossen, dieser Situation nicht bewusst. Die bürgerlichen Medien berichten oberflächlich über die Situation, eine politische Analyse fehlt. Die bürgerlichen Medien offenbaren wieder einmal ihr chauvinistisches Gesicht und erachten einen Bericht nur für nötig, wenn ein deutsches Leben dabei umkommt. Das Leiden der einen und Schweigen der Anderen in diesen Fällen zeigt uns eine der abscheulichsten Seiten der kapitalistischen Weltordnung: je weiter weg von den imperialistischen Zentren, je dunkler die Hautfarbe und je unwichtiger für das Kapital, desto weniger wert ist ein Menschenleben.

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