Diego Maradona ist tot

25.11.2020, Lesezeit 8 Min.
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Argentinische Zeitungen geben bekannt, dass der kürzlich 60 Jahre alt gewordene Fußballstar Diego Maradona heute verstarb. Er wurde in der Gated Community in Tigre (Großraum Buenos Aires) behandelt, in die er nach seiner Kopfoperation von vor einigen Wochen zog. Wer war Maradona und was bedeutet sein Tod für das Land?

Am heutigen Mittwoch, den 25. November, ist Diego Maradona verstorben. Der beste Fussballspieler der Geschichte starb im Alter von 60 Jahren nach einem Atemstillstand.

Maradona wurde am 30. Oktober 1960 in Fiorito, einer villa, einem Slum, der Stadt Lanús, in der Provinz Buenos Aires, geboren. Wie viele Kinder träumte er davon, einmal bei einer Fußballweltmeisterschaft zu spielen. Und tatsächlich zeigte er schon als Kind ein enormes Talent in diesem Sport. Er war zweifellos, trotz seiner Widersprüche, eines der größten – wenn nicht sogar das größte – Volksidol der argentinischen und internationalen Geschichte.

Er begann seine Karriere bei den Argentinos Juniors. Anschließend wechselte er zu Boca Juniors, wo er bereits zu einem Idol wurde. Seine Karriere setzte sich in Barcelona fort, bevor er nach Neapel gelang, wo er für die Menschen in Süditalien ebenfalls zu einem Idol wurde. Später spielte er für Sevilla und kehrte 1993 für die Newell’s Old Boys nach Argentinien zurück.

1986 war er es gewesen, der Argentinien als Kapitän der Mannschaft die Weltmeisterschaft bescherte, 1990 die Vizeweltmeisterschaft und 1979 die Jugendweltmeisterschaft. Bei der Weltmeisterschaft 1986 in Mexiko schoss er eines der schönsten Tore in der Geschichte des Weltfussballs. Sein letztes Spiel bei der Weltmeisterschaft bestritt er mit der argentinischen Mannschaft am 25. Juni 1994 gegen Nigeria.

Maradona erweiterte und bereicherte Fußball durch seine Technik. Es steht deshalb außer Frage, dass er nicht ohne Grund für seine Kunst als Held gefeiert wurde und wird. Das erwähnte legendäre Tor wird im südamerikanischen Land auch „Gotteshand“ genannt, da er nicht nur mit seiner Hand, sondern auch gegen England erzielte – ein Land, gegen das Argentinien bis kurz zuvor eine Niederlage in einem der bedeutendsten geopolitischen Konflikte erlitten hatte: dem kriminellen Krieg um die Malwinen. Das „Tor des Jahrhunderts“ ließe sich nach dem Militärstrategen Carl von Clausewitz also als die Fortführung von Krieg mit anderen Mitteln beschreiben, als – in diesem Fall antiimperialistische – Politik. Es diente nicht nur als Racheakt, sondern trug auch zur Heilung einer nationalen Wunde bei.

Dies gelang auch dadurch, dass Argentinien ihre komplette Taktik auf Maradona konzentrierte [oder ausrichtete]. Das Dribbling über 60 Meter, das zu dem Jahrhunderttor führte, basierte darauf, dass Maradona wenig Defensivaufgaben übernehmen musste. Ziel war es, seine Stärke, seine Spielübersicht und seine Technik maximal effizient zu nutzen. Damals spielte er als „Enganche“ – Spielmacher oder auch 10er (wegen der Rückennummer) – also als zentraler, offensiver Mittelfeldspieler, der das Spiel bestimmen, das Tempo verschleppen oder beschleunigen konnte, sonst verborgene Lücken sehen und diese ausnutzen konnte. Diese Rolle erfordert eine sehr hohe Kreativität und die Verbindungen von Fähigkeiten eines Mittelfeldspielers mit denen eines Stürmers. Diego Maradona war das Paradebeispiel dafür. Normale Gegenmittel gegen Spielmacher wie ihn, wie die dauerhafte Deckung durch zwei Gegenspieler, schüttelte er gekonnt ab oder nutzte die Lücken um andere, freie Spieler anzuspielen. Verlor er den Ball, war die kompakte Defensive zur Stelle und glich seine Schwäche aus. Er konnte also im argentinischen System frei aufspielen. Trotz seiner einmaligen Fähigkeiten, ist Fußball ein Mannschaftssport, aber eben auch ein Sport in dem das Spielsystem auf die individuellen Fähigkeiten Maradonas angepasst wurde, weil dies maximalen Erfolg für seine Teams und die argentinische Nationalmannschaft bedeutete. Heute hat sich Fußball weiterentwickelt und die Rolle des klassischen Spielmachers verschwindet mehr und mehr. Trotzdem hat Maradona das Spiel von Ausnahmefußballern der darauffolgenden Generationen geprägt und verändert. Ohne Maradona würde es keinen Messi und auch kein Jürgen Klopp geben, der mit seiner hängenden Spitze und seinen offensiven Außenbahnspielern eine Synthese aus Spielmacher und Stürmer gefunden hat, die schier unberechenbar ist.

Wer das spätestens danach erwachsende Phänomen des Maradonismus nicht versteht, könnte zu der Schlussfolgerung kommen, es handele sich lediglich um Fanatismus. Eine solche Behauptung ist allerdings zu einfach. Denn in einer Welt, die die Freude für eine enorm kleine Minderheit privatisiert, intervenierte Maradona als Glücksquelle für die großen Mehrheiten. Er stellte sich auf die Seite der kubanischen Revolution, weigerte sich, Prinz Charles die Hand zu schütteln und fand, der Vatikan, solle sein Gold abgeben. Auch als es im Dezember 2017 unter der rechtskonservativen Regierung Mauricio Macris zu massiven Protesten gegen dessen Rentenreform kam, verteidigte Maradona die Rentner:innen: „Man muss ein ziemliches Arschloch sein, um das nicht zu tun“.

Doch war er nicht immer so solidarisch: Er liebäugelte mit dem neoliberalen Präsidenten Carlos Menem und der FIFA und nicht selten schaute er einfach weg. Zudem war er ein Macho, der seine Frau schlug. Nichts kann das entschuldigen und niemand sieht in dafür als Idol an. Man kann Kunst auch nicht vom Künstler trennen. Es geht also nicht darum, erschreckende Fakten zu verdecken.

Doch ist die Identifikation und daher die Trauer aus den oben genannten Gründen groß. Für viele Argentinier:innen war Diego Maradona „einer von ihnen“ und wird es immer bleiben. Für den Fußball und die (Freudens-)Tränen wird ihm heute und sicherlich weiterhin gedankt – denn Kunst überlebt den Künstler, sie überlebt alle Zeiten.

Präsident trauert bis Freitag – Warum?

Während an verschiedenen Arbeitsplätzen Menschen aller Generationen in Gedenken an Diego Maradona ihre Arbeit niederlegen, verkündet der peronistische – das heißt linkspopulistische – Präsident Alberto Fernández, bis Freitag seine Tätigkeit ruhen zu lassen. Der Tod des Star-Fußballers trifft die Massen, was der seit der brutalen Räumung einer Landbesetzung am Stadtrand von Guernica weniger gut angesehenen Regierung gelegen kommt. Zu Beginn der Pandemie setzte sie auf das Märchen der nationalen Einheit, die es bräuchte, um den Kampf gegen den Virus gewinnen zu können. Mit dieser Erklärung wurde mit Unterstützung der Gewerkschaften suspendiert, Lohn massiv gekürzt und prekarisiert.

In einer zweiten Phase machte Fernández den Rechten unzählige Zugeständnisse. Zu diesen kam es so gut wie immer auf dieselbe Art und Weise: Als er ankündigte, Vicentin zu enteignen, gingen Rechte auf die Straße, um das Unternehmen zu verteidigen, woraufhin er es doch nicht tat. Solche Vorgehen fügten dem zuvor herauf beschwörten Bild, zusammen an ein und demselben Strang zu ziehen, erste Risse hinzu. Diese wurden mit der Zeit immer tiefer und immer mehr, sodass nun eigentlich vielmehr von einer Einheit der Politiker:innen im Amt mit Großkapitalist:innen gesprochen werden kann. Denn auch wenn die Regierung durch die Legalisierung von Marihuana (für medizinische Zwecke), die Wiederaufnahme der Diskussion um die Legalisierung von Abtreibung und die Verabschiedung einer Reichensteuer (deren Einnahmen zu 25 Prozent in Fracking und zu 20 in kleine und mittlere Unternehmen investiert werden soll) in den letzten Wochen offensichtlicherweise progressiv wirken wollte, dienten diese Maßnahmen eigentlich der Vertuschung der gleichzeitigen Beendigung der ohnehin mickrigen Corona-Soforthilfen für Arbeitslose und der Verabschiedung des Haushaltes für das Jahr 2021, der unter anderem Kürzungen im Bildungsbereich und der Renten vorsieht. Ein Haushalt, der – wie sich bereits gezeigt hatte – nicht ohne Repression durchzusetzen sein wird.

Während wir also von einem Jahr, in dem die Arbeiter:innenklasse bereits massiv attackiert wurde, und einem noch viel schlimmeren in Aussicht sprechen, ist es nicht unwahrscheinlich, dass der Tod des Nationalhelden politisch genutzt werden wird, um das Klima der nationalen Einheit wiederherzustellen.

Auch Diego Maradona war Peronist. Doch ließ er – wie viele Sportler:innen – Millionen von Menschen, die inmitten einer Wirtschaftskrise unter extremer Armut litten, fühlen und ihre ökonomischen Probleme für einen Moment lang vergessen statt ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen weiter zu verschlimmern.

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