Die Sponsoren der Siko, Verschwörungstheorien und die richtige Strategie gegen Krieg

17.02.2017, Lesezeit 10 Min.
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Wer hält auf der Münchener Sicherheitskonferenz die Fäden in der Hand? Niemand. Es ist ein Gegeneinander der Kapitalblöcke und die Ausgebeuteten verlieren garantiert. Über die Sponsoren der Konferenz und die richtige Strategie der Arbeiter*innenklasse.

Die Liste der Unterstützer*innen für das Treffen von Konzernen und ihren Stiftungen ist lang und vielsagend. Natürlich sind einige Unternehmen mit ihren Stiftungen auf der Liste der Finanziers, die an Rüstung verdienen: die BWM-Stiftung, die von Robert Bosch, die Linde-Gruppe oder ThyssenKrupp. Für sie lohnt es sich – teils als Zulieferer –, wenn Staaten Kriegsgüter kaufen und verbrauchen. So weit, so offensichtlich.

Dazu kommt die International Democrat Union (IDU), in der sich unter anderem die konservativen Regierungsparteien Deutschlands, Österreichs, der USA, Japans, des Spanischen Staats und Großbritanniens vernetzen.

Ebenso liegt auf der Hand, dass sich alle möglichen Think Tanks und Strategie-Beratungen bemühen, mit am Tisch der Mächtigen zu sitzen, wenn es um „Sicherheitspolitik“ geht. Dazu zählen Einrichtungen wie der Atlantic Council, Chatham House, die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, die Global Commission on the Stability of Cyberspace, NTI, das Nahost Friedens Forum, der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft, yalta european strategy, IISS, LSE Cities, ICSR. die Deutsche Atlantische Gesellschaft, AICGS, American Council on Germany, die ONS Foundation. Sie alle einzeln auseinander zu klamüsern wäre eine Fleißaufgabe, denn die kapitalistischen Interessen, für die diese Büttel stehen, werden auch direkter vertreten.

Dabei sind nicht nur Scharfmacher*innen, sondern auch Vermittler*innen: Die Körber Stiftung, die mit „Young Leaders“ einen „außen- und sicherheitspolitischen Führungsnachwuchs“ heranziehen will, lädt auch schon mal Sahra Wagenknecht zu einer Veranstaltung ein. Transparency International behauptet, Korruption zu bekämpfen, und dient als willkommenes Feigenblatt der Großindustrie auf der Unterstützer*innenliste der Siko. Auch die humanitäre Organisation International Rescue Committee ist an Bord.

Krieg ist keine Klientelpolitik der Rüstung

Es wäre aber grundfalsch, die Kriegspolitik hauptsächlich als eine Klientelpolitik für die Rüstungsindustrie oder gar von Think Tanks, die eher Nutznießer des Imperialismus und nicht seine Triebkräfte sind, zu beschreiben.

Über die Profitinteressen der Rüstung selbst erfüllt der Krieg eine allgemeinere kapitalistische Funktion: Das kapitalistische Wirtschaftssystem neigt aufgrund des tendenziellen Falls der Profitrate zur Krise. Die letzte Wirtschaftskrise 2007/08 geht letztlich auf Überproduktion zurück. Die wird teilweise in Kriegen vernichtet: Eine abgeworfene Bombe ist einfach nicht mehr da, auch die getroffenen Wohn-, Infrastruktur- und Industrieanlagen sind dann weg. Somit wirkt die Kriegsindustrie der Krisenhaftigkeit des kapitalistischen Wirtschaftskreislaufs teilweise entgegen. Der Krieg bereitet damit aber gleichzeitig neue, umfassendere Konflikte vor, politischer, sozialer und wirtschaftlicher Art, wie es im Nahen Osten und Nordafrika seit den Interventionen zu sehen ist.

Aber auch dieser Zusammenhang greift noch zu kurz für die Erklärung der kapitalistischen Konstante, dass es Kriege gibt – und deshalb auch Kriegstreffen wie die Siko. Kapitalistische Staaten treten als „ideelle Gesamtkapitalisten“ auf, das heißt sie vertreten als „gemeinsamer Ausschuss“ des Kapitals (Marx) dessen Interesse gegenüber ihrer Antagonistin – der internationalen Arbeiter*innenklasse, die von Konkurrenz und Nationalismus chauvinistisch gespalten wird und materiell am meisten unter Kriegen leidet – sowie gegenüber den konkurrierenden Kapitalist*innen anderer Staaten. In den Kriegen um Irak, Afghanistan, Syrien, Libyen und so weiter ging es nie nur um Öl, Pipelines und Bodenschätze. Es ging immer vor allem um geostrategische Erwägungen: Wer kontrolliert die Region des Nahen Ostens? Wer kann die Preise diktieren, die Bedingungen des Handels und der Kapitalflüsse bestimmen?

Große Kapitalblöcke stehen in diesen Fragen in Widerspruch zueinander, wie zum Irakkrieg 2003 Frankreich und Deutschland („Excuse me, I am not convinced“, Joschka Fischer auf der Siko) gegen und die USA mit der „Koalition der Willigen“ für den Krieg waren. Oder im Fall Syrien westliche Imperialismen gegen Russland und den Iran stehen, und in Jemen, wo Saudi-Arabien und die USA einen Stellvertreter*innenkrieg gegen den Iran führen.

Auf der Liste der Sicherheitskonferenz-Sponsor*innen stehen daher, wiederum über Stiftungen, auch Nicht-Kriegs-Konzerne wie das Handelsunternehmen Metro AG, oder Bertelsmann oder Holtzbrinck – vor allem aber Banken und Industriekammern. Der überwiegende Profit derer, die bei ihnen Anteile haben und Mitglieder sind, wird mit „friedlicher“ Ausbeutung von Lohnarbeit erzeugt: so der Bund Deutscher Industrie (BDI), die Bill & Melinda Gates Foundation, die Alfred Herrhausen Gesellschaft für die Deutsche Bank und das World Economic Forum als Veranstalter von Davos. Bei der ständigen und teils gewaltsamen Neuaufteilung der Welt müssen sie dabei sein, bilden sie doch die großen Kapitalblöcke, die miteinander besonders um Kapital- und Warenexporte sowie die Ausbeutung von Rohstoffen und Arbeit über die Grenzen hinweg wetteifern. Großbanken bündeln diese Interessen.

Kapitalblöcke und Staaten in Konkurrenz

Das bedeutet keineswegs, dass „die Banken“ die Welt steuern. Erst einmal steuert niemand den Kapitalismus – seine Wirtschaftsordnung ist „anarchisch“, in Konkurrenz von Kapitalblöcken zueinander. Karl Kautskys These, es könnte ein Zusammenwachsen der größten Kapitalblöcke und so schließlich einen andauernden kapitalistischen Frieden geben („Ultra-Imperialismus“, in seiner poststrukturalistischen Variante etwa von Hardt/Negri „Empire“ genannt), wurde mit dem Ersten Weltkrieg widerlegt, in dem die Anhänger*innen dieser These auch sogleich den deutschen Imperialismus unterstützten.

Verschwörungstheoretiker*innen wiederum greifen vornehmlich auf den Antisemitismus zurück, um einzelne jüdische Kapitalist*innen wie George Soros oder die Familie Rothschild als Verantwortliche zu erklären – damit verteidigen sie einerseits den Kapitalismus, den sie „ohne Auswüchse“ erhalten wollen, außerdem spalten sie die Arbeiter*innenklasse und greifen sie gewaltsam an, zerschlagen letztlich ihre Organisierung, wenn sie im Faschismus zur Macht kommen. Die Trennung zwischen „raffendem und schaffendem“ Kapital, die diesem Unsinn an „Theorie“ zugrunde liegt, zwischen Banken und „wertschöpfender“ Industrie, ist wissenschaftlich schlicht falsch.

Im Zeitalter des Imperialismus als „höchstes Stadium des Kapitalismus“ (Lenin) sind Banken und Industrie miteinander untrennbar verschmolzen. Die kriselnde Deutsche Bank hält weltweit Anteile an Konzernen, handelt mit Devisen von Staaten und Kapitalist*innen (zum Beispiel ist Donald Trump ein großer Schuldner); die größten Konzerne und Staaten der Welt wiederum haben ihr Geld bei der Deutschen Bank.

Sie treten dabei durchaus als Planer*innen auf, die durch das Anteilsgeschäft ganze Industriezweige beherrschen und somit Bedingungen diktieren können. Doch der grundsätzliche Widerspruch der Privateigner*innen an Produktionsmitteln, der in Konkurrenz zu anderen Privateigner*innen stehen, bleibt. Die größten Kapitalblöcke diktieren den kapitalistischen Staaten ihre Interessen und Kriege – aber nicht einzelne Bankiers, wie Verschwörungstheoretiker*innen glauben – Kriege sind nur die Fortsetzung der Auseinandersetzung von Kapitalblöcken in der Weltarena. Mit der Wahl Trumps verschieben sich die Allianzen dieser Blöcke wahrscheinlich, ihr kapitalistischer Inhalt bleibt bestehen.

Ein wichtiger Unterstützer ist schließlich der deutsche Staat, der als eine Organisation für das deutsche Kapital auch bewaffnete Konflikte austragen muss, was die einzelnen Kapitalist*innen allein nicht können. Er hat ein Interesse daran, dass München Austragungsort für die Gespräche von Militärs, Konzernen und Politiker*innen über Kriege und Konflikte ist. So kann Deutschland sich in seiner stärkeren „Verantwortung“ der Welt (angekündigt auf der Siko 2014) – und der nach wie vor wenig kriegsbegeisterten Bevölkerung Deutschlands – präsentieren. In diesem Sinne ist die Sicherheitskonferenz auch ein PR-Event. Außerdem kann die Bundesregierung mit der privat veranstalteten, aber auf deutschem Boden unter deutscher Schirmherrschaft stattfindenden Tagung Themenschwerpunkte setzen und von diplomatischen Gesprächen im Hintergrund der Konferenz besonders profitieren.

Unsere Klasse, unsere unabhängige Position

In dem großen Wettbewerb, für den die Münchner Sicherheitskonferenz symbolisch steht, hat ein Akteur nichts zu gewinnen: die internationale Arbeiter*innenklasse. Sie wird sowohl von den USA bombardiert und ausgebeutet als auch von Russland. Sie leidet im Frieden, der ein Ausbeutungsfrieden im Interesse des Kapitals und überdies nur eine Pause zum nächsten Krieg ist, wie im Krieg, den sie noch als Rekrutiermasse für die Kapitalist*innen austragen muss. Sie darf natürlich nicht mitreden auf der Siko, gehört nicht – oder nur unfreiwillig und gegen ihre Interessen durch Steuern – zu den „Sponsor*innen“.

Die Führung der Demo gegen die Siko hat in den vergangenen Jahren schwere Fehler gemacht, indem sie nur abstrakt zu „Frieden“ aufrief, ohne die kapitalistischen Interessen mit einer eigenständigen Perspektive der Arbeiter*innenklasse zu konfrontieren, an die Vereinten Nationen als Ausschuss kapitalistischer Staaten appellierte und immer wieder prorussische Töne suchte. Das ist ein Erbe der stalinistischen Strategie, die den internationalen Klassenkampf durch bürgerlichen Pazifismus zu ersetzen versuchte, sowie der maoistischen, die ein bürgerliches Bündnis gegen den „Hegemon“ (momentan die USA) sucht. Noch vor der Jahrtausendwende zeigten die Grünen anschaulich, was ein solcher abstrakter bürgerlicher Pazifismus in der Praxis bedeutet, indem sie zu einer „humanitären“ Kriegspartei wurden.

Im Kern sind die Ansätze sozialdemokratisch, denn sie bedeuten Frieden mit den Kapitalist*innen, deren Wirtschaftsweise gesetzmäßig Krieg als Fortsetzung der Kapitalauseinandersetzungen hervorbringt, als Teil der Sozialpartnerschaft. Diese Orientierung, der eine unabhängige Position der Arbeiter*innenklasse fehlt, zieht leider auch rechte Verschwörungstheoretiker*innen an, wie letztes Jahr Pegida-Frontfrau Kathrin Oertel, die eine „zionistischen Weltverschwörung“ phantasiert. Richtigerweise wurde sie vom Antikapitalistischen Block umgehend abgedrängt und konnte mit ihren Getreuen nur dank Schutz der Polizei auf der Demo laufen.

Umso mehr ist zu begrüßen, dass dieses Jahr in vorderer Reihe die Geflüchteten von Refugee Struggle for Freedom laufen werden. Als unterdrücktester Teil der internationalen Arbeiter*innenklasse stehen sie gemeinsam mit linken Organisationen gegen das Treffen des Kapitals.

Um zum Sieg gegen den Krieg, das heißt gegen den Imperialismus, das heißt gegen den Kapitalismus selbst zu kommen, ist aber die eigene Initiative des organisierten Kerns der Arbeiter*innenklasse nötig: Massengewerkschaften wie die IG Metall haben nicht nur die Macht, Rüstungsindustrien zu stoppen und umzuwandeln. Auch birgt der Streik in seiner politischen Form die Möglichkeit, als Klasse die Macht zu erobern und schließlich eine weltweite Wirtschaftsweise hervorzubringen, die nicht dem Profit, sondern der Entfaltung menschlicher Interessen dient (Sozialismus).

Dahin ist es ein weiter Weg. Bis zum Ziel gilt es, Zwischenerfolge zu erreichen, die die Selbstorganisierung der Arbeiter*innenklasse und ihr Bewusstsein als Klasse fördern sowie ihre Bedingungen weltweit verbessern. Wenn die DGB-Gewerkschaften zur Demo gegen die Siko aufriefen, wäre schon viel gewonnen. Dafür sollte sich die Demoführung einsetzen und dabei Konflikte nicht scheuen, anstatt bürgerliche Bündnispartner*innen zu suchen.

Diskussionen über die entgegensetzten Interessen derer, die auf der Siko tagen und sie bezahlen, und derer, die unter ihren Kriegen leiden, wären dann mit größeren Teilen der organisierten Lohnabhängigen möglich. Das Geld, das jetzt – in der wachsenden Anspannung zu den USA mit Trump, von der europäische Siko-Gäste sprechen –, für die Aufrüstung der Bundeswehr ausgegeben wird, könnte in die Sozialkassen gehen. Anstatt den Chauvinismus gegen Geflüchtete und damit den Erfolg der AfD zuzulassen sollten die Gewerkschaften, aber auch die Partei Die Linke, gegen die Kriegskonferenz der Kapitalist*innen mobilisieren – und gegen die Zumutungen des „Friedens“ in Deutschland von Prekarisierung und Kürzungen, die den Erfolg des deutschen Kapitals auf der Welt ermöglichen.

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