„Die schlechtere Lage von Frauen ist auch eine Form der Gewalt“

04.12.2023, Lesezeit 8 Min.
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Foto: Klasse Gegen Klasse

Wir veröffentlichen die Rede von Meena und Esther die sie am 25.11. auf der Kundgebung „Patriarchale Gewalt stoppen" gehalten haben. Sie sind organisiert bei Waffen der Kritik in Bremen und sprechen sich für einen sozialistischen Feminismus der Arbeiter:innen aus.

Wir sind heute gemeinsam auf der Straße, weil wir der Gewalt und Unterdrückung, der wir als Frauen und Queers jeden Tag ausgesetzt sind, eine Kampfansage machen wollen. Dies beinhaltet sexuelle Belästigung und Übergriffe, bis hin zu Femiziden. Diese individuell ausgeführte Gewalt gegen Frauen und Queers resultiert aus der Funktionsweise der patriarchalen und kapitalistischen Gesellschaft. Natürlich existiert die sexistische Unterdrückung nicht erst seit dem Kapitalismus, sie garantiert aber dessen weitere Existenz. Frauen aller Klassen erleben Gewalt, die Zielsetzung dieser Gewalt ist letztlich jedoch die Kontrolle über die Frauen der Arbeiter:innenklasse. Denn gerade sie sollen der kapitalistischen Kontrolle unterworfen werden.

Wir müssen die Unterdrückung von Frauen und Queers auch materiell begreifen. Die schlechtere Lage von Frauen ist auch eine Form von Gewalt. Sie werden im Kapitalismus doppelt ausgebeutet: Einmal durch die Lohnarbeit und dann noch durch die unbezahlte Reproduktionsarbeit. Deshalb müssen wir dieser Gewalt mit einem antikapitalistischen, mit einem sozialistischen Feminismus entgegentreten. Nur wenn wir den Kapitalismus in seiner Materialität bezwingen und eine sozialistische Alternative aufbauen, haben wir die Möglichkeit die Gewalt gegen Frauen und Queers, sowie die allgemeine sexistische Unterdrückung zum Erliegen zu bringen.

Der Kapitalismus produziert nicht nur stets neue Krisen, sondern befindet sich selbst in einer. Der Rechtsruck, der sich gerade in Deutschland, aber auch international abzeichnet, ist eine reaktionäre Antwort auf diese Krise, mit der auch misogyne und queerfeindliche Ideologien verstärkt werden. Die jetzige Krise soll auf die Arbeiter:innen abgeladen werden und Frauen spüren dies verstärkt. Sie arbeiten vermehrt in den Sektoren der Bildung, dem Sozialen und der Gesundheit, in denen jetzt massiv gekürzt wird, sie erhalten weniger Lohn, sie sind häufiger von Teilzeit betroffen, jede dritte von ihnen ist von Altersarmut bedroht.

Diese massiven Kürzungen in den reproduktiven Sektoren kommen dem Rüstungshaushalt zugute, ganz im Sinne der Zeitenwende. Aufrüstung und Militarisierung werden dabei in ein feministisches Gewand gehüllt, wie auch der deutsche Imperialismus. Doch die massiven Waffenlieferungen an den israelischen Staat haben nichts mit Feminismus zu tun. Der genozidale Krieg gegen die palästinensische Bevölkerung in Gaza wird bedingungslos unterstützt, im Namen des Feminismus. Eine Gesellschaft, die eine andere unterdrückt, kann sich nicht emanzipieren, mit Hilfe eines kolonialen Projektes erst recht nicht. Wir als Internationalist:innen stellen uns gegen diese dreiste Lüge. Das komplett kollabierte Gesundheitssystem in Gaza zählt bis heute über 14.800 ermordete Menschen, 68 Prozent davon sollen Frauen und Kinder sein. Kaiserschnitte finden aufgrund fehlender Elektrizität und medizinischen Engpässen ohne Betäubung statt, Neugeborene können nicht versorgt werden. Wir stellen dem einen antiimperialistischen Feminismus entgegen.

Gleichzeitig wird in Deutschland, dem Land der Shoa und dem Nationalsozialismus behauptet, der Antisemitismus sei ein importierter. Eine geschichtsrevisionistische und rassistische Hetze, um nun endlich die rechte Migrationspolitik durchzusetzen. Gleichzeitg sitzen Antisemit:innen noch immer auf hohen Posten des Staatsapparats. Wir fordern ein sofortiges Ende der Offensive in Palästina, der bedingungslosen Unterstützung des israelischen Apartheidstaates und der Repression gegen Palästina solidarische Stimmen hier vor Ort. Wir setzen dem einen antirassistischen Feminismus entgegen, der sich gegen die rassistische und antisemitische Unterdrückung stellt.

Die Kürzungspolitik findet auch auf Kosten von Frauen und Queers statt, die „feministische” Politik ist eine leere Farce. So wird das Selbstbestimmungsgesetz der rechten Agenda unterworfen und trans Frauen sollen im Verteidigungsfall genauso wie Männer für den Militärdienst eingezogen werden. Auch wenn der Paragraph 219a abgeschafft wurde, bleiben Schwangerschaftsabbrüche weiterhin kriminalisiert. Gleichzeitig wird an Beratungsstellen für Schwangerschaftsabbrüchen gekürzt. Während die Femizide und die Gewalt gegen Frauen und Queers weiter ansteigen, plant die Regierung die Kürzungen für die Beratungsstellen gegen diese Gewalt, die Polizei kann aber weiter ausgebaut werden.

Gegen diese Gewalt müssen wir uns organisieren! Wir müssen für ein besseres Leben kämpfen, in dem wir über unseren Körper, über unser Leben und wie wir es führen wollen, entscheiden können. Im Kampf für ein besseres Leben können wir uns aber nicht auf einen Staat verlassen, der die systematische Gewalt aufrechterhält und schützt. Jedes Zugeständnis, das wir erkämpfen, jeder Brotkrumen, der uns hingeworfen wird, um uns zufriedenzustellen, kann uns auch wieder entzogen werden.
Das sehen wir zum Beispiel in den USA, in denen Abtreibungen wieder massiv kriminalisiert wurden und unzählige Frauen und Queers dadurch in oft auch tödlich endende Gefahr gebracht wurden.

Deshalb kämpfen wir eine antikapitalistische feministische Bewegung. Seite an Seite kämpfen wir als Studis, Arbeiter:innen und Schüler:innen für die gleiche Sache.
In Neuperlach, wo zwei Genoss:innen von uns als Hebamme arbeiten und mit ihren Kolleg:innen und Genoss:innen gegen die Schließung ihres Kreißsaals kämpfen, die im Rahmen der Gesundheitsreform stattfinden sollte, kämpfen wir diesen Kampf auch mit Hilfe von Studierendenkommitees. Dort konnte die Schließung des Kreißsaals verhindert werden und gemeinsam gegen repressive Maßnahmen wie die Abmahnung durch ihren Boss, die Leonie bekommen hat, weil sie über ihren Kampf berichtet hat, getrotzt werden.

Die täglichen Kämpfe, die wir ausfechten, sollten nicht nur auf den Schultern von uns Betroffenen lasten. Wir müssen als Arbeiter:innen und Jugendliche jeglichen Geschlechts gegen Patriarchat und Kapitalismus vorgehen. Fortschritte werden nicht im Parlament beschlossen, sie werden im Streik und auf der Straße erkämpft. Stonewall war auch ein Riot.

Wir müssen die Kämpfe, die wir an unseren Orten des Lernens und der Arbeit führen, an den Orten, politisieren. Wir müssen gemeinsam nicht nur für ein Ende jeglicher Ausbeutung, sondern auch für ein Ende von Unterdrückung kämpfen. Die Unterdrückung darf uns nicht spalten, sondern sie muss zum gemeinsamen Basis des Kämpfens werden. Nur wenn wir lernen füreinander einzustehen und zu kämpfen, kann unser Kampf ein erfolgreicher sein.

Es gibt zahlreiche Beispiele für erfolgreiche Kämpfe gegen Unterdrückung und Ausbeutung, wie auch in der argentinischen Druckerei Madygraf, die sich seit 2014 unter Arbeiter:innenkontrolle befindet. Als sich die Druckerei noch in den Händen des Kapitalist:innen befand, stellten die Bosse nur Männer für die Arbeit am Band ein. Doch unter der Belegschaft war auch eine Kollegin, eine trans Frau, die der queerfeindlichen Schikane durch die Bosse ausgesetzt war. Sie hatte die Stelle nur bekommen, weil sie in männlich gelesener Kleidung erschienen war. Es zeigt die ausweglose Zwickmühle, in der sich viele queere Menschen befinden: Der Job, der ihnen Einkommen und somit Überleben sichert oder ihre Identität. Gegen die anhaltende antifeministische Schikane kämpfte die Belegschaft dort erfolgreich. Sie gewannen nicht nur einen Kampf gegen Queerfeindlichkeit, sondern gewannen auch das Vertrauen ineinander und ihre Kraft als Arbeiter:innen.

Als aufgrund wirtschaftlicher Probleme ein Großteil der Arbeiter:innen entlassen werden sollte, konnten die Arbeiter:innen ihre Kampferfahrung nutzen und die Druckerei unter ihre Kontrolle bringen. Die Druckerei zeigt uns im kleinen, was möglich ist, wenn der Produktionsprozess nicht der kapitalistischen Logik unterworfen ist: Es wurden Frauenkommitees gegründet, die feministische Fragen in den Arbeitsalltag integriert, die Care Arbeit wurde aus der privaten Sphäre gezogen, indem es zum Beispiel Kindergärten für die Kinder der Beschäftigten gab, was es den Frauen ermöglichte, eine aktivere Rolle einzunehmen.

Wir können aus den internationalen Kämpfen unserer Genoss:innen viele Lehren ziehen. Diese Orte existieren nicht für sich allein. Sie dienen als Bastion, als Sammelpunkt, aus denen wir weitere Kämpfe führen können. Wir wollen auch hier und international diesen Kampf führen. Wir wollen eine solche Bastion an unserer Universität aufbauen, schließt euch diesen Kampf Hand in Hand mit den Arbeiter:innen an.

Um Gewalt zu stoppen, müssen wir uns internationalistisch und revolutionär organisieren.
Wir müssen das System bekämpfen, das uns tagtäglich unterdrückt ausbeutet und spaltet
Lasst uns eine Welt erkämpfen, in der wir uns frei entfalten können, in der Geschlecht kein Mittel zur Unterdrückung darstellt, in der wir unser Leben und wie wir es leben wollen, selbst in der Hand haben.

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