Die RSO nach ihrer Spaltung: Eine politische Bilanz

13.11.2012, Lesezeit 15 Min.
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Vor circa einem Jahr hat sich die österreichische „Revolutionär Sozialistische Organisation“ (RSO) gespalten. Die beiden VorläuferInnenorganisationen der RSO, die Arbeitsgruppe Marxismus (AGM) und die Antifaschistische Linke (AL), die sich 2007 fusioniert haben, haben sich nach weniger als fünf Jahren Jahren wieder ent-fusioniert. Eine Gruppe namens RSO gibt es zwar weiter, jedoch sind ihr viele Markenzeichen der alten Gruppe abhanden gekommen: ihr Büro in Wien, ihre Bücherreihe „Marxismus“, ihr (eher erfolgloses) Betriebsflugblatt „Wienstrom“ usw. Diese Markenzeichen gehören nun der neuen „Gruppe Arbeiter-innen-kampf“ (ARKA), die im September 2011 aus der RSO austrat (1).

Aus der Spaltung der RSO können und müssen einige Lehren gezogen werden – für die Beteiligten aber auch für die revolutionäre Linke insgesamt. Leider möchten die in der RSO verbliebenen GenossInnen, genauso wie die Ausgetretenen, lieber so tun, als wäre nichts passiert (2). Zur Rechtfertigung sagen sie, dass die Spaltung einer kleinen Gruppe für die ArbeiterInnen nicht wichtig sei – aber scheinbar war es wichtig genug, um konkurrierende Gruppen zu bilden, die sich weiterhin auf den gleichen Grundsatztext berufen, und zumindest ein paar ArbeiterInnen in Wien, die mit der alten Gruppe in Kontakt standen, vor die Wahl zwischen beiden zu stellen, ohne ihnen politische Gründe dafür zu liefern.

Die GenossInnen der Rest-RSO reden privat von einer „unpolitischen“ Spaltung, der „Differenzen in der Diskussionskultur“ aber nicht in der Programmatik zu Grunde lägen. Ein Text der ARKA plädiert für einen Bruch mit der „linken Szene“ und polemisiert gegen die „Wiener Boheme“, was sicherlich als Seitenhieb auf ihre Ex-GenossInnen zu werten ist. Wir gehen aber davon aus, dass eine solche Entwicklung immer politisch ist, ob bewusst oder unbewusst. Weil diese Gruppe sich, allem Anschein nach, gerne spaltet aber ungern darüber nachdenkt, warum sie dies eigentlich tut, wollen wir als Außenstehende selbst einige Lehren ziehen und zur Diskussion stellen.

AGM und AL

Die AGM entstand 1994 als eine Abspaltung aus der Liga für eine Revolutionär-Kommunistische Internationale (LRKI, heute LFI); die AL entstand 1999 als eine Abspaltung vom Komitee für eine Arbeiterinternationale (CWI). Beide Gruppen verfolgten sehr unterschiedliche Ansätze – die AGM machte eher abstrakte und akademische Propagandaarbeit, die AL eher aktionistische Jugendarbeit – aber beide Gruppen zeigten eine erstaunliche Einigkeit darin, dass sie in österreichischer Isolation verharren wollen. Und das, obwohl beide Gruppen sich auf das Erbe von Leo Trotzki beriefen, der klar machte: „Eine Strömung, die jahrelang in nationaler Isolation verharrt, verurteilt sich unweigerlich zur Degeneration.“ (3)

Erst mit der Gründung der RSO, als man sich wie die stärkste Gruppe in Wien fühlte, gab es erste Bemühungen, eine Politik über die Grenzen Österreichs hinaus zu betreiben. Doch diese Bemühungen waren an Individuen gerichtet, die man für die eigene Organisation gewinnen wollte. Die großen trotzkistischen Strömungen auf internationaler Ebene blieben Kontakte für einen gelegentlichen Austausch aber keine denkbaren PartnerInnen für den Aufbau einer revolutionären Organisation. Selbst diese Bemühungen waren auf eine „pan-germanische“, d.h. auf die zweieinhalb deutschsprachigen Länder beschränkte, Organisation ausgerichtet – eine internationale Organisation galt erst in undefinierter Zukunft als erstrebenswert.

RSO und Revo

Vor diesem Hintergrund kam es zu Diskussionen zwischen der RSO und der unabhängigen Jugendorganisation REVOLUTION (Revo, VorläuferInnenorganisation von RIO), die 2006 von der Jugendorganisation der Liga für die Fünfte Internationale (LFI) ausgeschlossen wurde und nach einer längerfristigen Perspektive suchte. Es gab aber Schwierigkeiten wegen der Gruppe von Revo in Tschechien – das widersprach offenbar der von der RSO-Führung angestrebten Einsprachigkeit. Daher entschied sie sich für die unpolitische Abspaltung der gerade entstandenen SchülerInnengruppe von Revo in Berlin, ohne zuvor oder danach auch nur ein einziges politisches Dokument dazu zu veröffentlichen. Aus unserer Sicht schien es eine Rolle zu spielen, dass die RSO freundschaftliche Beziehungen zu Lutte Ouvrière (LO) pflegte, was von Revo politisch hinterfragt wurde. Es ist aber schwer zu wissen, da die RSO bis heute keine Bilanz dieser Spaltung vorgelegt hat (4).

Als Antwort auf die Behauptung, trotz ihres unpolitischen Spaltungsmanövers für eine Fusion mit Revo offen zu sein, schrieb Revo damals: „Wir können eine bestenfalls ansatzweise politische Spaltung nicht einfach unter den Teppich kehren, wenn wir nicht die nächste prinzipienlose Spaltung vorbereiten wollen.“ (5) Niemand von Revo dachte damals, dass sich diese Vorhersage tatsächlich in weniger als zwei Jahren verwirklichen würde.

Der unmittelbare Anlass für die erneute Spaltung scheint Frustration darüber zu sein, dass die RSO trotz einer für Wiener Verhältnisse großen Mitgliederzahl vergleichbar wenig Praxis entwickeln konnte. Auch die Aktivität der neu gewonnenen Gruppe in Berlin war in den letzten drei Jahren nur sehr selten nach außen wahrnehmbar. In der Schweiz konnte trotz mehrerer Anläufe keine Arbeit etabliert werden. Aber auch für diese Stagnation und Frustration müssen politische Gründe gesucht werden.

LO und LO-Fraktion

Der Schein der vollkommenen Übereinstimmung in allen wesentlichen Fragen, den die RSO zu erzeugen versuchte, trug. Viele programmatische Positionen der RSO waren abstrakt bzw. konkret nur in Bezug auf Debatten von vor mehr als 100 Jahren. In Bezug auf die Debatten der revolutionären Linke heute war man sich oftmals nur darin einig, dass man sich nicht einig sein musste: Während die RSO mit einem ganzen Buch gegen die Organisationen CWI und IMT polemisierte, verweigerte sie jede Charakterisierung der Organisation Lutte Ouvrière aus Frankreich, mit der sie, wie erwähnt, freundschaftliche Beziehungen unterhielt. Dazu hieß es: „wir diskutieren über LO“ – über Jahre hinweg und ohne Ergebnis. In einer früheren Kritik an der RSO haben wir dargelegt, welche Widersprüche zwischen der RSO und LO bestanden, die mit Allgemeinplätzen überdeckt wurden. Nun haben diese Widersprüche in ihrer internationalen Politik zu einer Spaltung im nationalen Rahmen beigetragen (6).

Die neue Gruppe, ARKA, scheint auf einen Zusammenschluss mit LO orientiert zu sein (7). Währenddessen wirken die GenossInnen der Rest-RSO stärker desorientiert, da sie vom Bruch mit LO überrascht wurden. Zuerst lehnten sie jede Fusionsperspektive grundsätzlich ab: „Die heute sichtbare permanente Neu-Gruppierung von Kleinstgruppen oder Einzelpersonen ist kein qualitativer Schritt vorwärts – und diese Projekte zerfallen meist so schnell, wie sie gekommen sind.“ (8) Dann veröffentlichten sie „Überlegungen zu Umgruppierungen in der revolutionären Bewegung“, die nicht über eine Aneinanderreihung von Banalitäten hinausgingen – da die einzigen Aussagen zum Programm sich auf ein paar Punkte wie „Antikapitalismus“ und „Orientierung auf die ArbeiterInnenklasse“ beschränkten, fragt sich jeder denkende Leser, warum sie sich nicht mit jeder beliebigen Gruppe fusionieren, und warum sie sich stattdessen so oft spalten. Ihre eigenen Erfahrungen mit „Umgruppierungen“ (und vor allem mit deren Gegenteil) haben sie weiterhin nicht reflektiert (9). Nun scheint sich die Rest-RSO stärker zu der aus LO ausgeschlossenen Gruppe, die sich weiterhin LO-Fraktion nennt, zu orientieren – aber noch immer ohne eine durchdachte politische Erklärung dafür.

Internationalismus

Die Spaltung könnte, paradoxerweise, für beide Gruppen einen Fortschritt bedeuten. Denn, sollte es von Rest-RSO und ARKA ernsthafte Bemühungen geben, sich mit Gruppen aus Frankreich zu vereinigen, wäre der jahrelange Beschränkung auf deutschsprachige Länder doch noch durchbrochen. Das ist keine organisatorische Frage, sondern die Frage eines geeigneten Rahmens, um die dringendsten Fragen des internationalen Klassenkampfes zu klären und dem nationalistischen Druck im eigenen Land stand zu halten.

Sollte es tatsächlich, in der nächsten Zeit, durch Fusionen zur Gründung von Schwestergruppen von LO oder der LO-Fraktion kommen, sollten die politischen Differenzen zwischen diesen Gruppen, in Frankreich wie in Österreich, klar sein. Wir sind keine ExpertInnen für die Geschichte von LO und der LO-Fraktion, aber wir wissen, dass die ehemalige Mehrheit gemeinsame Wahlantritte mit der sozialdemokratischen Partei PS auf kommunaler Ebene befürwortet, während die ehemalige Minderheit das ablehnt. Bis kurz vor der Spaltung waren beide Teile der RSO der Meinung, dass sie keine Meinung dazu haben müssten. Ist diese politische Bruchlinie auch nach Österreich übertragen worden? Die LO lehnt jede ernsthafte Auseinandersetzung mit der im Jahr 2009 gegründeten Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA) ab, während die LO-Fraktion in dieser Partei arbeitet. Teilen die GenossInnen in Österreich jeweils diese Position? Wir hoffen schon.

Theorie

Im Bereich der marxistischen Theorie gibt es große Differenzen zwischen beiden Bestandteilen der Ex-RSO auf der einen Seite und LO und der LO-Fraktion auf der anderen. Die RSO verwendet die von Leo Trotzki verwendete Kategorie des „degenerierten ArbeiterInnenstaates“, um den sozialen Charakter der stalinistischen Staaten wie jenen im ehemaligen Ostblock, China, Nordkorea, Kuba und Vietnam zu analysieren (10). Damit haben sie große Differenzen zur LO-Tradition, die diese Kategorie zwar auf die Sowjetunion anwendet, jedoch diese für andere stalinistische Staaten ablehnt, mit dem semantischen Argument, dass diese im Gegensatz zur UdSSR niemals ArbeiterInnenstaaten waren und nicht degeneriert sind. Soweit wir wissen, verfügt LO weder über eine konsequente Theorie zur Analyse der anderen stalinistischen Staaten („bürokratische Staaten“ oder auch „kapitalistische Staaten“), noch über einen Beweis für einen qualitativen Unterschied zwischen der UdSSR und den anderen stalinistischen Staaten (11).

Als der sowjetische Stalinismus zusammenbrach, hielt die LO-Mehrheit an ihrer simplen semantischen Definition fest: Da es sich um einen Staat handelte, der aus einer proletarischen Revolution hervorgegangen und dann degeneriert war, musste es sich weiter um einen degenerierten ArbeiterInnenstaat handeln – auch durch die 90er Jahre hindurch, als das Privateigentum an Produktionsmitteln und die freie Marktwirtschaft wieder eingeführt wurde. Bis 2009 hielt LO an der Position fest, dass es in Russland keinen Kapitalismus gab – um schließlich die Frage für „unwichtig“ zu erklären. Die LO-Fraktion bildete sich innerhalb von LO in den 90ern, um diese zunehmend absurde Charakterisierung zu bekämpfen, jedoch ohne die theoretische Grundlage, die LO zu dieser Charakterisierung führte, kritisch aufzuarbeiten. Soll das also bedeuten, dass beide Teile der Ex-RSO ihre jeweiligen Positionen aufgegeben und die von LO bzw. LO-Fraktion übernommen haben? Heißt das, dass sie inoffiziell ihren gemeinsamen Grundsatztext verworfen haben?

Leider nicht. Wir wissen zumindest von einer Seite, dass sie diese Frage „unwichtig“ findet. Unserer Meinung nach ist es nicht ganz unwichtig, welche Bedeutung die Restauration des Kapitalismus hat und welche Aufgaben sich daraus für RevolutionärInnen und die ArbeiterInnenbewegung ergeben. Auch die politische Bilanz der Geschichte der ArbeiterInnenbewegung ergibt vielfältige Konsequenzen für die tagtägliche Praxis von RevolutionärInnen in einer konvulsiven Welt. Vor allem fragt man sich: Warum hat die RSO ganze Bücher über diese Frage veröffentlicht, die angeblich so unwichtig ist? Wir könnten die Liste der Differenzen noch beliebig lang fortsetzen, aber belassen es bei einer Warnung, dass „unwichtige“ programmatische Fragen überraschende Bedeutung gewinnen können – schienen die Fragen, die zur Spaltung der RSO geführt haben, nicht irgendwann auch „unwichtig“?

Schlussfolgerungen

Die Spaltung der RSO könnte also zur Durchbrechung der Nationalborniertheit von ihren beiden Spaltprodukten und damit zur politischen Stärkung des österreichischen Trotzkismus führen. Aber Voraussetzung dafür ist, dass die GenossInnen der Rest-RSO und der ARKA ihre Krise nutzen, um internationalistischer und überhaupt politischer zu werden. Internationale Organisation ist nicht irgendeine lästige Verpflichtung, zu der uns ein paar Trotzki-Zitate verdammen, sondern ein unverzichtbarer Rahmen, um alle programmatischen und strategischen Positionen zu definieren.

Wir laden die GenossInnen ein, sich mit der politischen und theoretischen Akkumulation der Trotzkistischen Fraktion – Vierte Internationale (FT-CI) auseinanderzusetzen. Wir sind der Meinung, dass die bescheidene aber positive Entwicklung von RIO als sympathisierende Sektion der FT-CI unsere vorherige Einschätzung bestätigt: Die internationale Arbeit ist nicht etwa eine Ablenkung vom Aufbau im eigenen Land, sondern ein integraler Bestandteil desselben. Wir richten diese Einladung eher an die Rest-RSO als die ARKA, da diese linker scheint, wegen ihrer – politisch nicht ganz nachvollziehbaren – Orientierung auf die LO-Fraktion statt auf die LO. Selbstverständlich sind wir auch mit beiden Teilen zu einer solidarischen Zusammenarbeit bereit, ohne dabei politische Differenzen zu verstecken.

Fußnoten

(1) Über die genauen Linien der Spaltung gibt es keine einheitliche Angaben. Ein führendes Mitglied der Rest-RSO behauptete, dass nicht von einer Spaltung gesprochen werden sollte, da lediglich fünf Mitglieder ausgetreten seien. Der Kopf der Ausgetretenen schrieb in einer Mail an RIO: „Richtig ist, dass die deutliche Mehrheit der ehemaligen AGM-Mitglieder (die in der RSO waren) heute im ARKA ist. Aber auch fast die Hälfte der noch aktiven ehemaligen AL-Mitglieder ist beim ARKA. dazu kommen etliche, die bei der RSO waren (aber nicht zuvor in AGM oder AL) oder ganz neu sind. Insgesamt sind jedenfalls die ex-AGM-Aktivist/inn/en im ARKA numerisch eine klare Minderheit.“ Wir laden die Beteiligten ein, mehr Klarheit über solche Zahlenspiele zu schaffen, falls ihnen das wichtig sein sollte. Wir interessieren uns aber vorrangig für die politischen Fragen.

(2) In einem Bericht der RSO vom Jahr 2012 wird von Fortschritten gesprochen, ohne die Spaltung zu erwähnen. Im Gründungstext der ARKA heißt es, dass die GenossInnen seit 2008 eine Betriebsarbeit machen, ohne den Rahmen dieser Betriebsarbeit zu erwähnen – obwohl sie sich teils sehr detailliert mit anderen trotzkistischen Strömungen auseinandersetzen! Vgl.: RSO: 6. Konferenz der RSO. http://www.sozialismus.net//content/view/1728/1/. ARKA: Für eine revolutionäre Arbeiter/innen/organisation! http://www.arbeiter-innen-kampf.org/Für_eine_revolutionäre_Arbeiter_innen_organisation.html.

(3) Leon Trotsky: To the Editorial Board of Prometeo. Deutsche Übersetzung: http://www.klassenkampf.net

(4) Siehe die Bilanz von RIO: Politische Kritik der RSO. http://www.onesolutionrevolution.org/?p=739&language=de

(5) RIO: Brief von Revo an die RSO, 26. November 2009. (Nicht veröffentlicht.)

(6) Es mag verwundert haben, dass wir in unserer Kritik an der RSO soviel über LO geschrieben haben, aber wir fühlen uns in unserer Analyse bestätigt.

(7) Sie haben nicht nur den Namen LO ins Deutsche übersetzt, sondern verlinken auch LO und ihre US-amerikanische Schwestergruppe. Wir haben noch viele weitere Kritikpunkte an LO in unserem letzten Text genannt. Vgl. RIO: Politische Kritik der RSO.

(8) RSO: 6. Konferenz.

(9) RSO: Überlegungen der RSO zu Umgruppierungen in der revolutionären Linken,. http://www.sozialismus.net/content/view/1792/1/

(10) So weit wir informiert sind, haben die GenossInnen der Ex-RSO keine Charakterisierung von Nordkorea, und auch keine Analyse der Prozesse der kapitalistischen Restauration in China und Vietnam (die unserer Meinung nach abgeschlossen sind) oder auf Kuba (die unserer Meinung nach noch am Anfang stehen). Sollten wir hier Charakterisierungen übersehen haben, laden wir zu Richtigstellungen ein.

(11) Auch an dieser Stelle laden wir zu Richtigstellungen ein, falls wir die Analysen von LO und der LO-Fraktion falsch verstanden haben.

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