DIE REKRUTEN: Lächerlich und furchtbar
Wir haben die erste Folge der neuen Reality-Show der Bundeswehr ertragen, damit ihr das nicht tun müsst. Es geht um zwölf junge Rekrut*innen, die zwölf Wochen lang täglich mit der Kamera begleitet werden.

Auch diese Serie braucht ein Paar gute Hauptpersonen, mit denen die Zielgruppe sich identifizieren kann. Eine kleine Übersicht der bisher wichtigsten drei Charaktere:
Jerome (19) macht Kraftsport und Breakdance. Wir überraschen ihn „zufällig“ bei seinen Klimmzügen. Sein Ziel bei der Bundeswehr ist Karriere. Er erwartet, seine sportlichen Grenzen zu erfahren. Lernen will er mehr Werte, Ordentlichkeit, Disziplin und vor allem erhofft er sich Spaß.
Nathan (19). Für seine Familie würde er alles machen. An der Bundeswehr reizt ihn die Kameradschaftlichkeit. Die Disziplin natürlich auch. Und sich selber zu beobachten, wie er ans Limit getrieben wird. Sein Vater findet: „Die Bundeswehr ist eine gute Einrichtung.“
Julia (18). Sie ist optimistisch und aufgeregt zur Bundeswehr zu gehen, um einen ordentlichen Beruf zu lernen. Ihre Mutter findet: Julia ist sehr hilfsbereit, gegenüber Menschen und Tieren.
Tag 1
Der Tag beginnt mit einer Krise und es fließen Tränen: der Ohrring geht nicht raus. Dabei stand das eindeutig auf dem Schild. Aber schnell wird klar:
Können die Leute auch mal sehen, dass es gar nicht so schlimm ist, wie immer gemeint wird. Es denken ja leider Gottes viele, es wäre richtig schlimm zur Bundeswehr zu gehen.
Denn bei der Bundeswehr gibt es sogar kleine Duschen, nicht nur große Duschsäle, wie man immer denkt. Na dann, jetzt sind alle Probleme gelöst.
Wie von den Rekrut*innen erhofft, wird Disziplin verlangt. Anweisungen werden mit „Jawohl“ kommentiert. Aber man merkt auch ein bisschen, wie sympathisch die Offizier*innen eigentlich sind, wenn die Kamera mit ihnen alleine ist.
Überhaupt soll alles in dieser Serie echt wirken. Ein bisschen chaotisch am Anfang, mit wackelnder Kamera verfolgen wir die Rekrut*innen. Fröhliche Musik. Matrosin Weisshuhn („geht nicht oft shoppen“) kennt ihre Hosengröße nicht. Der nervöse Matrose Palme findet die Station zum Einkleiden nicht.
Aber als sie dann endliche alle ihre Marinejacken tragen, merkt man schon ein bisschen, wie stolz sie jetzt sind. Ein bisschen wichtiger als vorher.
Das war der erste Tag. Ziemlich langweilig. Am besten ist auf jeden Fall die Werbung für Folge zwei. Großen Respekt für diesen phänomenalen Wortwitz:
Drei schalten minus zwei schalten ist gleich einschalten.
Bitterer Nachgeschmack
Lachen über die gesamte auf die Spitze getriebene Absurdität dieser Kampagne ist eine gute erste Reaktion. Aber eigentlich gibt es gar nichts zu lachen.
Der Anstrich der Normalität, den die Bundeswehr sich gibt, ist beängstigend: Hör auf zu spielen, mach was richtiges – in einem sympathischen, aber disziplinierten Umfeld. Mit der Webserie kann die deutsche Armee sich cool darstellen, als Anlaufstelle für Jugendliche, die sich selbst verwirklichen wollen – und ganz von alleine sogar so etwas Gutes tun können!
Nicht geredet wird darüber, was für ein Verein die deutsche Armee wirklich ist. Auslandseinsätze in 17 Ländern? Kein Wort. Kommt auch nicht so gut an, wenn es darum geht, Sympathiepunkte zu bekommen.
Was noch nicht so gut wirkt: Dass es innerhalb der Bundeswehr Misshandlungen der eigenen Soldat*innen gibt, sowie Vergewaltigungen und massiven Rassismus. So viel zu #Kameradschaftlichkeit und #Hilfsbereitschaft.
Acht Millionen Euro hat die Bundeswehr sich die Produktion der Serie und die massive Werbekampagne dafür kosten lassen. Acht Millionen Euro „werben fürs Sterben“.
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Gibt es (statistische) Belege zu Rassismus und Vergwaltigungen bei der Bundeswehr?
https://www.welt.de/politik/deutschland/article108746570/Vom-Klaps-auf-den-Po-bis-zur-Vergewaltigung.html
https://www.welt.de/politik/deutschland/article153368925/Haben-Sie-etwas-gegen-Fluechtlinge-Ja-Pistolen.html
Das sind die ersten beiden Treffer beim Googlen nach „bundeswehr vergewaltigung“ sowie „bundeswehr rassismus“. Den Rest kannst du gerne selber recherchieren! :)
„Gemessen an der Größe der Streitkräfte seien es aber glücklicherweise Einzelfälle. „Wir sprechen hier von erwiesenen Fällen, die disziplinar- oder strafrechtlich geahndet worden sind, nicht von Schätzungen oder von Dunkelziffern.“
Angesichts der Tatsache, dass es Einzelfälle in so geringer Anzahl sind, finde ich eine Stigmatisierung, so wie sie hier anklingen soll (Bundeswehr = Haufen Vergewaltiger) ziemlich fehl am Platze.
Weiterhin wird Rassismus bzw. rechtes Gedankengut bei der Bundeswehr bestraft, und das nicht gerade zimperlich.
„Der Fall ist einer von 230 rechtsextremistischen Verdachtsfällen innerhalb der Bundeswehr, die der Militärische Abschirmdienst (MAD) aktuell bearbeitet. Das geht aus einer Antwort des Verteidigungsministeriums auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke (Linke) hervor, die der „Welt“ vorliegt.“
230?? Das ist ein Witz und liegt angesichts der Truppengröße wohl im oder gar unter Schnitt der kompletten Gesellschaft, was rechtsextremes Gedankengut anbelangt.
„Den Rest kannst du gerne selber recherchieren!“ ist übrigens ein Armutszeugnis. Wenn der Artikel solche Thesen aufstellt aber selbst nicht mit fundierten Quellen kommt, so dass man auf Nachfrage „selber recherchieren“ muss, ist das ziemlich dünne. Ich kann auch schreiben: „Die Bundeswehr sorgt für ein höheres Sicherheitsempfinden in der Bevölkerung und schafft Arbeitsplätze“ und dann sagen „google halt, schau selber nach“.
„Ja, es gibt Fälle sexueller Belästigung in der Bundeswehr“, sagt der Direktor des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr, Ernst-Christoph Meier. „Ohne das relativieren oder bagatellisieren zu wollen ist unsere Einschätzung, dass das Ausmaß in den deutschen Streitkräften geringer ist als in vielen anderen Armeen, auch geringer als in der Privatwirtschaft.“ Das könne mit der Organisationskultur zu tun haben. Denn die Bundeswehr ahnde gemeldete Vorfälle in der Regel sehr konsequent und sei insgesamt sensibel mit Blick auf die Integration von Frauen – „wie das zurecht von der Öffentlichkeit hierzulande erwartet wird“.
soviel dazu.
Das Thema Auslandseinsätze wird sehr wohl thematisiert, allerdings erst im Lauf der Serie. Tatsächlich gibt es aber eine Folge, die sich alleine diesem Thema widmet.