Die Linke, Podemos und Co.: Eine reformistische Internationale 2.0?

20.04.2017, Lesezeit 9 Min.
1

Anführer*innen von Podemos, Die Linke und linke Intellektuelle haben ein Manifest „für eine demokratische Revolution in Europa“ veröffentlicht. Damit wollen sie sich als Alternative angesichts des Aufstiegs der extremen Rechten positionieren

Die Konferenz „Bridges, not walls“ wird Ende April in Madrid stattfinden. Das Ziel des Treffens ist es, verschiedene linke Kräfte, Intellektuelle und soziale Bewegungen zusammenzubringen, um die Möglichkeiten einer gemeinsamen Wahlfront für die Europawahlen 2019 auszuloten.

In ihrem Manifest schreiben sie: „Die Eliten stellen ihre Lösungen so dar, als gäbe es keine Alternative außer der neoliberalen EU der Märkte, der Festung Europa auf der einen Seite und auf der anderen Seite dem ausschließenden und fremdenfeindlichen national-identitären Rückzug. Doch wir lehnen es ab, auf diese Falle hereinzufallen. Der Marktfundamentalismus und der fremdenfeindliche Populismus suchen sich und bestärken sich gegenseitig, doch es sind nicht die Auswege, die die Menschen in Europa brauchen.“

Sie schlagen vor, „gegen die Fremdenfeindlichkeit, den Neoliberalismus und das Patriarchat“ für ein „offenes, inklusives, demokratisches, solidarisches, gerechtes und gleiches“ Europa – „Unser Europa“ – zu kämpfen. Dieses Manifest wurde unter anderen von Noam Chomsky, Susan George (ATTAC), Yanis Varoufakis, Pablo Iglesias (Podemos), Miguel Urbán (Anticapitalistas), Gabriele Zimmer (Die Linke), Catarina Martins (Bloco d’Esquerda), Eric Toussaint, Marina Albiol (Izquierda Unida), Íñigo Errejón, Chantal Mouffe, „Kichi“ (Bürgermeister im spanischen Cádiz von Anticapitalistas), Adam Klug (Peoples Momentum) oder Nicola Fratoianni (Sinistra Italiana).

Der Vorschlag einer „demokratischen Internationale“ ist ein Versuch der neoreformistischen europäischen Linken, nach der Katastrophe von Syriza 2015 und dem Aufstieg der extremen Rechten auf internationaler Ebene die Initiative zurückzugewinnen. Doch das Manifest hat enorme Widersprüche und Schranken.

Eine demokratische Revolution in Europa?

Die Unterzeichner*innen des Manifests schlagen vor, ein Europa der „Bürgerrechte“ und der „sozialen Gerechtigkeit“ aufzubauen, das „Gesetze zur Verbesserung der Arbeitswelt“ erlässt, ein „wirklich umverteilendes und progressives Steuersystem“ einführt, „die illegitimen öffentlichen Schulden streicht und die Militär- und Sicherheitsinvestitionen zugunsten sozialer Projekte verringert“. Ein Europa, das „vollständig demokratische und partizipative supranationale Institutionen aufbaut“ und dessen Außenpolitik von „Frieden, Klima- und sozialer Gerechtigkeit und den Menschenrechten“ geleitet ist.

Das ist eine ganze Reihe von guten Absichten, doch leider sind es nur leere Worte, die auf die Realität des Europas des Kapitals stoßen, in dem die Monopole und die imperialistischen Staaten mit Blut und Gewalt ihre Interessen durchsetzen, auf Kosten der Ausbeutung und Unterdrückung von Millionen von einheimischen und migrantischen Arbeiter*innen.

Das Manifest beinhaltet nicht nur ausschließlich kosmetische Maßnahmen, sondern zudem schlägt es keinerlei unmittelbare und konsequente Kampfmaßnahmen vor, um sie durchzusetzen. Glauben die Unterzeichner*innen etwa wirklich, die NATO-Militärausgaben für Sozialpolitik einzusetzen, indem man die Kapitalist*innen überzeugt, dass das besser für den „Weltfrieden“ sei?

Es handelt sich bei den Vorschlägen um ein neokeynesianisches Programm light mit lauwarmen Maßnahmen, die nicht dazu in der Lage sind, die durch die kapitalistischen Eliten verursachte soziale und wirtschaftliche Zerstörung aufzuhalten. Zudem strotzt das Manifest vor einem europäistischen Narzissmus, der an die Aussagen der Sozialdemokratie der 90er erinnert, Europa verkörpere „die Hoffnungen auf Wohlstand, Freiheit und Rechte für Millionen von Personen“. Sie wollen (zurück? hin?) zu einem „demokratischen Europa“, als wäre die EU nicht schon immer ein imperialistischer Block zur Verteidigung kapitalistischer Interessen gewesen, was ihre gesamte bürokratische und reaktionäre Struktur erklärt.

Die aktuelle Krise der EU verdeutlicht die Fehlerhaftigkeit der utopischen Vision, dass der Fortschritt hin zu einer demokratischen supranationalen europäischen Struktur möglich wäre. Genauso falsch ist es, auf eine schrittweise und friedliche Überwindung des Imperialismus im kapitalistischen Rahmen zu hoffen. Solche Illusionen werden heute von Podemos, Die Linke und dem gesamten europäischen Linksreformismus geschürt.

Doch die Grenzen des Manifests liegen nicht nur in dessen Aussagen, sondern auch in dem, was es verschweigt: auch wenn es unfassbar scheint, wird Syriza nicht einmal erwähnt. Der einzige Bezug auf Griechenland findet sich in einem allgemeinen Satz: „Vor einem Jahr zeigte die griechische Krise die Grenzen des Versuchs auf, die real existierende EU alleine zu verändern.“ Es geht den Unterzeichner*innen also darum, das Kapitel der tragischsten Erfahrung des europäischen Linksreformismus der vergangenen Jahre abzuschließen ohne die notwendigen Schlussfolgerungen daraus zu ziehen.

Die Strategie der reformistischen Linken ist es, institutionelle Räume in den Parlamenten anzuhäufen, um in einer unbestimmten Zukunft „linke Regierungen“ in verschiedenen Ländern Europas aufzubauen, um so Kräfte zu sammeln und die „Spielregeln“ in der EU zu verändern. Sie sagen, das Problem in Griechenland sei gewesen, dass Syriza es „alleine“ versucht hätte. Doch das eigentliche Problem lag bei dem „antineoliberalen“ Programm von Syriza, das sich als vollkommen unfähig gegenüber den realen Mächten des Europas des Kapitals erwies und dazu führte, dass sich Tsipras in den direkten Agenten der Troika-Pläne verwandelte.

Die Erfahrung von Syriza und auf kleinerer Ebene der „Rathäuser des Wandels“ in verschiedenen spanischen Städten genauso wie die Landesregierungen der Linkspartei gemeinsam mit der Sozialdemokratie in Deutschland zeigen, dass die Strategie der Verwaltung der Staatsinstitutionen nur dazu führt, das Elend mit „menschlichem Antlitz“ zu verwalten. Denn die kapitalistische Klasse behält weiterhin die Kontrolle über die Schaltzentralen der Wirtschaft und des Staates.

Ohne dass die Arbeiter*innenklasse, bestehend aus Millionen von einheimischen und migrantischen Arbeiter*innen, die Wirtschaft lahmlegt und den Weg hin zu einem Kampf gegen den Kapitalismus eröffnet, ist es unmöglich, der aktuellen Krise eine wirkliche Alternative entgegenzustellen. Vor mehr als 100 Jahren polemisierte Rosa Luxemburg mit dem Revisionisten Bernstein und wies dabei auf etwas hin, was auch heute noch aktuell ist:
„Denn da die Sozialreform einmal in der kapitalistischen Welt eine hohle Nuß ist und allezeit bleibt, mag man eine Taktik anwenden, welche man will, so ist der nächste logische Schritt die Enttäuschung auch in der Sozialreform“.

Ein antikapitalistisches und internationalistisches Programm gegen das Europa des Kapitals und die Fremdenfeindlichkeit

Die Debatte über die Krise der EU hat verschiedene Positionen innerhalb der politischen Strömungen hervorgerufen. Die Karte der europäischen Linken ist weiterhin eindeutig mehrheitlich pro-europäisch (Podemos, Die Linke, Izquierda Unida, die Bewegung DIEM25 von Yanis Varoufakis, etc.). Ausgehend von der Ablehnung der Austerität erkennen sie eine Möglichkeit der Reform und der Demokratisierung der EU, indem sie ihren imperialistischen und reaktionären Charakter außen vor lassen.

Auf der anderen Seite entstand ein souveränistischer Flügel, der sich um einen „Plan B“ gruppierte. Im Falle des französischen Präsidentschaftskandidaten Jean-Luc Melenchón von „France Insoumise“ ist sein „Plan A“ der Versuch einer Neuverhandlung der europäischen Verträge, indem er sich auf die „Größe Frankreichs“ stützt. „Wenn sie nicht zuhören“, müsse man einseitig die Verträge brechen und aus einer besseren Position neu verhandeln. Von diesem „Plan B“ weiß niemand genau, wie er konkret aussieht. Damit integriert er einen „souveränistischen“ Diskurs in seinen Wahlkampf, um der extremen Rechten Stimmen zu klauen, doch gleichzeitig hat er das Ziel, den Euro und die EU zu retten. Die radikalsten Vertreter*innen des Plan B sind Intellektuelle wie Frédéric Lordon oder Parteien wie die griechische KKE, die einen sofortigen Austritt aus dem Euro fordern. Sie halten den Kampf für „den Austritt aus der EU“ und des Euros für ein Ziel an sich, eine notwendige Phase für den Aufbau eines „nationalen Kapitalismus“, der die Souveränität gegenüber Brüssel zurückgewinnt.

Beide großen Positionen innerhalb der europäischen Linken – Europäist*innen und Souveränist*innen – sind gleichsam reformistisch und führen in eine Sackgasse. Um die Politik des Europas des Kapitals und die Fremdenfeindlichkeit der extremen Rechten zu bekämpfen, müssen die Arbeiter*innen ein eigenes Programm erheben, damit die Kapitalist*innen für die Krise zahlen.

Es geht um ein Übergangsprogramm, das die Spaltung der Arbeiter*innen überwindet, die Fremdenfeindlichkeit bekämpft und die von der Krise betroffenen Sektoren der Mittelschicht gewinnt, die sonst als soziale Basis für die Demagogie der extremen Rechten dienen.

Ein solches Programm mit dem Ziel, die Enteigner*innen zu enteignen, sollte Notmaßnahmen enthalten wie die Aufteilung der Arbeit auf alle verfügbaren Arbeitskräfte bei gleichzeitiger Erhöhung des Mindestlohns, die Verstaatlichung der Banken und der strategischen Sektoren der Wirtschaft unter Arbeiter*innenkontrolle, die Nichtzahlung der Schulden und der Kampf für die Erlassung der Schulden in den Gläubigerländern, der Bruch mit allen Abkommen und Verträgen der EU und der Stopp aller rassistischen und fremdenfeindlichen Maßnahmen gegen die Immigrant*innen. Ein solches Programm kann nur durch den Anstoß des Klassenkampfes in ganz Europa durchgesetzt werden, indem die Methode der Generalstreiks wieder angeeignet wird und gegen die von den Gewerkschaftsführungen auferlegten Passivität gerichtet ist, sowie gegen die Illusionen des neuen Reformismus in den Parlamentarismus.

Das sind einige elementare Maßnahmen als Teil eines antikapitalistischen und klassenkämpferischen Programms, um gegen die Kürzungsregierungen und die „Troika“ für Arbeiter*innenregierungen zu kämpfen, mit der strategischen Perspektive der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa. Das ist der einzige fortschrittliche Ausweg für die Arbeiter*innen und die unterdrückten Massen.

Mehr zum Thema