Die Krise der PSOE und das Debakel der europäischen Sozialdemokratie

03.10.2016, Lesezeit 7 Min.
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Die PSOE bricht auseinander und reiht sich in die krisengeschüttelten sozialdemokratischen Parteien Europas ein. Diese reichen von dem Untergang der PASOK in Griechenland bis hin zum Phänomen Corbyn in Großbritannien. Der europäische Sozialliberalismus steht vor einer abgrundtiefen Krise.

Die Sozialistische Arbeiter*innenpartei Spaniens (PSOE), die weder sozialistisch noch proletarisch ist, steht vor ihrer größten Krise seit 1979. Damals konnte die Führung der Partei auf einem historischen Parteitag durchsetzen, jeden Bezug zum Marxismus hinter sich zu lassen. Das war die Vorbedingung für die „goldenen“ Jahre an der Macht als Verwalter*innen des spanischen Kapitalismus.

Der Leiter dieser Wende war der junge Felipe González, damals noch mit Lederjacke und mitreißenden Reden. 40 Jahre später stiftete er mit den parteiinternen „Baronen“ und in Leitartikeln der Tageszeitung El País einen Putsch an, um den Vorsitzenden Pedro Sánchez zu entmachten.

Das Ziel dieser Operation: Die PSOE soll sich der Stimme enthalten und eine Minderheitsregierung der erzkonservativen Volkspartei (PP) ermöglichen. Das fordert sowohl das politische Establishment als auch die Unternehmen der spanischen Börse (IBEX35), Sánchez lehnt das ab. Ein solches Ergebnis wäre das letzte Kapitel in der historischen Rolle der PSOE als Stütze des spanischen Zweiparteiensystems. Schon vorher war sie stark geschwächt.

Nach dem Treffen der Parteispitze am vergangenen Samstag kündigte Sánchez dann seinen Rücktritt an. Damit zog er die Konsequenz aus der Niederlage im internen Richtungsstreit, da das Gremium seine Vorschläge für einen außerordentlichen Parteikongress ablehnte. Schon Anfang vergangener Woche waren 17 der 38 Vorstandsmitglieder zurückgetreten, um Sánchez seine Macht zu entziehen.

Die Zukunft der PSOE wird von großen Schwierigkeiten geprägt sein, die zu Spaltungen bis hin zum massiven Wähler*innenverlust führten könnten. Schließlich unterstützten 70 Prozent der Wähler*innen Sánchez‘ Politik, eine erneute Regierung der PP nicht zu ermöglichen.

Natürlich heißt das nicht, dass Sánchez in irgendeiner Form ein wirklich anderes soziales, wirtschaftliches und politisches Projekt verkörpert. Doch er versuchte, die PSOE als „Opposition“ aufrechtzuerhalten, um den Verfall seiner Partei und seiner selbst zu verhindern.

Die Krise der spanischen Sozialdemokrat*innen verschärft die Fäulnis der europäischen Sozialdemokratie, und erklärt sich aus ihr.

Der Erfolg des regierenden Sozialliberalismus bereitete seinen Ruin vor

Das „goldene Zeitalter“ der Sozialdemokratie an der Macht reichte vom Ende der 70er-Jahre über die 80er bis in die 90er, als sie europaweit die besten Wahlergebnisse erzielen konnte. Paradoxerweise waren es genau diese „erfolgreichen“ Jahre in der Regierung, die die sozialdemokratischen Parteien in ihre aktuelle Krise führten.

Diese Zeit war von der neoliberalen Wende und der Verwandlung der Sozialdemokratie in „Sozialliberalismus“ geprägt, der sich hinter das Finanzkapital und die sich festigenden Spielregeln der Europäischen Union stellte.

Felipe González war ein Pionier in diesem „Kreuzzug“ der Deregulierung der Wirtschaft und der „Umstellung der Industrie“, die Hunderttausende Entlassungen zur Folge hatte. Die darauffolgenden Regierungen von PP und PSOE vertieften diese Politik.

Doch der paradigmatische Fall dieser Epoche war der „Dritte Weg“ von Tony Blair. In den Worten des Intellektuellen Tariq Ali verwandelte sich Labour in einen „Thatcherismus mit anderen Mitteln“. Die von Thatcher in den 1980er Jahren nach der Niederlage des Minenstreiks und der Schwächung der Gewerkschaften durchgeführte neoliberale Politik vertiefte er. Es folgten die Kürzungen der öffentlichen Ausgaben, ein regressives Steuermodell, systematische Deregulierung und unvergleichbare Vorteile für die Börse der City of London. „New Labour“ von Blair war auch die Partei des Irak-Kriegs, der NATO und der strategischen Allianz mit den USA.

In Deutschland wurde diese Politik von Gerhard Schröder als Kanzler der rot-grünen Regierungen vorangetrieben: Die „Agenda 2010“ kürzte Arbeitsrechte, um unter anderem die Ausweitung von Mini-Jobs und prekärer Beschäftigung im Allgemeinen zu ermöglichen. Sie legte den Grundstein für das „deutsche Wunder“ des letzten Jahrzehnts. Außerdem ist sie gemeinsam mit der stetigen Zunahme der deutschen Exporte und der Ausbeutung der billigen Arbeitskräfte aus Osteuropa die Basis für die relative Stabilität der Merkel-Regierung.

Die Sozialdemokratie des „Dritten Wegs“ konnte den Neoliberalismus am effizientesten durchsetzen. Sie zwangen die Gewerkschaften zur Passivität und stellten sich gegen sie und ihre soziale Basis. Gleichzeitig stärkten sie die Gewerkschaftsbürokratie, die sich ihre Rolle als Sozialpartnerin vergolden ließ.

Wirtschaftliche und politische Krise

Die kapitalistische Wirtschaftskrise seit 2008 hat die tiefe Krise der europäischen Sozialdemokratie beschleunigt.

Der Niedergang der PASOK in Griechenland hatte eine solche Reichweite, dass der Begriff „Pasokisierung“ ein Sinnbild für die größten Ängste der Sozialdemokratie wurde. Dies gilt besonders für den Süden Europas, wo die Krise größere Auswirkungen und soziale Konsequenzen hatte. Im Spanischen Staat, Griechenland und Portugal eröffnete die Krise der Sozialdemokratie linksreformistischen Alternativen einen Raum, wie Podemos, dem Bloco de Esquerda oder Syriza.

Im Falle Griechenlands schluckte die Krise nicht nur die PASOK, sondern führte auch in Rekordzeit zum Rechtsruck Syrizas als neue sozialdemokratische Partei. Angetreten mit dem Versprechen einer „Linksregierung“, wurde sie zu einer effizienten Durchführerin der Privatisierungen und Sparmaßnahmen, die von der Troika gefordert werden, gegen die griechische Bevölkerung.

Auf entgegengesetzter Seite, auf dem Gebiet der deutschen Stabilität, brachten die Regierungen der „Großen Koalition“ die SPD in die strategische Rolle des Juniorpartners der Merkel-Regierungen, die für die Austeritätspolitik in ganz Europa verantwortlich sind. Die Abgeordnetenhauswahlen in Berlin bestätigten, dass der Wähler*innenschwund der letzten Jahre nicht nachlässt, auch wenn sie die meistgewählte Partei blieb.

Zwischen diesen beiden Extremen finden wir zahlreiche weitere Krisenmomente. In Österreich, wo es ebenfalls eine Große Koalition gibt, konnte bei den vergangenen Präsidentschaftswahlen keine der beiden Regierungsparteien in der ersten Runde eine Mehrheit erreichen. Das führte zum Zweikampf zwischen dem Kandidaten der fremdenfeindlichen FPÖ Norbert Hofer und dem unabhängigen Van der Bellen, der mit den Grünen verbunden ist.

In Großbritannien ist die Situation von einer zunehmenden Polarisierung und dem Brexit geprägt. Auch die Krise der Labour-Party entwickelte sich vollkommen anders. Der Aufschwung des „Phänomen Corbyn“ und die massiven Gewinne junger Parteimitglieder, die seine Kandidatur unterstützen, spaltete die Partei: Auf der einen Seite gibt es den konservativen Sektor, der mit der Parlamentsfraktion verbunden ist, und auf der anderen Seite stehen die jugendliche Basis und die Gewerkschaften. Es gab weder einen Untergang wie in Griechenland noch den Aufstieg einer Art Podemos wie in Spanien, sondern die „Podemisierung“ von innen heraus, was zu starken und bisher ungelösten Spannungen führte.

Auch in Frankreich ist die Krise der Sozialistischen Partei bedeutend. Die Regierung sieht sich einer breiten und langanhaltenden Protestbewegung gegen die Arbeitsmarktreform entgegengestellt. In diesem Rahmen drückt der Popularitätsverlust von Hollande den Bruch eines Teils der traditionellen sozialen Basis mit der Partei aus. Dieser Prozess geht voran, ohne dass bisher eine bedeutende linke Kraft entsteht, die ihn für sich ausnutzen kann. Im Gegensatz steigt der rechtsextreme Front National weiter auf und wird aller Voraussicht nach gegen Sarkozy um die Präsidentschaft kämpfen.

In ganz Europa sehen wir die Auswirkungen der Krise der Sozialdemokratie – und auch der Konservativen – im Aufstieg neuer Phänomene links und rechts der politischen Landschaft. Diese linksreformistischen Formationen übernehmen jedoch das Modell, die Reden und das Programm, um Wähler*innen zu gewinnen, wie in Griechenland, Portugal oder Spanien.

Die Krise der PSOE hat die Partei selbst vor den Abgrund gestellt: Sie ist Ausdruck dieser tiefgreifenden Entwicklung, dem Vertrauensverlust von Teilen der Massen und der sozialen Unzufriedenheit mit der Kürzungspolitik der letzten Jahre. Die Konsequenzen dieser Krise sind noch offen, doch es ist klar, dass sie bedeutend sein werden.

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