Die Bundesregierung unterstützt die Putschregierung in Brasilien

28.05.2016, Lesezeit 9 Min.
1

Die neue Interimsregierung in Brasilien vertritt die Interessen des Imperialismus. Deshalb möchte sie harte Angriffe auf die Arbeiter*innen und Jugendlichen durchführen. Dafür wird sie von der deutschen Regierung gelobt.

„Das, was dort geschehen ist, ist jedenfalls nach den Regeln der Verfassung erfolgt. Der ehemalige Vizepräsident hat jetzt die Amtsgeschäfte übernommen. Jetzt muss nach den Regeln der brasilianischen Verfassung alles seinen richtigen Gang gehen. Noch ist das Amtsenthebungsverfahren, das in Gang gesetzt ist, nicht abgeschlossen. Wir werden uns hüten, uns von Berlin aus auf diese Art und Weise kommentierend auf die Verhältnisse in Brasilien und in Brasília einzulassen.“

Das waren die Worte von Martin Schäfer, Sprecher des Auswärtigen Amtes, als er über die Einschätzung der Bundesregierung zum kürzlich vollzogenen Machtwechsel in Brasilien befragt wurde. Diese wohlwollende und abwartende Haltung gegenüber dem aktuellen Prozess kommt nicht von ungefähr. So hält die Bundesregierung auch alle diplomatischen Beziehungen aufrecht.

Denn sie erhofft sich von der neuen Interimsregierung ein Ende der wirtschaftlichen und politischen Krise zu Gunsten des imperialistischen Kapitals. Mit Volkswagen, BASF, Siemens, Bayer, ThyssenKrupp und Mercedes – um nur einige zu nennen – haben bedeutende deutsche multinationale Konzerne Standorte in Brasilien. Zudem exportierte Deutschland im vergangenen Jahr Güter im Wert von 19,4 Milliarden Euro und sorgt sich deshalb um die Sicherheit dieses nicht zu missachtenden Absatzmarktes.

Institutioneller Putsch

Am 12. Mai nahm die Interimsregierung ihre Geschäfte auf. Die bisherige Präsidentin Dilma Rousseff wurde im Rahmen eines Amtenthebungsverfahrens für die kommenden 180 Tage von ihrem Posten suspendiert. Der neue Interimspräsident und ehemaliger Vize Michel Temer nannte die Regierung in seiner Antrittsrede eine Regierung der „nationalen Rettung“.

Darunter versteht er einerseits, die Wirtschaftskrise zu beenden, und andererseits das Land „zu befrieden und zu vereinen“. Diese Ziele möchte er mit einer neoliberalen Agenda aus Kürzungen und der Kriminalisierung der Proteste erreichen, und somit die unerfüllten Aufgaben seiner Vorgängerin zu übernehmen.

Dilma hatte 2015 alle ihre Wahlversprechen aus dem Vorjahr gebrochen und einen rigiden Sparkurs durchgezogen. Flughäfen und der wichtige Ölkonzern Petrobras – der im Zentrum des größten Korruptionsskandals der jüngeren brasilianischen Geschichte steht – wurden privatisiert, Haushaltsgelder gekürzt, Lohnzahlungen ausgesetzt. Doch die Rezession vertiefte sich trotzdem und wuchs zur größten Wirtschaftskrise seit den 1930er Jahren an.

Deshalb forderten der Imperialismus und die brasilianische Rechte weitere neoliberale Maßnahmen und stachelten massive Proteste gegen die Präsidentin an. Im Dezember 2015 wurde dann ein institutioneller Putsch der Regierung eingeleitet. Mit Unterstützung von Opposition, Medien und Justiz wurde so ein Amtsenhebungsverfahren gegen die Präsidentin begonnen.

Dieses wurde am 17. April vom Kongress in einer zirkusartigen Abstimmung unterstützt und am 10. Mai im Senat bestätigt. Dadurch wurde die von 54 Millionen Menschen gewählte Dilma von einer Horde korrupter und reaktionärer Politiker*innen im Interesse des Imperialismus abgewählt.

Das gelang ihnen, da sie die passive Ablehnung von großen Teilen der Bevölkerung gegenüber der grassierenden Korruption und der brutalen Kürzungspolitik der Regierung ausnutzen konnten. Aktiv wurde der Putsch von der weißen städtischen Oberschicht vorangetrieben. Die neue Temer-Regierung ist indes sogar noch unbeliebter als Dilma, die selbst nur zehn Prozent der Bevölkerung hinter sich wusste.

Dilma und ihre „Arbeiterpartei“ (PT) haben in den 13 Jahren ihrer Regentschaft die Korruption und Verhandlungen mit der Rechten zu ihrem eigenen modus operandi gemacht. Dabei handelte es sich, kurz gesagt, um die klassischen Methoden der Verwaltung des bürgerlichen Staates. Doch die Interimsregierung von Temer geht noch weit über diese „klassischen Methoden“ hinaus, denn sie besteht ausschließlich aus Vertretern der reichsten Familien des Landes: Sie ist eine Bonzenregierung, in der weder Schwarze noch Frauen ein Amt bekleiden.

Reaktionäre Agenda der Regierung und seine Schranken

Ein gutes Beispiel für diese Entwicklung ist der neue Finanzminister Henrique Meirelles. Früher war er nicht nur Banker bei der brasilianischen Bank Itaú, sondern auch Zentralbankchef unter Dilmas Vorgänger Lula. Jetzt möchte er die Haushaltskosten drastisch senken und besonders bei Bildung und Gesundheit einsparen. Dazu ist er sogar bereit, die Verfassung zu ändern, da diese kontinuierliche Budgeterhöhungen der sozialen Ressorts vorsieht.

Der Bildungsminister Mendonça Filho hat sich in einem Zeitungsinterview für die Einführung von Studiengebühren an öffentlichen Hochschulen ausgesprochen und stellt sich gegen die Forderung der Studierendenbewegung nach Mindestquoten für Schwarze. Arbeitsminister Ronaldo Nogueira möchte Outsourcing auch in strategischen Industriezweigen ermöglichen und Gesundheitsminister Ricardo Barros trat im Wahlkampf für seine Partei für die Privatisierung des Gesundheitssystems auf. Zudem wurden das Ministerium für Kultur und das für Frauen, Gleichheit und Menschenrechte direkt abgeschafft.

Alls wäre all das nicht schon Zeichen genug für die reaktionären Intentionen der neuen Regierung, fand auch schon ein erstes Treffen zwischen den Vorsitzenden der gelben Gewerkschaft Força Sindical und Kabinettschef Eliseu Padilha statt, um über die kommende Rentenreform zu sprechen. Die Regierung möchte ohne große Probleme ein höheres Mindestrentenalter und ein neues Berechnungsschema einführen, nachdem alle länger arbeiten und mehr einzahlen müssten.

Bei der Umsetzung dieser Pläne steht die Regierung jedoch mehreren Problemen gegenüber. Temer konnte zwar eine parlamentarische Mehrheit schmieden, doch die Beliebtheit in der Bevölkerung liegt am Boden, da die Regierung nicht gewählt wurde. Zudem wird auch gegen Temer und einen Großteil seines Kabinetts wegen der Beteiligung am Korruptionsskandal ermittelt.

Als erstes Zeichen dieser Schwäche musste zu Beginn der Woche der neue Planungsminister Romero Jucá aufgrund seiner Verwicklung in den Korruptionsskandal zurücktreten. In einem veröffentlichten Mitschnitt aus einem Gespräch zwischen ihm und dem früheren Petrobras-Manager Sergio Machado trat er deutlich für eine von Temer geführte neue Regierung ein, um die weiteren Ermittlungen im Korruptionsskandal zu verhindern. Ein weiterer Beweis, dass der Putsch nicht die Korruption beenden sollte, sondern das Regime vor einem weiteren Niedergang bewahren und den bürgerlichen Politiker*innen das Fell retten sollte.

Der Imperialismus wird auf die schnelle Umsetzung des neoliberalen Großprojektes drängen, da die Interimsregierung ein erstes Verfallsdatum in 180 Tagen hat. Ohne Legitimität und hohe Unterstützungswerte werden solche Angriffe jedoch von enormer Unruhe begleitet werden – sowohl im Überbau, als auch im Widerstand auf der Straße.

Deshalb ist es nicht zufällig, dass Temer Alexandre de Moraes zum Justizminister ernannte. Der ehemalige Sicherheitschef des Bundesstaats São Paulo kündigte sogleich die Verschärfung der Repression gegen soziale Bewegungen an. Der Gouverneur dieses Bundesstaates, Geraldo Alckmin, ließ dem sogleich Taten folgen und räumte einen Tag nach Temers Amtsantritt dutzende besetzte Schulen und verhaftete Schüler*innen illegal.

Der Regierung geht es darum, die aufkommenden Bildungsproteste im Keim zu ersticken. Tatsächlich haben sich die Besetzungen und Streiks gegen die Angriffe auf das Bildungssystem wie ein Lauffeuer im ganzen Land verbreitet – von Ceará im Norden über die wichtigsten Städte des Landes Rio de Janeiro und São Paulo bis hin nach Rio Grande do Sul im Süden. An der Universität Campinas, der Staatlichen Universität von São Paulo und der Universität São Paulo sowie der Staatlichen Universität von Rio de Janeiro befinden sich sowohl die Beschäftigten als auch die Studierenden im Ausstand.

Diese Kämpfe im Bildungssektor könnten, wenn sie sich ausweiten und Siege erringen, die Arbeiter*innen ermutigen, ebenfalls für ihre Forderungen auf die Straße zu treten und so den Klassenkampf anzukurbeln. So war es vor wenigen Jahren, als die Massenproteste der Jugendlichen im Juni 2013 eine riesige Streikwelle auslösten. Deshalb ist es eine der wichtigsten Aufgaben der Regierung, ein erneutes Aufkommen des Klassenkampfes zu verhindern, indem sie die Kämpfe vereinzeln und kriminalisieren und in Niederlagen führen.

Verschiedene linke Antworten

Die PT hat schnell die Rolle einer verantwortungsvollen Opposition übernommen. So verkündete der Fraktionschef im Senat, dass sie „das Land nicht in Brand setzen“ wollten. In einem Dokument, welches die Parteiführung am vergangenen Wochenende beschloss, legen sie ihre neue Ausrichtung dar. Einerseits schmücken sie sich mit linken Phrasen, wie Dilma, die den Putsch verurteilt und zum Widerstand aufruft, oder Lula, der Selbstkritik an dem verlogenen Wahlkampf äußert. Damit wollen sie das Vertrauen ihrer Basis wieder zurückgewinnen.

Andererseits bleiben sie ihrer Strategie der Klassenversöhnung treu und bereiten sich auf die Kommunalwahlen im Herbst des Jahres vor. Dort sind sie bereit, Koalitionen auch mit rechten Kandidat*innen einzugehen – unter der einzigen Bedingung, dass sie sich nicht öffentlich für den Putsch ausgesprochen haben. Sie beschließen keine konkreten Aktionen, sondern setzen weiterhin auf Verhandlungen mit neoliberalen und korrupten Abgeordneten.

Die Führung des größten Gewerkschaftsdachverbandes CUT, der mit der PT verbunden ist, hatte am 10. Mai pro forma zu einem Aktionstag aufgerufen. Diesen hatte sie jedoch nicht vorbereitet – er endete deshalb in einem wahren Fiasko. Das liegt daran, dass die Gewerkschaftsbürokratie die Kraft der Arbeiter*innenbasis und den Klassenkampf weit mehr fürchtet als die Rechte um Temer.

Die Revolutionäre Bewegung der Arbeiter*innen (MRT) tritt für den Sturz der Regierung und ein Ende der Angriffe und Sparmaßnahmen mittels der Mobilisierung von Arbeiter*innen und Jugendlichen ein. An Stelle der korrupten Regierung soll eine freie und souveräne Verfassungsgebende Versammlung eintreten, die alle sozialen und demokratischen Fragen diskutieren und lösen kann.

So kann die breite Ablehnung der neuen Putsch-Regierung nicht in die Unterstützung eines anderen bürgerlichen Projektes – sei es die Wiederkehr von Dilma oder einer*s anderen Oppositionskandidat*in –, sondern zu einer revolutionären Infragestellung des Systems kanalisiert werden. Für diese Perspektive intervenieren sie in alle Kämpfe der Ausgebeuteten und Unterdrückten und geben die Online-Tageszeitung Esquerda Diário heraus.

Auch die deutsche Linke muss sich den Kampf der brasilianischen Jugend und Arbeiter*innenklasse gegen die Putsch-Regierung zu eigen machen und dabei besonders die zynische Unterstützung der Bundesregierung angreifen.

Mehr zum Thema