Die Arbeiter*innenklasse, die Linke und der Rechtspopulismus

23.01.2017, Lesezeit 10 Min.
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Die Wahl von Donald Trump und der Aufstieg der Rechten in Europa hat die notwendige Debatte über die Beziehungen der Linken zur Arbeiter*innenklasse neu entfacht.

Owen Jones schrieb in seiner jüngsten Kolumne, im Guardian, die Linke bräuchte schnell einen neuen Populismus. Er hob hervor, dass die europäische radikale Linke sich vor allem aus der Jugend an den Universitäten und Jugendlichen aus der Mittelklasse rekrutiere. Weiterhin sagte er, dass die Einheit dieser mit der Arbeiter*innenklasse der Schlüssel sei, um dem Rechtspopulismus etwas entgegenzusetzen.

Der junge britische Intellektuelle erklärte:“Solange die Linke nicht in der Arbeiter*innenklasse verwurzelt ist, von den verschiedenen Bezirken in London bis zu den ehemaligen Industriestädten im Norden von London, solange sie nicht eine Sprache spricht die sich an jene richtet, die einst die natürliche Zielgruppe linker Politik waren, solange sie sich nicht von der Missachtung für die Sorgen der Arbeiter*innen befreit, solange wird es keine politische Zukunft für sie geben.“

Viele Gelehrte und politische Aktivist*innen in den USA betonen, dass eine Wiederbelebung der US-Linken nur durch eine Wiederbelebung der Arbeiter*innenklasse möglich sein wird. Jahrzehnte des materiellen und ideologischen Rückzugs hat die radikale Linke in den USA geschwächt und sie von ihrer sozialen Basis getrennt. Ein Wiedererstarken der Linken wird nur durch eine Verbindung mit der Arbeiter*innenbewegung möglich sein.

Im spanischen Staat, nach der Bildung der neuen konservativen Regierung von Partido Popular, haben verschiedene Gruppen, um Podemos und Izquierda Unida, angefangen zu betonen wie wichtig es ist die Kämpfe der Arbeiter*innen zu stärken und ihre Forderungen zu übernehmen.

Auch wenn sie dies tun, indem sie ihre Beziehung zur Gewerkschaftsbürokratie der beiden großen Gewerkschaften in Spanien ausbauen, besteht kein Zweifel darin, dass der Aufstieg neuer rechter Bewegungen, wie um Donald Trump und Marie Le Pen, eine strategische Debatte innerhalb der Linken anstößt, zB über ihr Verhältnis zur Arbeiter*innenklasse. Einige Aspekte dieser Debatte nehmen wir hier auf.

Welche Arbeiter*innenklasse?

Die Diskussion über die Notwendigkeit die Linke als organischen Bestandteil der Arbeiter*innenklasse aufzubauen führt zwangsläufig zu einer Debatte über den Charakter der Arbeiter*innenklasse.

Während der 1980er und 1990er Jahre, inmitten des neoliberalen Booms, hinterfragten postmoderne Intellektuelle das Konzept der Arbeiter*innenklasse und erklärten sie für verschwunden. Die Vorstellung ist paradox. Zu der Zeit weitete sich die kapitalistische Produktion enorm aus und eroberte ständig neue Bereiche. Dadurch wuchs auch die Arbeiter*innenklasse rasant an. Zeitgleich wurde sie in den Universitäten für verschwunden erklärt.

Andere Intellektuelle akzeptierten die soziologische Existenz der Arbeiter*innenklasse, aber argumentierten, dass sie die kämpferische Tradition verloren hätten, weil der Großteil der Lohnabhängigen nicht länger Fabrikarbeiter*innen waren. Sie stellen die These auf, die kapitalistische Entwicklung hätte eine neue Arbeiter*innenklasse geschaffen, die in den verschiedenen Sektoren der Dienstleistungsindustrie tätig sei. Die Kraft der Arbeiter*innenklasse schöpft sich jedoch nicht bloß aus den Industriearbeiter*innen, die übrigens weltweit weitaus zahlreicher sind als noch vor 100 Jahren. Die objektive Stärke der Arbeiter*innenklasse liegt auch bei den Arbeiter*innen im Dienstleistungssektor, den Banken, im Transportwesen, der Telekommunikation, Bars etc., also in allen, die nichts außer ihrer Arbeitskraft zu verkaufen haben. Das lässt das Management und leitende Angestellte außen vor, die als Exekutive des Kapitals fungieren. Diese Definition schließt auch die mittleren Sektoren oder das Kleinbürger*innentum aus, unabhängig davon, ob es sich um Selbständige, Kleinkaufleute oder Kleinbauern*bäuerinnen usw handelt.

Darum ist nicht bloß die vor 30 Jahren veröffentliche These vom Ende der Arbeiter*innenklasse falsch, sondern tatsächlich ist die Arbeiter*innenklasse, geographisch und zahlenmäßig, um einiges größer als vor 130 Jahren, als Engels und Marx das Kommunistische Manifest schrieben.

Zum Beispiel können wir heutzutage über die großen Streiks der Walmart-Arbeiter*innen in China lesen, ein Ergebnis der Ausweitung des Kapitalismus auf neue Regionen. Oder der Kampf der Arbeiter*innen in der amerikanischen Dienstleistungsindustrie, wie Fastfood-Ketten, Hotels, Flughäfen und Uber.

Aufgrund der veränderten Bedingungen und der ständigen Krise des Neoliberalismus akzeptieren liberale Intellektuelle, dass die Arbeiter*innenklasse existiert, sagen aber sie sei konservativ, ignorant, chauvinistisch und rassistisch. Sie behaupten die Arbeiter*innenklasse hätte Donald Trump gewählt. Eine weitere falsche Annahme, durch die unsere Klasse für den Sieg des rechten Flügels verantwortlich gemacht werden soll.

Zu Beginn müssen wir feststellen, dass die Arbeiter*innenklasse nicht nur aus heterosexuellen weißen Männern, zwischen 45 und 60 Jahren, besteht – Von denen wählte die Mehrheit Donald Trump. Aber eben auch ein großer Teil der Mittelschicht. Die Arbeiter*innenklasse in den USA beinhaltet eben auch prekarisierte Jugendliche, Frauen, Latinos, Araber*innen, Afro-Amerikaner*innen, LGBTI* etc. Ein Großteil von ihnen stimmte nicht für Donald Trump. Viele waren allerdings auch keine Anhänger*innen von Hillary Clinton, weil sie die Kandidatin des Establishment war und von vielen verabscheut wurde. Dies liegt in der Rolle der Demokratischen Partei begründet, die sie in den letzten Jahrzehnten spielte, und Donald Trumps Sieg ermöglichte. Ein Aspekt, der aber von vielen „Fortschrittlichen“ ignoriert wird.

Nachdem wir das klargestellt haben wollen wir zur Definition der Arbeiter*innenklasse zurückkehren. In den 1990er Jahren kam es zu einem Anstieg von Theorien über soziale Bewegungen oder die „Pluralität von Subjekten“, welche die Bewegungen für Frauenrechte, der Jugend, für sexuelle Vielfalt und die antirassistische Bewegung gegen das „alte Paradigma der Arbeiter*innenklasse“ ausspielen wollte. Eine Gegenposition des „Subjekt der Identitäten“ zum „Subjekt der Produktion“.

Es ist offensichtlich, dass wir mit einer neuen Arbeiter*innenklasse konfrontiert sind. Unsere Klasse ist heute viel weiblicher und multikultureller als vor 100 Jahren. Sie ist allerdings auch mit neuen prekären und über-ausgebeuteten Generationen konfrontiert. Aber dieses Phänomen kann unserer Klasse dabei helfen ihre Fähigkeit zur Transformation zu verbessern und ist weit davon entfernt der Arbeiter*innenklasse die Kraft zu rauben als soziales und politisches Subjekt aufzutreten.

Mehr als je zuvor ist diese feminisierte und multikulturell geprägte Arbeiter*innenklasse in der Lage zu einer hegemonialen Kraft zu werden, im Kampf gegen Kapitalismus, im Kampf für bessere Löhne, für Arbeitszeitverkürzung, gegen prekäre Lebensbedingungen und für bessere Arbeitsbedingungen, sowie für die speziellen Bedürfnisse der Unterdrückten, wie der Kampf der Frauen gegen das Patriarchat, der Kampf der LGBTI* und der Kampf nicht-weißer Menschen gegen Rassismus.

Dies ist die einzige Möglichkeit um einen wirklich radikalen Kampf für die Rechte zu führen, die der Kapitalismus, in den reichen Ländern, einigen Sektoren unserer Klasse nur teilweise gewährt oder limitiert, während Millionen davon komplett ausgeschlossen bleiben. Die Kämpfe gegen Rassismus und Patriarchat, wie auch die Kämpfe gegen den Imperialismus in den unterdrückten Ländern, benötigen eine revolutionäre und anti-kapitalistische Strategie; ansonsten sind sie zum Scheitern verdammt.

Eine radikale Linke der Arbeiter*innenklasse

In den letzten Jahrzehnten der kapitalistischen Restauration tendierte die europäische Linke dazu sich von der Arbeiter*innenklasse zu distanzieren. Das Desaster des Stalinismus und der ehemaligen bürokratisierten Arbeiter*innenstaaten, angefangen mit der ehemaligen Sowjetunion, gab nicht bloß dem Neoliberalismus die Möglichkeit eine ideologische und materielle Offensive gegen die Arbeiter*innenklasse zu starten, sondern ermöglichte auch eine Neuausrichtung der alten Linken. Den ersten Schritt machte die europäische Sozialdemokratie indem sie sich komplett in die Reihen des sozialen Liberalismus eingliederte. Damit positionierten sie sich als linker Flügel von dem was Tariq Ali später als „Extreme Mitte“ bezeichnete.

Das Selbe geschah mit der Linken, die sich als Erbin der kommunistischen und eurokommunistischen Parteien verstand. Hier war die Folge eine lange Periode der Anpassung an die parlamentarischen Institutionen. Jahre später folgte eine Vorliebe für neue Abkürzungen, um sich in sozialen Bewegungen aufzubauen, wenn sie nicht direkt auf die Illusionen von Video-Politik hereinfielen, wie im Fall von Podemos im spanischen Staat. Eine Bewegung wurde „von oben“ aufgebaut, durch Video-Übertragungen und Internetforen, statt „von unten“, durch Basisarbeit an Schulen und in Betrieben.

Das Gegenstück zum Rückzug der Linken von der Arbeiter*innenklasse war eine unkritische Anpassung an die Rolle der Gewerkschaftsbürokratie, die weitgehend einem versöhnlerischem Programm für die privilegierten Sektoren der Arbeiter*innenklasse folgte und sich bewusst weigerten Forderungen der Arbeitslosen, der prekär Beschäftigten, Migrant*innen, Frauen, nicht-weißen Menschen und LGBTI* zu berücksichtigen.

Die internationale kapitalistische Krise, die zwischen 2007 und 2008 ausbrach und erwiesenermaßen keine zyklische Krise ist, wie Verteidiger*innen der kapitalistischen Produktion behaupteten, beendete den Triumph der herrschenden Klasse, der die neoliberale Offensive in den 1990er Jahren begleitete. Gleichzeitig offenbarte dies den reaktionären Charakter der extremen Mitte, die für die härtesten Angriffe der letzten Jahrzehnte gegen die Arbeiter*innenklasse verantwortlich war. In diesem Zusammenhang hat die Gewerkschaftsbürokratie, die seit jeher der wichtigsten Garant für die Stabilität der verschiedenen kapitalistischen Staaten war, ihre Unfähigkeit bewiesen die Interessen, ihrer eigenen sozialen Basis, zu verteidigen.

Die globale Krise, die auf der politischen Bühne einen Prozess der Polarisierung in Gang brachte und politische Krisen in den kapitalistischen Kernländern auslöste, speziell in Europa und den USA, sorgte für eine Erosion der bürgerlichen politischen Repräsentation und ihrer Mechanismen. Dies hat den Boden bereitet für eine Reihe neuer politischer Lösungen, sowohl von Links, wie auch von Rechts, sowie zu weiteren klassenkämpferischen Phänomenen geführt. Dennoch drückt sich dies vor allem im Erstarken rechter Bewegungen aus.

Claudia Cinatti, verantwortlich für internationale Berichterstattung bei Izquierda Diario, schrieb kürzlich in einem Artikel über den Wahlerfolg von Donald Trump: “Eine Phase zunehmender Spannungen zwischen Staaten hat begonnen. Dies bringt bedeutende wirtschaftliche und militärische Konflikte, sowie gewaltsame Lösungen, mit sich angesichts zunehmender Klassenkämpfe. Trotz der Polarisierung hat die extreme Rechte nun die Oberhand im Kampf gegen eine zurückhaltende Linke, die auch weiterhin lediglich eine Variante der etablierten Parteien darstellt.

In diesem Zusammenhang kehren wir zur anfänglichen Debatte, über das Verhältnis der Linken zur Arbeiter*innenklasse, zurück. Das wichtigste Thema wird sein was für ein Programm wir benötigen, um uns innerhalb der Arbeiter*innenbewegung aufzubauen. Diskurse über Wahlen und moderate Programme, mit reformistischem Inhalt, haben sich als unzureichend bewiesen, den Rechtsruck aufzuhalten und dem Rechtspopulismus etwas entgegenzusetzen. Wie Perry Anderson, vor zwei Jahren auf einer Konferenz, argumentierte, enthalten die Programme von systemkritischen linksgerichteten Bewegungen, wie Syriza oder Podemos, weitaus weniger radikale Forderungen als die der systemkritischen Rechten. Oder gar schlimmer noch, wenn sie sich als völliger Betrug herausstellen, wie es bei Syriza geschehen ist. Die „linke Regierung“ um Alexis Tsipras setzt die neoliberalen Vorgaben der Troika ohne größeren Widerstand durch.

Um dem Rechtsruck, angesichts der Krise, etwas entgegenzusetzen braucht es ein radikales antikapitalistisches Programm, welches sich auf die Arbeiter*innenklasse stützt. Wir brauchen ein Programm, das radikale Maßnahmen gegen Massenarbeitslosigkeit und gegen prekäre Arbeit vorschlägt, volle Rechte für Migrant*innen, Frauen und Jugendliche fordert, gegen alle Arten von Diskriminierung aufgrund von Ethnie, Geschlecht und Staatsbürger*innenschaft vorgeht, für die Verstaatlichung von Basisdienstleistungen (wie Elektrizität) und dem Transportsektor eintritt, unter Kontrolle der Arbeiter*innen und Nutzer*innen, und ein Ende der Spekulation auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung verlangt. Diese Forderungen fordern das Etablishment heraus, also die Kapitalist*innen, die trotz Krise reicher und reicher geworden sind, und die korrupten Politiker*innen, die ihre Interessen verteidigen.

Dieser Artikel bei Left Voice

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