Die deutsch-chinesischen Beziehungen verärgern die USA

08.12.2022, Lesezeit 15 Min.
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Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz war das erste europäische Staatsoberhaupt, das Peking seit dem Ausbruch des Coronavirus besucht hat. Er war auch das erste westliche Staatsoberhaupt, das Xi Jinping nach dem Beginn seiner dritten Amtszeit traf. Seine Reise löste sowohl in Deutschland als auch im Ausland, insbesondere in den USA, heftige Kritik aus.

Nach dem Ukraine-Krieg gehen die atlantischen Kreise Berlins in die Offensive

Noch nie zuvor hat die Reise eines deutschen Bundeskanzlers nach Peking in Deutschland selbst für so viel Aufsehen gesorgt. Außenministerin Annalena Baerbock steht an der Spitze der aggressiven politischen Angriffe auf Peking unter dem Vorwand, für Menschenrechte einzutreten. Die Erfahrungen Deutschlands mit Russland hätten gezeigt, „dass wir uns von keinem Land mehr existenziell abhängig machen, dass unsere Werte nicht teilt“, sagte die Grünen-Politikerin der „Süddeutschen Zeitung“. „Komplette wirtschaftliche Abhängigkeit basierend auf dem Prinzip Hoffnung macht uns politisch erpressbar.“, führte sie fort. Sie zögerte nicht einmal, den Kanzler selbst im Ausland öffentlich anzugreifen. „Der Bundeskanzler hat den Zeitpunkt seiner Reise entschieden“, sagte die Außenministerin am 1. November in der usbekischen Hauptstadt Taschkent. Später, parallel zu Scholz‘ Treffen mit Xi in Peking, griff Baerbock den Kanzler auf dem G7-Außenministertreffen in Münster weiter an. Sie kündigte an, dass der Schwerpunkt der G7-Gespräche sich um die Frage drehten, „Fehler in der Russland-Politik bezüglich China nicht zu wiederholen“. Damit bezog sie sich auf die Behauptung, dass das Bestreben, Moskau durch wirtschaftliche Zusammenarbeit – zum Beispiel mit Nord Stream 2 – einzubinden, ein Fehler gewesen sei. Auch andere Vertreter*innen der Grünen formulierten scharfe Angriffe.

Reinhard Bütikofer, grüner Europaparlamentarier, sagte Scholz solle „seine Wirtschaftsdelegation zu Hause lassen und bei seinem Gespräch mit Xi Jinping erklären, was wir unter systemischer Rivalität verstehen“. „Die Zeit, in der man in China schöne Geschäfte machen konnte, ohne sich dabei gefährliche Abhängigkeiten einzuhandeln, ist vorüber“, sagte Bütikofer. Scholz solle „seine Wirtschaftsdelegation zu Hause lassen und bei seinem Gespräch mit Xi Jinping erklären, was wir unter systemischer Rivalität verstehen“, so Bütikofer. Der Grüne warf dem Kanzler dabei vor, „Merkel as usual“ zu spielen. Wie die französische Tageszeitung Le Monde schreibt, ist die Anschuldigung des ehemaligen Vorsitzenden der Grünen (2002-2008), der Partei, die Teil der Koalition des Sozialdemokraten Olaf Scholz ist, schwerwiegend. Die im Koalitionsvertrag, den Ende 2021 unterzeichnet wurde, war klar festgehalten, dass Deutschland gegenüber China deutlich anspruchsvoller sein muss. Der Kurs des Kanzlers verstoß gegen den Koalitionsvertrag, warf Bütikofer vor.

Der China-Besuch von Scholz – und seine Zustimmung zum Erwerb einer 24,9-prozentigen Beteiligung an einem Hamburger Containerterminal durch die chinesische Reederei Cosco1
– stieß auf heftigen Widerstand der Koalitionspartner der Grünen und der FDP. Dies ist die erste große Krise der derzeitigen Regierungskoalition. Es ist auch das erste politische Thema, bei dem sich die CDU/CSU und die kleineren Koalitionsparteien einig sind. In Worten des Anführers der deutschen Rechten im Bundestag, Friedrich Merz (CDU), gäbe es für Scholz keinen „schlechteren Zeitpunkt“, um Peking zu besuchen. „(…) ausgerechnet jetzt fliegt er auch noch nach China, eine Woche nach diesem Parteitag der Kommunistischen Partei, wo offen mit militärischer Gewalt gegen Taiwan gedroht und der Vorgänger von Xi Jinping unter den Augen der Weltöffentlichkeit aus dem Saal abgeführt wurde.“

Merz, ehemaliger Vorsitzender von Blackrock in Deutschland, ist ein atlantischer Ideologe und – wie Baerbock – ein Anhänger der US-Strategie der wirtschaftlichen und technologischen Eindämmung Chinas. Sie behaupten, Deutschland befinde sich in einer gefährlichen wirtschaftlichen Abhängigkeit von China, ein Argument, das durch keinerlei relevante Fakten gestützt wird, aber durch die Folgen der Abhängigkeit Deutschlands von russischem Gas noch verstärkt wird.

Diese heftigen Vorwürfe gegen Olaf Scholz sind in Deutschland selbst Ausdruck eines neuen McCarthyismus gegenüber den „Freunden Chinas“, der sich von den Vereinigten Staaten aus verbreitet. Wie Mikko Huotari, Direktor des Mercator Instituts für Chinastudien (MERICS), Europas größtem China-Forschungszentrum mit Sitz in Berlin, sagt, ist die Realität jedoch komplexer. Auf seiner ersten Asienreise als Bundeskanzler Ende April reiste Scholz nach Japan und nicht nach China, obwohl China der größte Handelspartner Deutschlands ist. In den kommenden Wochen wird er auch Vietnam und Singapur besuchen. Dies zeigt, dass Deutschland seine Partnerschaftnetzwerke in Asien diversifizieren möchte. „Das Kanzleramt ist sich der Gefahr einer zu großen Abhängigkeit Deutschlands von China bewusst, auch wenn dies noch nicht in eine klare Strategie umgesetzt worden ist“2, analysiert er.

Sicher ist, dass sich in Deutschland eine tektonische Verschiebung vollzieht, die mit dem Ansatz der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel bricht, immer engere Wirtschaftsbeziehungen zu Peking zu unterhalten. Das katastrophale Scheitern der deutschen Russlandpolitik hat diesen Wandel beschleunigt. Wie der oben zitierte Analyst feststellt: „Seit dem 24. Februar ist sich Deutschland des großen Problems seiner Abhängigkeit von Russland bewusst, insbesondere was die Gaslieferungen betrifft. Dies verändert die Debatte darüber, wie man mit China umgehen soll. Vor drei oder vier Jahren gab es eine Debatte darüber, ob ein Unternehmen wie Huawei Zugang zum 5G-Markt in Deutschland haben sollte. Heute geht es um unsere globale Strategie gegenüber China. China ist zu einem wichtigen Thema der politischen Debatte in Deutschland geworden, sogar innerhalb der Regierung“, beobachtet Huotari, während die deutsche Regierung sich erstmals zu einer „China-Strategie“ verpflichtet hat, die voraussichtlich erst im Frühjahr 2023 veröffentlicht wird.

Teil dieses Wandels ist die Spaltung des Kapitalist:innenlagers selbst. Laut einer aktuellen Umfrage der Deutschen Handelskammer in China ist der Kern der deutschen Wirtschaft, der so genannte Mittelstand der kleinen und mittleren Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes, weniger optimistisch, was die Aussichten auf dem chinesischen Markt angeht, als seine größeren Pendants. Überraschenderweise wurde Siegfried Russwurm, Präsident der einflussreichen Industrielobby des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), zum ersten Mal von der Delegation ausgeschlossen, nachdem er sein Interesse an einer Reise bekundet hatte. Der BDI hat an vorderster Front deutsche Unternehmen vor den wachsenden Risiken auf dem chinesischen Markt gewarnt und sie zu einem verantwortungsvollen Umgang mit den Menschenrechtsverletzungen in China aufgefordert. Auf der BDI-Jahrestagung im Juni bezeichnete Russwurm die Position der deutschen Industrie zum Wettbewerb zwischen den USA und China als „glasklar“: „Wir sind fest im transatlantischen Bündnis verortet“, sagte BDI-Präsident Russwurm im Juni. „Es gibt für uns keine Äquidistanz im Verhältnis der EU zu den USA und zu China.“ Diese Positionen des BDI stehen im Widerspruch zu einigen seiner Mitglieder, für die eine Loslösung von China nicht einmal eine Option ist. Es handelt sich um die Chefs großer Unternehmen, die stark vom chinesischen Markt abhängig sind, vor allem in der Automobilbranche (Volkswagen, Mercedes-Benz und BMW), im Maschinenbau (z.B. Siemens) und in der Chemieindustrie (z.B. BASF). Der BASF-Vorstandsvorsitzende Martin Brudermüller ist einer der Topmanager, die ein Ende des „China-Bashings“ fordern. Die chinesische Regierung belohnte ihn mit einer Ausnahme von den strengen Zero-COVID-Regeln. Im September konnte Brudermüller ohne Quarantäne nach China reisen, um im Beisein des chinesischen Vizepremiers Han Zheng eine Fabrik einzuweihen, die neue 9,9-Milliarden-Dollar-Investition der BASF in Zhangjiang. Der Vorstandsvorsitzende von Volkswagen, Oliver Blume, verteidigte kürzlich das Werk in Urumqi, im Herzen der chinesischen Provinz Xinjiang, mit den Worten: „Es geht darum, unsere Werte in die Welt zu tragen.“ Klar ist, dass es diese großen, mächtigen Unternehmensorganisationen mit engen Verbindungen zu nationalen und internationalen Machtnetzwerken sind, die die Entscheidungen treffen. Klar ist auch, dass die sich verändernden geopolitischen Bedingungen und die Spannungen des bisherigen deutschen Erfolgsmodells ihre hegemoniale Rolle gegenüber der deutschen Wirtschaft insgesamt erschweren.

Die Bedeutung von Scholz‘ Reise nach Peking

Für Deutschland ist der Zugang zum chinesischen Markt ein zentrales Thema: Sein Wohlstand hängt weitgehend von seiner starken Exportmaschinerie ab. Das Gewicht der verarbeitenden Industrie ist eine wichtige Quelle für den Lebensunterhalt und den sozialen Zusammenhalt, im Gegensatz zu anderen imperialistischen Ländern, in denen die Deindustrialisierung nicht nur wirtschaftlich, sondern vor allem sozial katastrophale Folgen hatte, wie es in den Vereinigten Staaten oder in Frankreich zu beobachten ist.

Gleichzeitig wurde Deutschland, wie wir an anderer Stelle erörtert haben, durch den Krieg in der Ukraine schwer getroffen, nachdem Russland seine Gaslieferungen nach Europa unterbrochen hatte. Angesichts einer drohenden Rezession kann es sich Scholz nicht leisten, die wirtschaftlichen Beziehungen Deutschlands zu China zu gefährden.

In diesem Zusammenhang zeigt die Tatsache, dass Scholz einen Alleingang unternahm, wie viel auf dem Spiel steht. Sowohl innerhalb seiner Regierung als auch auf europäischer Ebene kam es zu Reibungen. So missfiel seine Reise besonders Emmanuel Macron, der ebenfalls eine Reise nach Peking anstrebte. Möglicherweise will Berlin dringend vor einer erneuten Eskalation des US-Wirtschaftskrieges gegen die Volksrepublik China Wirtschaftsabkommen aushandeln. So will Berlin beispielsweise die Automobilindustrie vor der elektrischen Revolution schützen, die den europäischen Arbeitsmarkt zu destabilisieren droht.3 Die Anwesenheit von Volkswagen in Scholz‘ Delegation in Peking zeigt diese Sorge.4 Die US-Industriepolitik in diesem Sektor fördert ausschließlich die inländische Produktion und hat die europäischen Hersteller zur Verzweiflung gebracht. China ist nicht nur ein wichtiger Akteur in diesem aufstrebenden Sektor, sondern auch ein wichtiger Förderer von Rohstoffen wie Lithium und Graphit, die in Europa knapp sind und ohne die Elektroautos kaum produziert werden können.

Deutschland stößt auf zunehmenden US-Protektionismus

Hinzu kommt die harte Realität, dass Washington versucht, Peking auszustechen, und dabei immer protektionistischer wird. Die Deutschen sind wütend über die „Buy American“-Bestimmungen des Inflation Reduction Act von Präsident Joe Biden, die im Inland produzierte Elektrofahrzeuge begünstigen. Für das Weiße Haus ist es eine Selbstverständlichkeit, seine industrielle Basis zu verteidigen, um mit China konkurrieren zu können. Die deutschen Automobilhersteller verstehen jedoch nicht, warum sie ebenfalls ausgeschlossen werden sollten. Dies ist für Deutschland umso besorgniserregender, als Berlin sein exportorientiertes Wachstumsmodell keineswegs aufgeben, sondern sogar noch weiter ausbauen will, wie seine Überlegungen zur Wiederaufnahme der Freihandelsgespräche mit Washington zeigen.

Noah Barkin, geschäftsführender Redakteur der Rhodium Group’s China und Mitglied des German Marshall Fund of the United States, ein offener Atlantiker, gibt einen Überblick über die Stimmung auf dem Alten Kontinent. Er sagt:

Die Europäer ihrerseits sind wenig begeistert von dem, was sie als zunehmenden US-Protektionismus und als Missachtung multilateraler Lösungen ansehen. Reinhard Bütikofer, ein starker Befürworter der transatlantischen Zusammenarbeit im Europäischen Parlament, warnte letzte Woche, dass die Handelsbeziehungen zwischen den USA und der EU aufgrund einer langen Liste von politischen Maßnahmen der USA, wie z.B. den protektionistischen Maßnahmen des Inflation Reduction Act der Regierung Biden und ihrem Streben nach plurilateralen Abkommen wie dem Indo-Pacific Economic Framework und der Chip 4 Alliance, in eine Krise zu geraten drohen. Ein EU-Beamter äußerte mir gegenüber im vergangenen Monat die Befürchtung, dass der Handels- und Technologierat EU-USA kurz vor einem „Handelsabkommen“ stehen könnte. Ein EU-Beamter äußerte mir gegenüber im vergangenen Monat die Befürchtung, dass der Handels- und Technologierat zwischen der EU und den USA kurz vor einer „Bruchstelle“ stehen könnte. Im Moment gibt es wenig Optimismus, dass der dritte TTC-Gipfel, der für Ende des Jahres geplant ist, die wichtigen Ergebnisse bringen wird, die einige für notwendig halten, um die dafür aufgewendete Zeit und die Ressourcen zu rechtfertigen. EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis wird nächste Woche zu Gesprächen nach Washington reisen, um die Handelsspannungen abzubauen und das TTIP wiederzubeleben.5

Noch gravierender ist die Realität vor Ort:

Immer mehr deutsche Unternehmen bauen ihre Präsenz in den Vereinigten Staaten aus – zunehmend auf Kosten von Produktionsstandorten in Deutschland. Die Ursachen sind zum einen die riesigen Investitionsprogramme in den USA und zum anderen die Folgen der westlichen Sanktionen, die darauf abzielen, „Russland zu ruinieren“ (Annalena Baerbock). Seit dem vergangenen Jahr hat Washington mit zum Teil dreistelligen Beträgen Konjunkturprogramme aufgelegt, um deutsche Unternehmen zur Ansiedlung von Produktionsstätten in den USA zu bewegen. Aufgrund der in den USA angebotenen Subventionen erwägt das Unternehmen Northvolt, seine Pläne zum Bau einer Batteriefabrik in Norddeutschland auszusetzen und stattdessen ein Werk in Nordamerika zu errichten. Gleichzeitig ist die Existenz energieintensiver Industrien in Deutschland aufgrund der derzeit hohen Energiepreise gefährdet. Die Gefahr ihrer Verlagerung ins Ausland – insbesondere in die Vereinigten Staaten, wo die Energiepreise deutlich niedriger sind – ist greifbar. So geht die Reindustrialisierung der USA Hand in Hand mit der Deindustrialisierung Deutschlands.6

Die Grenzen der US-Stärke und die wachsenden Spannungen an der Westfront

Einer der größten diplomatischen Erfolge der Biden-Administration liegt derzeit in der transatlantischen Politik, ein Bereich, in dem es ihr gelungen ist, ihren Einfluss auf Europa zu festigen, indem sie die Russland-Frage in den Mittelpunkt gestellt und die Ängste der europäischen Länder vor einem historischen Wiedererstarken der russischen Macht geschürt hat. Hinter dieser Operation versuchen die USA in ihrem Kampf um die Erhaltung ihrer globalen Hegemonie einen neuen Eisernen Vorhang zu errichten, indem sie die Beziehungen zwischen Berlin und Moskau untergraben (dank des Krieges in der Ukraine und der anschließenden Sabotage der Nord-Stream-Gaspipelines) und, wie wir gesehen haben, auch versuchen, sie von China abzukoppeln, um die wirtschaftliche Stärke zu schwächen, die Deutschland als Führungsmacht und Wirtschaftsmotor Europas genoss.

Klar ist, dass China das wichtigste und schwierigste Thema in den transatlantischen Beziehungen ist. Die USA, Deutschlands wichtigster militärischer Verbündeter und nach wie vor wichtigster Standort für die deutsche Industrie im Ausland, verschärfen ihren Machtkampf gegen China massiv und fordern von ihren Verbündeten bedingungslose Loyalität. So hat die Biden-Regierung gerade ein umfassendes Halbleiterembargo gegen China verhängt, um den fortschrittlichsten Zweigen der chinesischen Hightech-Industrie – künstliche Intelligenz und Supercomputing – die notwendigen Hochleistungschips vorzuenthalten und sie damit zu zerstören. Doch die Folgen dieser Politik sind auf beiden Seiten des Atlantiks sehr unterschiedlich. Für die Vereinigten Staaten wirft der Rückzug aus China Probleme in der Lieferkette auf, geht aber Hand in Hand mit dem grundlegenden protektionistischen Bestreben, ein großes Handelsdefizit auszugleichen. Für Deutschland hingegen ist China ein wichtiger Markt für viele Industrieexporte.

In diesem Zusammenhang ist Bundeskanzler Olaf Scholz mit der ausdrücklichen Botschaft nach Peking gereist, dass Deutschland ungeachtet des aktuellen Klimas nicht daran interessiert ist, sich von China abzukoppeln. Indem er mit Xi über künstliche Intelligenz spricht, überzeugt Scholz die USA außerdem davon, dass Deutschland nicht nur seine sensiblen Beziehungen zu China nicht abbrechen will, sondern sich auch nicht dem technologischen Würgegriff Pekings beugen will, der den Kern der im Herbst in Washington beschlossenen Exportbeschränkungen für Chips und Maschinen zu deren Herstellung bildet. So widersetzt sich Deutschland, die weltweit drittgrößte Exportmacht hinter den USA, der von den USA geführten Abkopplungsstrategie und übt mit seinem Gewicht als mit Abstand größte Volkswirtschaft in der EU ein wichtiges Gegengewicht zur US-Strategie aus. Zusammen mit dem wachsenden Dissens an der Ostfront, insbesondere über die Frage, wie der Krieg enden soll, sowie den sich abzeichnenden Stimmen in der deutschen Außenpolitik, die den Wirtschaftskrieg gegen Russland als „Irrweg“ kritisieren und ein rasches Ende der Sanktionen empfehlen, verspricht diese deutsche Opposition gegen China auf absehbare Zeit stürmische Beziehungen zwischen Berlin und Washington.

Fußnoten

1. Dieser schließlich vereinbarte Prozentsatz war das Ergebnis eines Kompromisses: Das chinesische Unternehmen wird somit keine Stimmrechte, kein Mitspracherecht bei der Geschäftsführung und kein Mitspracherecht bei strategischen Entscheidungen haben. Wenige Tage vor der China-Reise des deutschen Bundeskanzlers blockierte sein Finanzminister den Verkauf einer kleinen Fabrik für Halbleiter-Vorprodukte an ein schwedisch-chinesisches Unternehmen. Der deutsche Finanzminister Robert Habeck lehnte beide Abkommen gleichermaßen ab. Auf einer Pressekonferenz sagte er, Europa müsse aufhören, naiv zu sein und die Beschaffung einfach dem Markt überlassen und so schlau sein wie China. Er sagte, die EU-Mitgliedstaaten sollten ihre Kräfte bündeln, um wichtige Industrien in der EU zu halten. Im Fall des Hamburger Hafens war es Scholz, der den Ausschlag für den Beitritt gab.

2. “Volée de critiques sur la visite d’Olaf Scholz en Chine”, Le Monde 03.11.2022

3. Nach Angaben des genannten Instituts nimmt die Bedeutung des chinesischen Marktes für die deutsche Automobilindustrie weiter zu. Es ist seit langem der wichtigste Absatzmarkt für die deutschen Automobilhersteller und besonders wichtig für die Umstellung auf Elektrofahrzeuge (EVs). Zum einen handelt es sich um den mit Abstand größten Markt der Welt, zum anderen ist die chinesische E-Auto-Branche technologisch deutlich voraus, vor allem was Batterien und Software angeht. Da die deutschen Automobilhersteller zu lange auf den Verbrennungsmotor gesetzt haben, haben sie gegenüber den innovativen chinesischen EV-Herstellern an Boden verloren, die sich nun sogar anschicken, ihre Stärke auf dem Heimatmarkt zu nutzen, um eine führende Position auf dem Weltmarkt zu erobern, letztlich auf Kosten ihrer deutschen Konkurrenten. Letztere wiederum sehen ihre beste Chance darin, die hohe Innovationskraft der chinesischen Industrie zu nutzen, um ihre Wettbewerbsfähigkeit wiederzuerlangen. Deshalb investieren sie in der Volksrepublik massiv in Forschung und Entwicklung.

4. Volkswagen ist in China für mehr als 30 Werke mit mehr als 90.000 Beschäftigten verantwortlich. Der größte europäische Automobilhersteller verkauft mehr als jedes dritte Auto in der Volksrepublik, und kein anderer Auslandsmarkt fährt vergleichbare Gewinne ein. Während die beiden anderen großen Absatzmärkte – Europa und die Vereinigten Staaten – weiterhin rückläufig sind, ist der Automobilabsatz in China in diesem Jahr branchenweit um 15 % gestiegen. Aber VW verfolgt, wie andere Automobilhersteller auch, eine zweigleisige Strategie. Das Unternehmen möchte so lange wie möglich Autos in China verkaufen. Um sich aber nicht ganz China auszuliefern, investiert das Unternehmen derzeit 7 Milliarden Euro in den zweitgrößten Automarkt der Welt, die Vereinigten Staaten.

5. Barkin, Noah, “Watching China in Europe – October 2022”, 05.10.2022”.

6. “Power Struggles Behind the Front (II)”, German-Foreign-Policy.com, 04.11.2022.

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