Der kapitalistische Zusammenbruch wird zu massiver Flucht führen

05.11.2018, Lesezeit 7 Min.
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Noch nie waren so viele Menschen auf der Flucht wie heute. Armut, Kriege und Klimawandel werden die Zahl der Geflüchteten in den kommenden Jahren weiter drastisch steigen lassen. Es sind die Vorboten der kapitalistischen Zusammenbrüche.

Ende 2017 waren laut UNHCR 68,5 Millionen Menschen auf der Flucht. Darüber hinaus flüchten 20 Millionen Menschen wegen der Auswirkungen des Klimawandels – allerdings werden sie unter den Kriterien der Genfer Flüchtlingskonvention nicht als Geflüchtete gezählt.

Die Zahlen der geflüchteten Menschen steigen also rasant. Im Schnitt wird alle zwei Sekunden jemand auf der Welt zur Flucht gezwungen. Weltweit ist einer von 110 Menschen von Flucht betroffen. Und das ist erst der Anfang. Laut einer Greenpeace-Studie „werden in den nächsten 30 Jahren 200 Millionen Menschen aus ihrer Heimat flüchten müssen, wenn der Klimawandel sich fortsetzt wie bisher. Die weitaus meisten gehören zu den Ärmsten der Armen. An der menschengemachten Klimaerwärmung haben sie so gut wie keinen Anteil.“ Und das ist nur eine Fluchtursache unter vielen, die mit dem Imperialismus zu tun haben.

Fluchtursache Nr. 1: Imperialismus

Die geflüchteten Menschen sind nicht vom Himmel gefallen. Sie sind die Produkte eines Systems, das Millionen von Menschen nach wie vor der Lohnsklaverei unterwirft und zur Barbarei des Hungers, des Krieges, der Umweltverschmutzung, der Überschwemmungen und Dürren, der Arbeitslosigkeit und des Elends verurteilt. Ein System, dessen Angelpunkt in der Schaffung von Mehrwert zu finden ist, also im Kapitalismus selbst.

Die Frage der Flucht ist auch in der imperialistischen kolonialistischen Politik und der tiefgehenden neoliberalen Krise zu suchen. Die imperialistischen Besatzungen der Länder wie Afghanistan im Jahr 2001, Irak 2003, Syrien 2012 oder Jemen 2015 verursachten die Flucht von Millionen Menschen. Die stationierten Kriegstruppen in Peripherieländern, die Exporte von Waffen und Folterapparaten an reaktionäre diktatorische Regime in Westasien und Nord und- Westafrika sind weitere Beispiele der Barbarei des Imperialismus, die im Namen von „Menschen- und Frauenrechten“ im Westen propagiert werden.

So ist auch Israel als Besatzungsregime und Satellit des Imperialismus in Westasien mit der Umsetzung der Forderung „ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land“ von Theodor Herzl für die Flucht und Vertreibung von 5,3 Millionen Palästinenser*innen aus ihrem Heimatland verantwortlich.

Aber auch die wirtschaftliche Ebene des Imperialismus ist für Flucht verantwortlich. Die Agrarpolitik der EU in Afrika zerstört die Landwirtschaft. Die Konzerne der Fischfabriken fischen die Meere vor Afrikas Küsten leer. Die regionalen Kleinindustrien sind wegen der imperialistischen Konzerne zum Untergang verurteilt. Die Nutzung von Glyphosat und Insektiziden im Bereich Sojaanbau in Argentinien und Brasilien und vielen anderen Ländern in Lateinamerika schadet der Umwelt und den Menschen. Polizei, Militär und private Sicherheitsfirmen vertreiben mit illegalen Methoden für den Sojaanbau die einheimischen Kleinbauernfamilien und die Indigenen von ihrem Land, und damit in die Arbeitslosigkeit.

Die Folgen erzwungener Sparpolitiken

Die Verschuldung der abhängigen Nationen hat Sparmaßnahmen zur Folge. Die Zerstörung der Infrastrukturen der Peripherieländern, die neoliberale Privatisierung öffentlicher Betriebe, Kürzungen von Sozialprogrammen, die Verschlechterung der Bildung und der Gesundheitsversorgung, massive Preiserhöhungen im Nahverkehr und anderer lebenswichtiger Dienstleistungen wirken sich essentiell auf die Lebensbedingungen der Arbeiter*innenklasse aus.

Der Abbau von Sozialleistungen und die Verschlechterung der Gesundheitsversorgung bedeuten mehr unbezahlte Reproduktionsarbeit von Frauen und Mädchen. Dementsprechend fester werden die Fesseln der finanziellen Abhängigkeit und Gewalt. Die arbeitslosen oder prekär beschäftigten Männer lassen ihre Wut und Perspektivlosigkeit in unterschiedlichen Formen der psychischen, körperlichen und sexualisierten Gewalt an ihren Frauen und Kindern aus. Feminizid und Selbstmord der Frauen sind nicht zufällig oder aus lediglich „kulturellen“ Gründen in abhängigen Ländern dermaßen verbreitet. Zwangsheiraten von Mädchen in Ländern wie Afghanistan, Iran oder Irak hängen ebenfalls mit finanziellen Gründen zusammen. Die Todesstrafe für LGBTI*-Menschen in einigen afrikanischen Ländern wie Uganda ist durch die finanzielle und logistische Unterstützung der US-amerikanischen fundamentalistischen evangelikalen Gruppen zustande gekommen.

Keine Lösung durch „Entwicklungshilfe“ des Kapitalismus

Die Geflüchteten sind Menschen auf der Suche nach Frieden, Überleben, Sicherheit, Arbeit und einer würdigen Zukunft. Sie sind als unterste Schicht der Arbeiter*innenklasse zu begreifen. Sie können ohne Arbeit in den Zielländern keinen ihrer Ansprüche erreichen. Sie müssen ihre Arbeitskraft verkaufen, auch wenn sie zuvor keine Arbeiter*innen waren. In den Zielländern werden sie zur Reservearmee der Arbeiter*innenklasse herabgestuft, wenn sie nicht abgeschoben werden. Wir können in diesem Kontext eine Analogie zu prekär arbeitenden Frauen ziehen: Als billige Arbeitskräfte und Lohndrücker*innen werden sie einerseits ausgebeutet, andererseits durch das Schüren von fremden- und frauenfeindlicher Politik zum Sündenbock erklärt. Das bedeutet letztendlich das Fortschreiten der Spaltung innerhalb der arbeitenden Klasse.

Diejenigen, die den Interessen des kapitalistischen Marktes nicht „nützen“, also die nicht ausbeutbaren Geflüchteten, werden in sogenannte sichere Herkunftsländer abgeschoben. Bevor viele von ihnen die Zielländer erreichen, müssen sie jedoch zum Beispiel Frontex im Mittelmeer, die abgeschotteten Grenzen Europas oder Trumps Truppen an der mexikanischen Grenzen überwinden. Manche werden in Libyen in Konzentrationslagern eingesperrt, andere werden in der Türkei, im Iran oder in Pakistan inhaftiert, gefoltert oder ermordet. Das ist anscheinend die Lösung der Herrschenden: die geflüchteten Menschen bekämpfen und nicht die „Fluchtursachen“.

Diese werden nämlich im Kapitalismus nie eine endgültige Lösung finden können, denn sie sind durch eben jenen entstanden. Die neue kolonialistische Politik findet ihren Ausdruck in rechter Praxis und einer sogenannten Entwicklungspolitik. Diese Politik ist in Wirklichkeit unfähig, Fluchtursachen zu vermindern. Sie drängen hingegen mehr Menschen zur Flucht, da sie Herkunftsländer in wirtschaftlicher Abhängigkeit halten soll. Die „Entwicklungshilfe“ hat also ihre Grenzen schon lange erreicht.

Ein aktueller Beweis dafür sind die zehntausenden Geflüchteten aus El Salvador, Honduras und Guatemala, die durch Mexiko in Richtung USA ziehen. Sie fliehen vor der Gewalt durch Mafiabanden und der schlechten wirtschaftlichen Lage in ihrer Heimat. Der US-Präsident Donald Trump hat damit gedroht, sie mit militärischen Mitteln an den Grenzen zu stoppen und will dafür 15.000 Soldaten an der Grenze stationieren. Daran erkennen wir eine neue Dimension im Umgang mit Geflüchteten. Europa baut Ankerzentren, Trump gibt den Schießbefehl.

Und wie reagiert der mexikanische Präsident Peña Nieto auf die ganze Situation? Er sagte; „Wir wissen, dass du eine Chance suchst, dass du ein neues Zuhause aufbauen und eine bessere Zukunft für deine Familie und deine Lieben willst. Heute reicht dir Mexiko die Hand. Dieses Programm richtet sich nur an jene, die sich an die mexikanischen Gesetze halten.“

Jedoch sieht dieses „Programm“ in der Tat anders aus: im Süden des Landes wurden bereits Dutzende in Gewahrsam genommen. Laut Nachrichten wurde eine Person erschossen. Allerdings schreiten die Geflüchteten voran, weil sie sehr wohl wissen, dass sie in den Peripherieländern keine Chance haben, eine Zukunft aufzubauen. Ihr Ziel sind die Metropolen der USA – des Landes, das als kapitalistischer Hegemon die Hauptverantwortung für die Unterwerfung der anderen Länder des Kontinents trägt. Das ist keine Ironie, sondern die tatsächliche Auswirkung des kapitalistischen Zusammenbruches.

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