Der eiserne Thron wackelt

10.12.2016, Lesezeit 5 Min.
1

Der CDU-Parteitag verfestigt den Rechtsruck der Union. Doch die Widersprüche sind nicht beigelegt, Merkel bleibt hinterfragt. Was bedeutet das für das fürs kommende Wahljahr?

Nachdem Merkel nach langem Warten ihre erneute Kanzlerkandidatur ankündigte, atmete die CDU auf. Trotz radikaler Hinterfragung der Regierungsarbeit von rechts ist die „Alternativlose“ die einzige Möglichkeit für die Christdemokrat*innen, weiter an der Macht zu bleiben.

Nach der Ankündigung schlossen sich die Reihen und auch die härtesten Kritiker*innen stellten sich hinter Merkel – CSU inklusive. Diese Choreographie sollte zum Beginn des Wahlkampfes eine einheitliche Union widerspiegeln, die als einzige die „Sicherheit und Ordnung“ verteidigen könnte.

Doch das schwache Ergebnis Merkels bei der Wahl zur Parteivorsitzenden und die darauffolgende Debatte über den Beschluss zur doppelten Staatsbürgerschaft zeigen, dass die Wunden noch lange nicht geheilt sind.

Hinterfragt, aber alternatvlos

Denn entgegen der parteiinternen Planung zeigte der CDU-Parteitag eine gespaltene Partei, die nur durch den Wunsch nach Machterhalt und eine gehörige Portion Fremdenfeindlichkeit zusammengehalten wird. So machte Merkel in ihrer Rede zahlreiche Zugeständnisse an den rechten Flügel, wie in Bezug auf das Burka-Verbot in öffentlichen Räumen. Auch die von der baden-württembergischen CDU vorgeschlagene extreme Vereinfachung der Abschieberegelung wurde in den Leitantrag aufgenommen, getragen von einem breiten Konsens.

Doch diese Mischung aus Fremdenfeindlichkeit, „Abschiebekultur“ und Islamophobie, mit der Merkel der Alternative für Deutschland auf Stimmfang gehen will, war dem konservativen Flügel und der rechten Parteibasis nicht genug. Nur 89,5 Prozent stimmten für Merkel als Parteivorsitzende – der niedrigste Wert für die Kanzlerin Merkel.

In dem Beschluss zur doppelten Staatsbürgerschaft und der darauffolgenden Debatte wurde diese Spannung noch deutlicher. Große Teile des Parteiestablishments wie Fraktionsvorsitzender Volker Kauder, Innenminister Thomas de Maiziere und Merkel selbst – allesamt nicht für ihre christliche Nächstenliebe Migrant*innen gegenüber bekannt – stellten sich gegen die Abschaffung des Doppelpasses. Doch die Mehrheit des Parteitags sprach sich für die Wiedereinführung der erst 2014 unter der Großen Koalition aufgehobenen Optionspflicht für in Deutschland geborene Kinder, deren Eltern Migrant*innen sind, aus.

Doch schon am Abend der Abstimmung stellte sich Merkel klar gegen die Entscheidung und sagte, dass eine Abkehr von der doppelten Staatsbürgerschaft weder in der jetzigen Legislaturperiode umgesetzt werden könne, noch ein Wahlkampfthema sein werde. Diese Aussagen zogen die Wut des rechten Flügels und der CSU auf sich, der gestärkt aus dem Parteitag geht.

Damit wird deutlich, dass sich die politische Dynamik, welche die Unionsparteien seit September 2015 prägte, bestehen bleibt: der Druck von Basis und Parteirechten auf Merkel, einen immer härteren Kurs gegen Migrant*innen, Muslime*a und Geflüchtete einzunehmen, während diese das fremdenfeindliche Programm gut dosiert umsetzt. 2016 war das Jahr der Asylgesetzverschärfungen und des Umbaus des Repressionsapparats zur massiven Abschiebung. Die Ausweitung der „sicheren Herkunftsstaaten“ bis ins von imperialistischer Intervention und Krieg geplagte Afghanistan und der Deals mit autoritären Regimen wie der Türkei ebnet den Weg für eine Verschärfung dieser Politik im kommenden Jahr.

Ein polarisiertes Wahljahr

Das hat bedeutende Auswirkungen auf den Wahlkampf im kommenden Jahr. Teile der CDU hatten immer offener mit dem Gedanken einer Schwarz-Grünen Koalition gespielt, seit sich Winfried Kretschmann zum Vorsitzenden des Merkel-Fanclubs innerhalb der Grünen erklärte. Der Rechtsruck des Parteitags gefährdet eine solche Allianz oder wirft zumindest die Frage auf, wie weit die Grünen bereit wären zu gehen, um endlich wieder Verantwortung für Sozialkahlschlag und Kriegseinsätze übernehmen zu können.

Damit stünde der CDU jedoch nur noch die Weiterführung der GroKo als Regierungsoption zur Verfügung. Die SPD-Spitze ist gerne bereit, die Profit- und Sicherheitsinteressen der deutschen Konzerne unter einer konservativen Kanzlerin zu verteidigen. Doch das erwartungsgemäß schwache Ergebnis könnte auch den linken Flügel der Sozialdemokratie dazu bringen, noch offensiver für eine R2G-Koalition einzutreten – selbst Gerhard Schröder sprach sich schon dafür aus. Die rot-rot-grüne Regierung von Michael Müller in Berlin würde als Generalprobe dafür dienen, was ab 2017 auch im Bund stattfinden könnte: eine Verwaltung des sinkenden Lebensstandards großer Teile der arbeitenden Bevölkerung bei Ausbau des Repressionsapparats und fremdenfeindlichen Maßnahmen – und all das mit sozialem Anstrich.

Dieses Panorama einer zunehmenden Polarisierung und eines fortwährenden Rechtsschwenks bietet der AfD alle Möglichkeiten, weiter mit ihren rassistischen, frauenfeindlichen und reaktionären Ideen an Zustimmung zu gewinnen. Gleichzeitig ist die „eiserne Kanzlerin“ hinterfragt und schafft es immer weniger, den nötigen Konsens in ihrer eigenen Partei herzustellen. Es ist deshalb die Aufgabe der Revolutionär*innen, gemeinsam mit Arbeiter*innen und Jugendlichen gegen den Rechtsruck von AfD und der Regierung auf der Straße vorzugehen, und gleichzeitig ein antikapitalistisches Programm aufzustellen, das die sozialen und demokratischen Forderungen der Arbeiter*innen, Jugendlichen, Frauen, LGBTI*, Migrant*innen und Geflüchteten aufnimmt, um den eisernen Thron mit einer progressiven Perspektive zu Fall zu bringen.

Mehr zum Thema