„Das ist Unterricht darüber, wie man sich wehrt“

16.03.2016, Lesezeit 4 Min.
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Am Donnerstag streiken die angestellten Lehrer in Berlin. Unterstützung bekommen sie von einigen Schüler*innen. Ein Gespräch mit Florian Griebel (20), Schüler am Oberstufenzentrum Anna Freud in Berlin-Charlottenburg.

Am morgigen Donnerstag werden die angestellten Lehrer*innen in Berlin in den Warnstreik treten. Worum geht es bei diesem Arbeitskampf?

Die angestellten Lehrkräfte haben keinen Tarifvertrag, der regelt, wer in welche Entgeltgruppe kommt. Sie wollen nun ein Ende des einseitigen Diktats des Arbeitgebers. Die Forderungen der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, GEW, lassen sich leicht zusammenfassen: gleiches Geld für gleiche Arbeit. Gegen dieses Grundprinzip wird durch die unterschiedlichen Gehälter innerhalb des Kollegiums direkt verstoßen. Die Politik könnte dies jederzeit verändern, aber verweigert seit Jahren ernsthafte Verhandlungen über Tarifverträge. Verbeamtete Lehrkräfte verdienen nicht nur erheblich mehr, sondern haben auch eine Reihe von Privilegien im Vergleich zu Angestellten. Dagegen kämpfen die Lehrer*innen seit Anfang 2013 mit insgesamt 18 Streiktagen bisher.

Was bedeutet ein Warnstreik für dich als Schüler?

Zuerst natürlich, dass Unterrichtsstunden ausfallen werden. Die einen freuen sich über die freie Zeit, andere sind einfach nur genervt. Aber im großen und ganzen besteht ein allgemeines Wohlwollen gegenüber den Streikenden. In der Schule wird oft über Partizipation gesprochen und wie wichtig es ist, sich in aktuelle politische Geschehnisse einzubringen. Dadurch, dass die Lehrkräfte von ihrem Streikrecht Gebrauch machen, sind sie ein positives Beispiel dafür, dass man für seine Meinung auf die Straße gehen kann. Das ist praktischer Unterricht darüber, wie man sich gegen Missstände wehrt. Nur an einem Streiktag wird uns direkt vor Augen geführt, wie viele Pädagog*innen von dieser Diskriminierung betroffen sind.

Aber hat es für dich irgendeine Bedeutung, ob deine Lehrer*innen verbeamtet oder angestellt sind?

Direkte Auswirkungen auf die Qualität des Unterrichts oder die Motivation der Lehrkräfte sind kaum merklich. Aber genau das ist so paradox: Wenn alle die gleiche Arbeit machen, warum gibt es unterschiedliche Gehaltsklassen? Ich möchte jedoch nicht ausschließen, dass es aufgrund von diesen Ungerechtigkeiten zu Spannungen im Kollegium kommt.

Wie habt ihr euch beim letzten Warnstreik eingebracht?

Vor dem letzten Warnstreik haben wir im Schulgebäude Plakate angebracht und Flugblätter mit Informationen verteilt. Wir haben alle Schüler*innen aufgerufen, sich mit den Streikenden zu solidarisieren. An dem Tag des Streiks standen wir gemeinsam mit den Lehrkräften vor dem Schultor. Wir hatten Trillerpfeifen und ein Transparent mit der Aufschrift: „Solidarität mit den Lehrkräften“. Zusammen sind wir dann mit der U-Bahn zur Kundgebung gefahren.

Wie ist es, mit den eigenen Lehrer*innen gemeinsam auf der Demo zu stehen?

Zuerst war es schon ein komisches Gefühl. Aber schnell entstanden zwischen Lehrkräften und Schüler*innen Gespräche, die auch Kritik am Schulsystem enthielten. Das war sehr interessant für beide Seiten. Während der Demo haben unsere Lehrkräfte uns liebevoll mit Snacks und warmen Getränken versorgt, als Zeichen ihrer Freude und Dankbarkeit über unsere Unterstützung.

Was habt ihr jetzt für diesen Warnstreik vor?

Auch dieses mal haben wir mit Flugblättern, Plakaten und Mundpropaganda über den Streik informiert. Gemeinsam mit den Lehrkräften werden wir eine Kundgebung abhalten, um dann geschlossen zum Potsdamer Platz zu fahren. Beim Warnstreik am 26. Januar waren nur Kollegen von Oberstufenzentren und ausgewählten Schulen aufgerufen – 400 haben sich dem Ausstand angeschlossen. Diesmal sind alle Lehrkräfte aufgerufen, und Tausende werden auf der Straße sein.

Wie engagiert ihr euch sonst an eurer Schule?

Beim letzten Schul- und Unistreik für die Rechte von Geflüchteten am 19. November letzten Jahres waren mit einer großen Zahl Streikender vertreten. Am 27. April soll nun ein bundesweiter Streik stattfinden. Hier wollen wir ein klares Zeichen gegen Rassismus jeglicher Art setzen.

Aber auch in der Schule selbst haben wir einen kleinen Protest gegen heteronormatives Denken organisiert, also die Einteilung von allen Menschen in nur zwei Geschlechter. Damit hatten wir einen ersten Erfolg in Form von einer geschlechtsneutralen Toilette im Schulgebäude. Tatkräftig unterstützen wir auch die Notunterkunft für geflüchtete Personen in unserem Nachbarhaus. Wöchentlich findet außerdem ein Kuchenverkauf zum Wohle der Geflüchteten statt, mit dessen Erlös dringend benötigte Sachen gekauft werden.

Dieses Interview in der jungen Welt

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