Das Establishment wackelt – wie stoppen wir die AfD?

25.09.2017, Lesezeit 9 Min.
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Die Große Koalition ist klare Verliererin der Bundestagswahl, die AfD die große Gewinnerin. Welche Antwort auf den Rechtsruck ist nun nötig?

Der gestrige Wahlabend war für viele ein Schock: CDU und CSU holten jeweils die schlechtesten Ergebnisse seit 1949, die SPD gar das schlechteste in der Geschichte der Bundesrepublik, und die AfD zog laut vorläufigem amtlichen Endergebnis mit 12,6 Prozent und 94 Mandaten in den Bundestag ein. Neben der AfD hatte nur die FDP Grund zur Freude, die mit 10,7 Prozent und 80 Sitzen wieder Teil des Bundestags wird, nachdem sie bei den vergangenen Wahlen aus dem Parlament geflogen war.

Im Vorfeld war schon klar, dass weiterhin keine Regierungsoption ohne Angela Merkel als Bundeskanzlerin denkbar ist. Ebenso, dass die AfD voraussichtlich im zweistelligen Bereich landen würde. Doch nicht nur überraschte, wie klar die AfD die Zehn-Prozent-Marke überschritt, sondern vor allem, wie schwach die Union bei der Wahl abschnitt.

33,0 Prozent erreichten CDU und CSU zusammen – 8,6 Prozentpunkte weniger als 2013 und damit der mit Abstand größte Verlust aller Parteien. Mehr als 1,3 Millionen Stimmen verlor sie laut Schätzungen an die FDP, fast eine Million Stimmen an die AfD. Für die CSU sah es besonders schlecht aus: Sie verlor in Bayern im Vergleich zu 2013 10,5 Prozentpunkte. CSU-Spitzenkandidat Joachim Herrmann, der nur auf der Landesliste kandidierte, verpasst aufgrund des schlechten CSU-Ergebnisses sogar den Einzug in den Bundestag. Angela Merkel holte zwar wieder das Direktmandat in ihrem Wahlkreis in Vorpommern, doch fiel in der Wähler*innengunst von 56,2 Prozent 2013 auf jetzt nur noch 44,0 Prozent der Stimmen.

Ihrerseits setzte die SPD ihren Niedergang fort. Sie erlangte nur 20,5 Prozent und „toppte“ damit sogar ihr bisher schlechtestes Wahlergebnis (23 Prozent im Jahr 2009). Sie bekam damit – wie schon 2009 – die Quittung für ihre Arbeit in der Großen Koalition. Nicht nur, dass – trotz aller Wahlpropaganda – immer weniger Menschen die SPD als „Partei der sozialen Gerechtigkeit“ wahrnehmen; die SPD hat in der Großen Koalition auch jeden Anschein der Opposition zu Merkels CDU aufgegeben. Das war selbst im TV-Duell zwischen der Bundeskanzlerin und Herausforderer Martin Schulz spürbar.

Vor dem Hintergrund ist besonders frappierend, dass die Linkspartei von der Schwäche der SPD nicht profitieren konnte. Mit einem vorläufigen Endergebnis von 9,2 Prozent landet sie zwar 0,6 Prozentpunkte über dem Ergebnis von 2013. Doch während fast 430.000 SPD-Stimmen an die Linkspartei übergingen, verlor sie fast genauso viele Stimmen an die AfD. Noch deutlicher wird, dass die Linkspartei gegenüber der AfD nicht als Alternative wahrgenommen wurde, wenn man sich anschaut, dass die AfD ihre Wahlerfolge besonders in Ostdeutschland feiern konnte – wo die Linkspartei historisch stark ist und in drei Bundesländern Regierungsverantwortung trägt. Besonders groß war der Verlust in Thüringen (6,6 Prozentpunkte weniger als 2013), wo die Partei den Ministerpräsidenten stellt.

Es grenzt schon an Selbstbetrug, dass die Parteispitze den mickrigen Prozentzuwachs als Erfolg verkaufen will: „Wir haben das zweitbeste Ergebnis in unserer gesamten Parteigeschichte erreicht“, sagte beispielsweise Sahra Wagenknecht. Viel richtiger wäre zu sagen, die Linkspartei tritt auf der Stelle, während der rechte Rand wächst. Und dort, wo die Linkspartei an der Macht ist, ist sie direkt mitverantwortlich für den Aufstieg der AfD.

Auch wenn die AfD die lachende Gewinnerin der Wahl ist, hat der Wahlerfolg den schon lange schwelenden innerparteilichen Konflikt noch weiter angeheizt: Heute morgen erklärte Frauke Petry, nicht der AfD-Fraktion im Bundestag angehören zu wollen, worauf Alexander Gauland und Alice Weidel ihren Parteiaustritt forderten. Sicherlich wird die AfD in all ihren Strukturen gestärkt aus der Wahl hervorgehen, doch könnten die Spannungen zwischen dem Petry-Flügel und dem offen pro-faschistischen Flügel der AfD sich noch weiter intensivieren.

Schwierige Regierungsbildung, instabile Position in der Welt

Nun hat das große Pokern begonnen: Die SPD verweigerte sich am Sonntagabend einer Neuauflage der Großen Koalition, Grüne und FDP zeigten sich ähnlich zögerlich und kritisierten die SPD ihrerseits für ihren zur Schau gestellten Unwillen. Am Montag vormittag sah es zwischenzeitlich sogar so aus, als ob die Fraktionsgemeinschaft zwischen CDU und CSU zur Disposition stünde, nachdem Horst Seehofer Andeutungen in diese Richtung gemacht hatte. All das zeigt: Das Geschacher um Posten hat schon begonnen.

Die Regierungsbildung wird so schwierig wie selten. Auch wenn die Große Koalition – die im Falle ihres Zustandekommens nur noch gut 56 Prozent der Parlamentssitze hätte, im Vergleich zu aktuell fast 80 Prozent – noch nicht vollständig auszuschließen ist, weil der rechte Parteiflügel um Außenminister Sigmar Gabriel und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier an der Fortsetzung der GroKo klebt, wird sich höchstwahrscheinlich die Einsicht durchsetzen, dass die einzige Überlebenschance für die SPD die Rückkehr auf die Oppositionsbank sein wird, will sie nicht völlig zerfallen, wie schon viele andere sozialdemokratische Parteien in Europa. Und so bleibt realistischer Weise nur die sogenannte „Jamaika“-Koalition.

Grüne, FDP und auch CSU werden versuchen, im Rahmen der Koalitionsverhandlungen so viel wie möglich für sich herauszuholen, und deswegen in den kommenden Wochen und Monaten immer wieder Drohgebärden in Richtung Merkel und CDU machen. Aber es ist im Interesse aller „Jamaika“-Parteien, diese Regierung zu bilden. Neuwahlen würden nur den Aufstieg der AfD konsolidieren und einer möglichen Minderheitsregierung Union-FDP oder Union-Grüne würden dutzende Stimmen zur Mehrheit fehlen. Kurzum: Jede andere Variante als „Jamaika“ wäre noch weitaus instabiler und würde die Erosion des Parteiensystems nur noch weiter beschleunigen.

Die zu erwartende Instabilität der kommenden Regierung wird vor allem im Bereich der Außenpolitik Konsequenzen haben. Während innerhalb der EU immer größere Spannungen zu erwarten sind – siehe Brexit, siehe Katalonien, siehe Frankreich –, ist eine instabilere Merkel-Regierung auch ein schlechtes Omen für den Anspruch des deutschen Imperialismus, eine tragfähige Alternative zur USA unter Trump zu sein.

Volksfront gegen die AfD?

Schon am Wahlabend riefen alle Parteien in unterschiedlicher Wortwahl eine Art Volksfront gegen die AfD aus. Während die SPD sich selbst als „Bollwerk der Demokratie“ präsentierte, das sie als Oppositionsführerin im kommenden Bundestag darstellen wolle, wurde überall der Ruf nach der „Einheit der Demokraten“ gegen die AfD laut, die so genannten „87 Prozent“, die bei der Regierungsbildung berücksichtigt werden solle. Oder anders gesagt: Solange irgendeine „demokratische“ Regierung ohne die AfD gebildet werden könne, werde schon alles gut gehen.

Schon vor den Wahlen drückte sich diese Stimmung in einer All-Parteien-Koalition aus, irgendetwas außer die AfD zu wählen. Doch verkannte dieser Aufruf zwei Tatsachen, die nach der Wahl noch einmal offensichtlich wurden:

  1. Die Hauptverantwortung für den Aufstieg der AfD trägt die Bundesregierung. Ihre rechte, rassistische Politik der letzten Jahre beflügelte die Propaganda der AfD. Der gesamte politische Diskurs verschob sich nach rechts, sodass die AfD salonfähig werden konnte. Besonders deutlich zeigte sich das am Wahlabend, als CSU-Chef Seehofer verlauten ließ, dass man die müsse – also noch mehr AfD-Positionen übernehmen müsse.
  2. Die Bundestagswahl hat gezeigt, dass das alte Parteiensystem mehr und mehr erodiert. Während die Regierung massiv abgestraft wurde – ihre Politik von Millionen von Menschen also keine Unterstützung mehr erhält –, konnten nur die AfD (und in geringerem Maße die FDP) davon profitieren. Die Linkspartei hat jämmerlich versagt, dem Abstieg der GroKo eine linke Alternative entgegenzustellen. Nur so erklärt sich der Aufstieg der AfD.

Sicherlich haben viele Menschen die Linkspartei gewählt, um der AfD eine Stimme entgegenzustellen. Das ist eindeutig. Doch besonders in Ostdeutschland haben sich noch mehr Menschen von der Linkspartei abgewandt, weil die AfD im Gegensatz zur Linkspartei als Protest- und Oppositionspartei wahrgenommen wurde.

Ihr Aufstieg kann deshalb nur bedeuten, dass eine neue starke Opposition von links aufgebaut werden muss, die glaubwürdigere Antworten auf die soziale Ungleichheit in diesem Land gibt, als die rechte Hetze der AfD. Wie anders ist zu erklären, dass die Regierungsbeteiligungen der Linkspartei der AfD in die Hände spielen? Wie anders ist zu erklären, dass die vier Jahre „Oppositionsführung“ der Linkspartei im Parlament nicht zum Vorteil der Linkspartei werden konnten?

Die Frage der Stunde lautet also, wie wir eine Opposition aufbauen können, die sich nicht nur gegen den Rechtsruck stellt. Es muss sich dabei um eine Opposition handeln, die keine faulen Kompromisse mit den anderen Parteien macht, sondern sich auch offensiv der Regierungspolitik entgegenstellt und Prekarisierung, Wohnungsmangel, Rassismus, Sexismus und Perspektivlosigkeit entgegenstellt. Eine Opposition, die kämpferisch in den Betrieben, Schulen, Unis und auf der Straße die Stirn bietet. Das wollen wir mit allen Leuten organisieren – gerade auch mit denjenigen, die die Linkspartei aus diesen Gründen gewählt haben –, die sich nicht in der parlamentarischen Opposition verschanzen wollen, sondern lautstark gegen AfD und gegen die künftige Regierung kämpfen wollen.

Die ersten Mobilisierungen gegen die AfD fanden schon gestern Abend statt. Diesen Weg müssen wir weitergehen. Die kommenden Jahre stehen im Zeichen der Verschärfung sozialer Widersprüche und politischer Polarisierung. Davon kann eine klassenkämpferische Linke profitieren – wenn sie nicht dem Sirenengesang der Volksfront gegen die AfD erliegt.

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