Corbyns Wahlerfolg ist auch ein Erfolg der Solidaritätsbewegung mit Palästina

14.06.2017, Lesezeit 7 Min.
Gastbeitrag

Jeremy Corbyn führte die Labour-Partei zu einer großen Überraschung bei der Wahl, und das trotz der ständigen Diffamierungskampagne seitens des rechten Parteiflügels. Wie auch häufig in Deutschland, lieferte seine Solidarität mit Palästina den Rechten und Konservativen Munition.

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Am letzten Donnerstag gingen auf der britischen Insel Millionen Menschen erneut zu den Wahlurnen. Die vorgezogene Neuwahl war von der konservativen Regierungschefin Theresa May angekündigt worden, um für sich eine genügend große Mehrheit im Parlament zu sichern, als Rückendeckung in den kommenden „Brexit“-Verhandlungen. Die Resultate waren aber alles andere als erfolgreich für sie: Ihre konservative Partei verlor 17 Plätze im Parlament und sank damit unter die Grenze von 325 Sitzen, die für eine absolute Mehrheit nötig sind. Mit 318 Parlamentsmitgliedern ist May jetzt auf die irische rechts-konservative Partei DUP (Democratic Unionist Party) für die Parlamentsmehrheit angewiesen. Mays Wahlparole „Stark und stabil“ könnte heute ironischer und hohler nicht klingen.

Die Niederlage der „Tories“ ist auch der große Erfolg der Labour-Partei. Mit 30 Parlamentsmitgliedern mehr als bei der letzten Wahl 2015 übertraf Labour alle Erwartungen und kam sehr nah an die Mehrheit für eine potentielle Koalitionsbildung. In den britischen Medien, und anscheinend auch auf der Straße, sind sich alle über die Triebkraft hinter diesem Erfolg einig: der Spitzenkandidat Jeremy Corbyn, Katzenliebhaber, Marmeladenmacher und Sozialdemokrat der alten Schule, dessen Namen in der britischen Presse – auch der liberalen – bisher meistens mit dem Präfix „unwählbar“ erschien. Von singenden Massen bis zu Politikwissenschaftlern, die vor laufender Kamera ihr Corbyn-kritisches Buch gegessen haben, beschäftigt sich das ehemalige Imperium auf der Insel seit dem letzten Wochenende ständig mit der Frage, wie es zu diesen Ergebnissen kam.

Wiederbelebung der Sozialdemokratie

Viele Expert*innen ordnen Corbyns Erfolg seiner Wahlkampagne zu. Diese war eine erfolgreiche Mischung von traditionellen Kundgebungen mit neuen Technologien der Online-Kampagnen. Während der Wahlkampagne sprach Corbyn auf 90 Veranstaltungen – ein starker Kontrast zu seiner Gegnerin, die selbst die Fernsehdebatte verweigerte. Aber sein Erfolg deutet auf einen wichtigeren und interessanteren Aspekt hin, nämlich auf sein Programm: Dieses beinhaltet unter anderem höhere Steuern für die Reichen, Verstaatlichung der Wasserinfrastruktur und der Bahn, höhere Sozialleistungen, Stopp der Privatisierung der Krankenversicherung und Abschaffung der Studiengebühren an den Unis. So ein Programm möge – zu Recht – Revolutionär*innen immer noch reformistisch und zentristisch vorkommen, zeigt aber sehr deutlich den Fehler von Labour sowie anderer sozialdemokratischer Parteien wie der SPD, die in den letzten Jahrzehnten darauf beharrten, man müsse kapitalistischer, rassistischer und imperialistischer agieren, um keine Wähler*innen an die Rechte zu verlieren. Corbyn stellte eine klare Alternative gegen den „Blairismus“ der Partei dar, die Labour auf einen klaren Kurs zurück zur alten Sozialdemokratie lenkte.

All das wäre trotzdem nicht ohne eine starke Basisarbeit der Partei möglich gewesen. Dabei war das „Momentum„-Netzwerk ein Hauptakteur. „Momentum“ entwickelte sich aus Corbyns damaliger 2015er Kampagne für die Parteiführung. Als dieser Etappensieg erreicht war, wandelte sich die Kampagne in ein Netzwerk um, das den linken Flügel der Partei vertritt und Corbyn an der Basis Rückenwind gab. Corbyns Hegemonie innerhalb der Partei war von Anfang an heiß umkämpft, da sie eine klare Opposition zu den neoliberalen „Blairisten“ war. Wie oft der Fall ist, scheuten sich Corbyns Gegner*innen – innerhalb und außerhalb Labours – nicht davor, ihn mit allen möglichen Hetzkampagnen zu diffamieren. Und hier fängt die Geschichte an, den deutschen Leser*innen bekannt vorzukommen.

Antisemitismusvorwürfe als politisches Instrument

Seit Corbyns Ernennung zum Spitzenkandidat 2015 wurden immer mehr Parteimitglieder, die zu seinem Lager gehören, mit Vorwürfen des Antisemitismus aus der Partei ausgeschlossen. Auf einmal wurde in Großbritannien zum Allgemeinwissen, dass die Labour-Partei ein Antisemitismusproblem hat – wovon natürlich in den Zeiten Blairs oder Milibands nie die Rede war. Spätere Untersuchungen, wie die Doku-Reihe des katarischen Senders Al-Jazeera „The Lobby„, zeigten eine deutliche Mitwirkung der israelischen Botschaft in der Debatte. Auch jüdischen Parteimitgliedern wie Tony Greenstein oder Jackie Walker (die damals Vize-Vorsitzende von „Momentum“ war) blieb die Keule nicht erspart.

Darin spielte Corbyns eigene klare Haltung zu Palästina eine große Rolle. Corbyn war durch seine ganze politische Kariere ein treuer Unterstützer der Rechte der Palästinenser*innen (sowie beispielsweise auch ein starker Gegner der südafrikanischen Apartheid). Diese Tatsache bot dem rechten Flügel seiner Partei reichlich Angriffsfläche, und diese haben sie bis zum letzten Quadratzentimeter genutzt. Corbyn wurde zum „Terroristenfreund“ (auch wegen seiner damaligen Befürwortung von Verhandlungen mit dem irischen Sinn Féin), was ein weiteres Argument für seine „Unwählbarkeit“ wurde. Eine Quelle in der Partei gab 2016 zu, die Antisemitismusvorwürfe seien aber in erster Linie „… nur ein Instrument … um Corbyn um jeden Preis auf dem Schlachtfeld zu zerstören“.

Hier muss erwähnt werden, dass auch hier ein differenzierter Blick notwendig ist. Nur weil die meisten Vorwürfe eine Instrumentalisierung des Antisemitismusbegriffs durch den rechten Parteiflügel oder Gruppen im Umfeld der israelischen Botschaft waren, heißt das nicht, dass es keinerlei antisemitische Erscheinungen in der Partei gab – Labour gehört schließlich immer noch zu der britischen Elite, wo Rassismus in all seinen Formen ausgiebig vorhanden und salonfähig ist. Dazu gehört auch Antisemitismus. Es muss aber auch gesagt werden, dass Corbyn zur Zeit der Hetzkampagne gegen Walker an einer Veranstaltung der Israel-Lobby-GruppeLabour Friends of Israelteilnahm: dieselbe Gruppe, die dem Al-Jazeera-Bericht zufolge diese Kampagnen mitführte.

Ein Erfolg aufrichtiger Politik

Corbyn ist weder radikal noch revolutionär, dafür aber ehrlich und engagiert. Viele Wähler*innen entschieden sich für ihn, weil sie ihn als unbestechlich sahen. Das ist nicht nur Kampagnen-Propaganda und nicht nur auf seine Katzenbilder zu führen, sondern darauf, dass er ein klares Parteiprogramm formulierte und vertritt. So scheint auch seine Politik in Bezug auf Palästina zu sein: Auch wenn er sicher kein Antizionist ist und die Wahl zwischen der Zweistaaten- und Einstaatenlösung den Bewohner*innen des Landes überlässt (und das zu Recht), vertritt er eine klare und informierte Position zu den Kernpunkten der Frage, war mehrmals im Lande und vertritt einen Teilboykott, also von Waren aus Siedlungen im Westjordanland. Er sprach sich auch klar für einen Stopp des Waffenhandels mit Israel und für einen Boykott von Universitäten aus, die in die Besatzung direkt involviert sind (was im Prinzip jede israelische Universität ist). In einem Interview im Jahr 2015 analysierte Corbyn drei Bereiche des Problems im Lande: „erstens, die Siedlungen und Besatzung Westjordanlands, zweitens, die Belagerung Gazas und drittens, das Problem der jetzt schon vierten Generation der Geflüchteten, die in Lagern in Libanon oder Syrien leben. Sie verdienen auch ihre Rechte, sie verdienen auch ihr Recht, nach Hause zurückzukehren.“

Viele Politikexpert*innen behaupten jetzt, Theresa May wird nicht in der Lage sein, mit so einer schmalen Koalition zu regieren und muss wieder zur Nauwahl aufrufen. In so einem Fall sind die Chancen sehr hoch, dass Corbyn Regierungschef wird und damit nicht nur zum ersten westlichen Staatsoberhaupt in Jahrzehnten, der eine „echte“ Sozialdemokratie anbietet, sondern auch zum Ersten, der sich offen für Palästina ausspricht. Aber schon alleine die Ergebnisse der jetzigen Wahl sind ein großer Erfolg für die Solidaritätsbewegung mit Palästina.

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