Brutale Übereinkunft der Eurogruppe über Griechenland: ein „Kolonialpakt“

13.07.2015, Lesezeit 7 Min.
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// Nach 48 Stunden und mehreren Treffen akzeptierte Tsipras alle Bedingungen der Eurogruppe für eine Übereinkunft: Das griechische Parlament muss innerhalb der nächsten drei Tage Privatisierungen, Kürzungen und Austeritätsmaßnahmen zustimmen, um Verhandlungen über eine neue “Rettung” zu beginnen. //

An diesem Montagvormittag, fünf Minuten vor Öffnung der Börsen, wurde es verkündet: Die Eurogruppe hat einstimmig einen Griechenland-Pakt verabschiedet.

Alexis Tsipras hat schließlich vor den brutalen Forderungen der Troika kapituliert, die eine erneute Übergabe der nationalen Souveränität in der Fiskalpolitik, eine Gegenreform in den Renten, Privatisierungen und neue Kürzungen bedeutet.

Nach 17 ununterbrochenen Stunden im Eurogipfel erreichte die Troika diese bedingungslose Kapitulation. Einige verglichen die Übereinkunft deshalb mit einem “neuen Versailler Vertrag”, der den im Ersten Weltkrieg Unterlegenen aufgedrückt wurde. So formulierten es mehrere JournalistInnen bei der Pressekonferenz am Ende des Gipfels gegenüber Merkel.

Das Treffen der Eurogruppe bestimmte seit Samstag den Ton der Verhandlungen: ein Dokument mit neuen Forderungen an Griechenland, die sehr viel härter waren als in den vorangegangen sechs Monaten. In den nächsten drei Tagen muss das griechische Parlament dem kompletten Programm zustimmen und besondere Gesetze über Privatisierungen, Steuererhöhungen und Austeritätsmaßnahmen verabschieden.

Die neuen Maßnahmen beinhalten einen Fonds zum Verkauf öffentlicher Güter im Umfang von 50 Milliarden Euro unter der Kontrolle der Europäischen Union, um Griechenland dazu zu zwingen, die Schulden durch die Privatisierung ihrer Aktiva zurückzuzahlen. Außerdem werden härtere Reformen im Rentensystem, Steuererhöhungen, die Privatisierung der Stromversorgung (was die Regierung noch vor einigen Tagen komplett abgelehnt hatte), eine neue Arbeits“reform“ zur Einschränkung von Tarifverträgen und zur Erleichterung von Massenentlassungen, sowie Maßnahmen im finanziellen und fiskalischen Bereich gefordert.

Während des Wochenendes ordnete die internationale Presse die Bedingungen der Übereinkunft als größte Erpressung der EU gegen ein Mitgliedsland ein: “Erniedrigung oder Grexit“, das war die Alternative, die die Eurogruppe Griechenland anbot, wie es der Korrespondent der Times ausdrückte. “Europa nimmt Rache an Tsipras”, war der Titel vom Guardian an diesem Montag. Eine “kleine Rache nach dem Referendum”, sagte El País. Laut dem britischen Blatt The Guardian zwingen die europäischen Staats- und Regierungschefs Griechenland zu einem Programm drakonischer Austerität, das die Auslieferung seiner fiskalen Souveränität als Preis zur Vermeidung des Kollapses und des Rauswurfs aus dem Euroblock bedeutet.

Sonntagnacht hatte Tsipras eine Sondersitzung mit Tusk, Merkel und Hollande. JournalistInnen, die über den Gipfel berichteten, beschrieben dieses Treffen als “wahrhaftige mentale Folter”, damit Tsipras den außerordentlichen Maßnahmen zustimmte, die sie auf den Tisch legten. In den letzten Tagen waren Spannungen zwischen Frankreich und Deutschland bezüglich der Politik gegenüber Griechenland aufgekommen, doch in diesen Treffen bedrängten sie Tsipras gemeinsam, damit er dem Programm einwilligt.

Die Bedingungen der Übereinkunft sind sehr viel härter als diejenigen, die von den vorherigen Regierungen in den letzten fünf Jahren gefordert worden waren, sagen verschieden AnalystInnen, als “Bestrafung” oder “Rache” für den Aufruf zum Referendum und den Sieg des NEIN-Lagers vor einer Woche.

Die Übereinkunft bestätigt die Kontrolle der drei “Institutionen”, der Troika, über Griechenland: The Troika is back.

Ein neuer Zyklus aus Verschuldung, Kürzungen und Austerität

Die Maßnahmen, die Tsipras dem Parlament vorlegen wird, bedeuten eine neue Welle von Kürzungen und Sparmaßnahmen gegen die griechische Bevölkerung, und das nach sieben Jahren Krise.

In der Pressekonferenz nach dem Gipfel sagte Tsipras, er sei sicher, dass die griechische Bevölkerung “das Abkommen unterstützen wird”, ohne das Referendum von vor gerade einmal einer Woche auch nur zu erwähnen, bei dem es eine massive Ablehnung des Plans der Troika gab (der viel weniger hart war als der aktuelle).

Er versicherte weiterhin, dass die Maßnahmen, auch wenn sie bedeuten sich zu beugen, das Gespenst des Grexits abgewendet hätten und dafür sorgen würden, dass neue Investitionen nach Griechenland kommen. Dieser Diskurs ist allem entgegengesetzt, was Syriza in den letzten Jahren der Opposition gegen die “Rettungsprogramme” gesagt hatte.

Mit der Einsetzung eines Privatisierungsfonds von 50 Milliarden Euro wird Griechenland seine Schulden bezahlen, um neue Schulden zu ermöglichen – ein scheinbar nie endender Kreislauf von Austerität und Neuverschuldung. Und all das im Tausch dafür, im Euro zu bleiben und für das Versprechen, dass in der Zukunft die Möglichkeit einer Umstrukturierung der Schulden diskutiert wird – aber ohne Streichung, wie Deutschland versicherte.

Das Ausmaß des Privatisierungsfonds ist wirklich monströs. In den letzten Jahren belief sich der Privatisierungsplan unter der konservativ-sozialdemokratischen Regierung auf nicht mehr als vier Milliarden Euro.

Viele JournalistInnen fragten sich, wenige Minuten nach der Verkündigung der Einigung, was Tsipras nach 17 Stunden Verhandlungen “gewonnen” habe. Der griechische Ministerpräsident sagte, dass der Privatisierungsfonds seinen Sitz in Griechenland haben werde, statt in Luxemburg, wie am Vortag gefordert wurde – aber weiterhin unter Kontrolle der Troika. Dass das sein einziger “Gewinn” sei, zeigt den Umfang seiner Niederlage, urteilte ein griechischer Journalist in einem Tweet.

Syrizas Kapitulation

Nur sechs Monate nach ihrem Regierungsantritt scheint die Kapitulation von Tsipras und Syriza vor der Troika komplett. Niemand, nicht einmal die größten KritikerInnen, konnten sich die Geschwindigkeit vorstellen, mit der Syriza all ihre “roten Linien” aufgab und schließlich das drakonische Austeritätsprogramm akzeptierte.

Das massive NEIN vor gerade einmal einer Woche wirkt wie schon ein Jahr vergangen. Denn die Regierung rief zuerst zum Referendum auf mit dem Ziel, “die Verhandlungsposition zu verbessern” dann verzichtete sie zunächst auf all ihre Positionen und akzeptierte schließlich ein härteres Programm als das von 61 Prozent der griechischen Bevölkerung abgelehnte.
Die strategische Machtlosigkeit der reformistischen und versöhnlerischen Politik von Tsipras, im Euro zu bleiben “koste es, was es wolle”, endete in dieser großen Erniedrigung.

Es ist noch nicht klar, was im griechischen Parlament in diesen Tagen geschehen wird. Verschiedene Abgeordnete von Syriza kündigten an, gegen die Übereinkunft zu stimmen. Der Verteidigungsminister und Anführer der nationalistischen Partei ANEL sprach sich auch dagegen aus. Es wird von einer Kabinettsumbildung und freiwilligen oder erzwungenen Rücktritt derjenigen gesprochen, die die Maßnahmen nicht unterstützen. Der Arbeitsminister spekulierte, dass zu Neuwahlen aufgerufen werde, wenn die Wirtschaft sich “stabilisiert” habe.

To Potami, das “trojanische Pferd” der Troika im griechischen Parlament, hat sich in den letzten Wochen mit europäischen Staats- und Regierungschefs getroffen. Die Partei bereitet sich darauf vor, die Maßnahmen der Regierung im Austausch für eine Politik der “nationalen Einheit” zu unterstützen.

Sektoren der politischen und gewerkschaftlichen Linken haben in der letzten Woche wiederholt zu Mobilisierungen gegen die Übereinkunft aufgerufen und werden weiterhin gegen den neuen Pakt der Unterordnung unter die Troika mobilisieren.
Das Hashtag #ThisIsACoup verbreitete sich explosionsartig in den sozialen Medien und denunzierte die europäische Politik der Erpressung, die von Deutschland angeführt wurde.

Die nächsten Tage werden zentral sein, um den Widerstand der griechischen Massen gegen dieses neue, von der Troika aufgezwungene, Paket der Gegenrefom zu organisieren.

(zuerst auf Spanisch hier erschienen: http://www.laizquierdadiario.com/Brutal-acuerdo-del-Eurogrupo-sobre-Grecia-un-pacto-de-coloniaje )

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