Bolsonaro: Mit Einschüchterungen, Lügen und der Hilfe des Finanzkapitals zum Präsidenten

29.10.2018, Lesezeit 9 Min.
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Bolsonaro gewann am Sonntag die Stichwahl zum brasilianischen Präsidenten gegen den PT-Kandidaten Haddad mit 10 Punkten Abstand. Doch das muss nicht heißen, dass der Rechtsextreme nun freie Hand hat, sein gesamtes Programm durchzusetzen. Ein Kommentar von André Augusto

Mit 99 Prozent der ausgezählten Stimmzettel konnte Bolsonaro 55 Prozent der Stimmen auf sich vereinen, gegen 45 Prozent der Stimmen für Fernando Haddad.

Bolsonaro gewann die am stärksten manipulierten Wahlen in der jüngeren Geschichte des Landes. Er profitierte von der Radikalisierung der Anti-PT-Stimmung und dem Zusammenbruch der traditionellen Rechten (insbesondere dem Absturz der PSDB von Fernando Herique Cardoso). Sein Aufstieg geschah im Rahmen einer Reihe systematischer juristischer Manöver und unter der Aufsicht der Streitkräfte, die sicherstellten, dass diese Wahlen eine Fortsetzung und Vertiefung des institutionellen Putsches von 2016 darstellten.

Bolsonaro brachte eine Radikalisierung des religiösen Diskurses zum Ausdruck und versprach Angriffe auf demokratische Rechte. In seiner ersten Rede nach dem Ergebnis dieser Stichwahl betete er öffentlich und machte mehrere religiöse Bezüge. Er schwor bei Gott, die Reformen gegen die Arbeiter*innen durchzuführen, die sich der Finanzmarkt wünscht. Bereits in seinen vorangegangenen Reden hatte er einen radikalen Diskurs gegen linke Kräfte etabliert: Er versprach, die „Roten“ zu verhaften und aus dem Land zu vertreiben.

Er wird der achte brasilianische Präsident seit dem Übergang aus der Diktatur sein. Mit ihm eröffnet sich ein neuer Zyklus im Land. Die Bourgeoisie wird mit Hilfe von Bolsonaros Programm gegen die Arbeiter*innen und die arme Bevölkerung versuchen, das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen zu verschieben. Sein Programm ist die gewaltsame Kontinuität der Temer-Reformen, d.h. der Vertiefung der Angriffe auf die Rechte der Arbeiter*innen, wie der Arbeitsreform, der Rentenreform und den Privatisierungen aller Staatsunternehmen zu Gunsten des Imperialismus.

Dies bedeutet jedoch nicht, dass Bolsonaro freie Hand haben wird, sein gesamtes Programm durchzuführen. Zwar gewann er in der zweiten Runde, aber die Massen, die die Angriffe von Temer erlebten und die Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen mit dem institutionellen Putsch verbinden, werden die Kürzungen nicht friedlich akzeptieren. Um der gewalttätigen Kontinuität des Putsches zu begegnen, wird es organisierten Widerstand brauchen.

Der 18-Punkte-Vorsprung von Bolsonaro nach der ersten Wahlrunde fiel im Laufe der vergangenen Woche auf nur noch 10 Punkte. Auch wenn es stimmt, dass sich die politische Situation, mit Bolsonaro als reaktionärer Figur, die die gewaltsame Fortsetzung der Angriffe von Temer sein wird, noch weiter nach rechts wendet; so ist es auch wahr, dass dieser Rückgang auf der Zielgeraden darauf hindeutet, dass der Klassenkampf bereits in den ersten Momenten seiner Amtszeit präsent sein wird.

Die Aktienmärkte reagierten bereits mit Kurssteigerungen auf Bolsonaros Triumph. Der Applaus der US-Bank Goldman Sachs zeigt, dass die Köpfe des globalen Fnanzkapitals nun darauf hoffen, die brasilianische Arbeiter*innenklasse noch intensiver ausbeuten zu können. Das ausländische Kapital – vor allem US-Kapital –, dem die brasilianischen Staatsschuld gehört und das schon jetzt jedes Jahr 1 Billion Reais aus dem Land holt, will auch die natürlichen Ressourcen und die wichtigsten Unternehmen wie Petrobras, Banco do Brasil, Caixa Econômica und Correos ausplündern.

Das Team von Bankiers und millionenschweren Geschäftsleuten, das Teil von Bolsonaros Kabinett sein wird, wird eine besondere Funktion haben: jedes einzelne der Arbeitsrechte anzugreifen, das Arbeitsvertragsgesetz zu beenden und die Bevölkerung durch die Verallgemeinerung des Outsourcings zu versklaven – insbesondere die schwarze und die indigene Bevölkerung, die Bolsonaro und sein Vize Hamilton Mourão so sehr hassen. Jorge Paulo Lemann, der reichste Mann Brasiliens, Eigentümer von Ambev; Alexandre Bettamio, Exekutivpräsident für Lateinamerika der Bank of America; Juan Cox, Präsident des Verwaltungsrates von TIM; und Sergio Eraldo de Salles Pinto, von Bozanno Inversiones: Das sind einige der Kapitalist*innen, die zusammen mit Großgrundbesitzer*innen und Finanziers versuchen werden, die Arbeiter*innen für die Krise bezahlen zu lassen, die erstere selbst verursacht haben.

Obwohl Bolsonaro sich jetzt in demokratischen Reden üben wird, sagte er in mehreren früheren Interviews ausdrücklich, dass er, wenn er zum Präsidenten gewählt würde, den Kongress schließen würde. Er verteidigt die Militärdiktatur und die Folter und hat einen abstoßenden Hass auf Frauen, Schwarze, Indigene und die LGBT-Community. Sein Vizepräsident Mourão lügt nicht, wenn er sagt, dass er das Weihnachtsgeld (das 13. Monatsgehalt) abschaffen will. Bolsonaro lügt auch nicht, wenn er sagt, dass er allen staatlichen Unternehmen ein Ende setzen und alle Arbeitsrechte flexibler gestalten will, als es Temer bereits getan hat.

Zweifellos haben die Arbeiter*innen kein Interesse an dem ultraneoliberalen Wirtschaftsprogramm von Bolsonaro und Paulo Guedes, die bereits versprochen haben, die Post zu privatisieren, Löhne anzugreifen und die „Arbeitskosten“ zugunsten der Bosse zu senken.

Schranken des ultraneoliberalen Programms von Bolsonaro

Eine Umfrage vom 17. und 18. Oktober 2018 zeigt, dass nur 37 Prozent der Bolsonaro-Wähler*innen der Meinung sind, dass „die Regierung die staatlichen Unternehmen ganz oder teilweise verkaufen sollte“. Für 44 Prozent seiner Anhänger*innen ist es besser, alles unter der Kontrolle des Staates zu halten. Nur 30 Prozent seiner Wähler*innen sind dafür, dass die Regierung Petrobras verkauft. 60 Prozent sagen demgegenüber, dass Petrobras unter staatlicher Kontrolle bleiben sollte.

In einer Umfrage Anfang 2018 waren sogar überwältigende 86 Prozent der Bevölkerung gegen eine Rentenreform, die Bolsonaro und sein Vizepräsident Hamilton Mourao als „oberste Priorität“ ihrer Regierung bezeichneten.

Es besteht kein Zweifel daran, dass Bolsonaro mit unzähligen Widersprüche regieren muss. Das bietet die Möglichkeit, dass sich die Kämpfe der Arbeiter*innen entwickeln und sie sich den Kapitalist*innen und der Rechten entgegenstellen.

1) In der Woche vor der Stichwahl nahm die Ablehnung ihm gegenüber zu, nachdem er sich faschistisch gegen die „Roten“ geäußert und sein Sohn Eduardo gedroht hatte, den Bundesgerichtshof zu schließen. Bolsonaros Abstand zum Gegenkandidaten der PT verringerte sich hingegen. Mit einem Abstand von nur 10 Prozent wird er mehr Mühe haben, die gewünschten Angriffe durchzusetzen.

2) Er wird damit umgehen müssen, dass er nun seine „Anti-System“- und „Anti-Korruptions“-Demagogie beenden muss. Er hat sie bereits beiseite gelegt, um Vereinbarungen mit den korruptesten Parteien im Parlament zu treffen, um sich eine Grundlage für seine Regierung zu sichern. Es sind dieselben korrupten Mafia-Banden, die die Regierung des delegitimierten Temers und eines Kongresses der Vetternwirtschaft unterstützten, den Bolsonaro so kritisiert hat.

3) Ein großer Teil seiner Wähler*innenbasis ist sich nicht bewusst, dass seine Regierung viel schlimmer sein wird als die Temers, was Angriffe, die Zerstörung von Rechten und die Verschlechterung der Lebensbedingungen angeht. Dieser Widerspruch verschärft sich noch mit der Eskalation der Demagogie in der zweiten Wahlrunde: Um die ehemaligen Lula-Anhänger*innen ruhig zu stellen, die er in der ersten Runde gewonnen hatte, musste er versprechen, das Weihnachtsgeld und das Sozialprogramm „Bolsa Familia“ aufrechtzuerhalten und Steuererhöhungen nicht die Ärmsten treffen zu lassen.

4) Das Hin und Her von Bolsonaro, der erst alle öffentlichen Unternehmen privatisieren wollte, um dann doch anzuerkennen, dass er seinen „strategischen Kern“ beibehalten würde, ist ein Vorgeschmack auf die Konflikte, die zwischen Paulo Guedes‘ ultraliberalem Programm und den strategischen Interessen der Militärindustrie und der brasilianischen Bourgeoisie bestehen.

Es ist nicht möglich, die Regierung Bolsonaros, die die „Eigentümer des Landes“ vertritt und sich dem ausländischen Imperialismus unterwirft, zu bekämpfen, ohne eine riesige Kraft an jedem Ort der Arbeit und des Studiums zu organisieren. Wir müssen Bolsonaro ein antikapitalistisches und sozialistisches Programm entgegensetzen, das Einfluss auf die Sektoren der Massen hat, die Bolsonaro in den letzten Monaten bekämpft haben.

Uns ist bewusst, dass die PT völlig unfähig ist, dieser Dynamik etwas entgegenzusetzen. Die PT hat jahrelang mit den Kapitalist*innen regiert und dabei ihre Methoden der Korruption übernommen. Dabei hat sie sich damit gebrüstet, ihnen unglaubliche Gewinne garantiert zu haben. Dann wollte sie zeigen, dass sie ihnen immer noch dienen konnte, indem sie Dilmas zweite Amtszeit mit der Durchführung von Kürzungsmaßnahmen gegen die Arbeiter*innen begann und somit die Demoralisierung ihrer eigenen sozialen Basis vervollständigte. Auf diese Weise ebnete sie den Weg für Temers Putsch, der ihn an die Regierung brachte, um schneller mit den Angriffen vorzurücken. Ihre rein elektorale Strategie, ihre Politik der Eindämmung des Klassenkampfes, um die Unzufriedenheit auf dem Wahlzettel auszudrücken, konnte dem institutionellen Putsch keinen ernsthaften Widerstand entgegensetzen. Als sie in der Opposition war, bestand ihre Antwort auf den Hass der Massen auf die Lava Jato-Justiz und den Globo-Medienkonzern darin, Illusionen in die Justiz und in die Wahlen zu schüren, was sich als völlig unfähig erwies, das Voranschreiten der extremen Rechte aufzuhalten.

Um den Vormarsch des Putsches und der extremen Rechten ernsthaft zu bekämpfen, müssen wir von den Gewerkschaftszentralen, Studierenden- und Massenorganisationen verlangen, dass sie Basiskomitees aufbauen, um den Widerstand zu organisieren und einen großen nationalen Streik mit Straßenmobilisierungen im ganzen Land vorzubereiten. In diesen Komitees und in dieser Organisation der Arbeiter*innenklasse und der Jugend müssen wir dafür kämpfen, alle reaktionären Reformen der Temer-Regierung niederzureißen und eine große Bewegung für die Nichtzahlung der öffentlichen Schulden aufzubauen, um stattdessen Ressourcen für öffentliche Infrastruktur, Gesundheit und Bildung bereitzustellen.

Wir können Bolsonaro nur mit einem Programm ernsthaft bekämpfen, das radikal auf die wahren Qualen der ausgebeuteten und unterdrückten Mehrheit des Landes reagiert. Die einzige radikale und realistische Antwort ist eine, die die Mobilisierung der Gewerkschaften und sozialen Bewegungen vorantreibt, um den Fortschritt des Autoritarismus zu stoppen und den Kapitalist*innen die Rechnung für ihre Krise zu präsentieren. Die MRT und Esquerda Diario bekämpften unabhängig von der PT jeden Schritt des Putsches und setzten all unsere Energie in den Kampf gegen Bolsonaro, die extreme Rechte, den Putsch und die Reformen.

Dieser Artikel auf Portugiesisch bei Esquerda Diário und auf Spanisch bei La Izquierda Diario.

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