Berliner Senat unterbietet sich selbst

03.02.2020, Lesezeit 3 Min.
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Vollmundig hatte der Berliner Senat angekündigt, mit dem neuen Vergabeverfahren einen Mindestlohn von 12,50 Euro einführen zu wollen. Doch nun schaut es so aus, als würden die Arbeiterinnen in der Essensausgabe leer ausgehen. Eine riesige Blamage für den Berliner Senat, der letztes Jahr noch den internationalen Kampftag der Frauen zum Feiertag erklärte.

Die Ankündigung kam wie ein Paukenschlag. Ein Vergabemindestlohn von 12,50 Euro in Berlin. In der bayrischen CSU hat man wohl schon an ein neues Venezuela gedacht. Aber so groß die Ankündigung war, so sehr hat man sich doch insgeheim gedacht: An irgendwas wird es schon scheitern – zu schön um wahr zu sein.

Ich muss ehrlich gestehen, ich hatte mir meinen Lohnzuwachs schon ausgerechnet. Als outgesourcte Reinigungskraft bei der BVG sind 150€ mehr im Monat nicht ohne! So geht es mir häufig bei Versprechungen von reformistischen Parteien, obwohl ich als Marxist wenig Vertrauen in die verrottete Sozialdemokratie habe. Insgeheim freut man sich doch und hofft, dass es umgesetzt wird. Aber auch hier entpuppt es sich wieder nur als Bluff. Meine älteren Kolleg*innen sind weiser. Marxistische Literatur ersetzt halt nicht die Lebenserfahrung von Arbeiter*innen.

Nun zeigt sich, dass das Versprechen gar keinen Eingang in die Ausschreibungen für das Berliner Schulessen gefunden hat. Dort sind sogar bloß neun Euro Brutto Stundenlohn vorgesehen, also unter dem gesetzlichen Mindestlohn von derzeit 9,35 Euro. Nun schiebt man sich die Verantwortung hin und her. In der Senatsverwaltung für Bildung sagt man, die Wirtschaftsverwaltung sei für die Vergabe zuständig. Die hält jedoch dagegen und sagt, das neue Vergabegesetz sei noch gar nichts rechtskräftig, weil es noch auf Bezirksebene abgesegnet werden muss. Aber nicht die Senatorinnen Ramona Pop und Sandra Scheeres werden leer ausgehen, sondern die vielen Arbeiterinnen an den Essensausgaben, die selten mehr als den gesetzlichen Mindestlohn bekommen.

Für den rot-rot-grünen Senat ist es eine besondere Blamage, weil sie erst letztes Jahr noch den internationalen Kampftag der Frauen am 8. März zum Feiertag erklärt haben. Und nun – so kurz vorm 8. März – werden viele Frauen nicht vom angekündigten Vergabemindestlohn profitieren können. Dabei ist es mehr als ein symbolischer Akt. Es entlarvt ein System, in dem vor allem Frauen unter prekären Arbeitsbedingungen zu leiden haben. Nicht nur in der Reinigung, sondern eben auch bei der Essensausgabe. Und es zeigt die Unfähigkeit des Berliner Senats, wirkliche Verbesserung zu erreichen.

Besonders skurril dabei: Die Senatsverwaltung für Bildung hat den Vergabemindestlohn bereits im Haushalt berücksichtigt. Die Ausschreibungen einfach wieder zurücknehmen, wie vom Deutschen Gewerkschaftsbund gefordert, komme aber für beide Senatorinnen nicht infrage. Sie gehen derzeit davon aus, dass der Markt das schon regelt oder dass mit dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes die Löhne eh gezahlt werden müssen. Am Ende könnten also vom Vergabemindestlohn nicht die outgesourcten Arbeiterinnen profitieren, sondern die Bosse. Sowas geht nur in Berlin.

Nicht nur der Deutsche Gewerkschaftsbund, auch die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten beschwert sich über die Schlamperei in der Senatsverwaltung. Doch zu wirklichen Kampfmaßnahmen rufen die Gewerkschaftsführungen nicht auf. Warum nicht den versprochenen Mindestlohn von 12,50 Euro mit Streiks durchsetzen, statt auf die unsichtbare Hand des Marktes und Gerichte zu hoffen? Warum nicht das Outsourcing selbst infrage stellen? Der 8. März wäre eine gute Möglichkeit, diese Forderung aufzustellen und den Senat zur Verantwortung zu stellen.

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