Berlin-Wahl: Große Koalition abgewählt – Rot-Rot-Grün in Sicht

19.09.2016, Lesezeit 4 Min.
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Brüche und Kontinuitäten zeichnen die Abgeordnetenhauswahlen in Berlin: Die Große Koalition aus SPD und CDU wird hart abgestraft. Doch Michael Müller wird weiterhin Regierender Bürgermeister in einem wahrscheinlich „Rot-Rot-Grünen Rathaus“ werden.

Bei den Berliner Abgeordnetenhauswahlen mussten die Regierungsparteien SPD und CDU die historisch schlechtesten Ergebnisse einfahren – eine herbe Klatsche für die Große Koalition und ihr politisches Personal. Die CDU liegt wie schon bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern vor zwei Wochen unter 20 Prozent und fliegt aus der Regierung raus.

Doch auch wenn ein Großteil ihrer Stimmen an die auftrumpfende AfD ging, wird es der Parteirechten schwerer fallen, der Migrationspolitik der Bundes-CDU die Schuld in die Schuhe zu schieben. Denn Henkel trat als klarer Vertreter einer Politik der „harten Hand“ gegen Migrant*innen, Linke und Jugendliche gegeben – Burkaverbot und Polizeiaufrüstung inklusive.

Die SPD kommt erneut mit einem blauen Auge davon. Zwar musste auch sie mit rund 22 Prozent große Einbußen verzeichnen – 25 Jahre als Regierungspartei und Interessenvertretung der Berliner Bourgeoisie haben ihren Kosten. Doch unter den Blinden ist der Einäugige König – keine andere Partei erreichte mehr als 20 Prozent.

An dritter Stelle kommt die Linkspartei, die aus den Ruinen, den die rot-rote Privatisierungs- und Sparpolitik überlassen hatte (11,9 Prozent 2011), auferstanden ist. Mit 15,6 Prozent liegt sie sogar leicht vor den Grünen. Damit ist ihre Strategie, ihre Mitschuld am „Elend an der Spree“ vergessen zu machen, aufgegangen. Viele Stimmen kamen von den Piraten, aus deren Reihen schon vor der Wahl etliche zur Linkspartei übergetreten waren.

Außerdem ist zu bemerken, dass ein Großteil ihrer Stimmengewinne aus dem West-Teil der Stadt kommen und sie besonders bei den jungen Wähler*innen zulegen konnte – Zeichen dafür, dass sie einen bedeutenden Teil der „Anti-AfD“-Wähler*innen für sich gewinnen konnte. Das ist besonders erfreulich für die Parteispitze um Lederer, Wolf und Co., die ihren ganzen Wahlkampf darauf ausgerichtet hatte, verantwortungsvolle Partnerin einer SPD-geführten Dreierkoalition zu werden.

Den größten Wahlerfolg kann erneut die rechtsextreme Alternative für Deutschland (AfD) verbuchen. Sie erzielte auf Anhieb an die 14 Prozent und konnte somit ihre Erfolgsserie der vergangenen Landtagswahlen in der liberalen Hauptstadt fortführen. Damit scheiterte die Taktik der etablierten Parteien, eine „demokratische Front“ gegen die AfD aufzubauen. Auch wenn sich die AfD im Wahlkampf als rechte Ergänzung der CDU gab ist niemand geringeres als die frauenfeindliche Abtreibungs-Gegnerin Beatrix von Storch Vorsitzende des Landesverbands. Es gilt, Widerstand gegen diese neue rechte Kraft zu organisieren.

Die FPD konnte mit einem erstaunlichen Ergebnis von 6,5 Prozent wieder in das Abgeordnetenhaus einziehen. Sie waren die einzigen, die sich klar für den Erhalt des Flughafens Tegel einsetzten und konnten daher besonders im West-Teil der Stadt verlorenes Gebiet wiedergutmachen.

Auch wenn Michael Müller schon jetzt (so gut wie) als Regierender Bürgermeister einer rot-rot-grünen Koalition feststeht, sagt das nichts über die Stabilität der neuen Regierung aus. Denn „R2G“ ist kein Wunschergebnis, sondern entsteht aus der Schwäche der etablierten Parteien (besonders der SPD) heraus, die keine Zweier-Koalition ermöglicht. Müller hat es der Linkspartei und den Grünen zu verdanken, dass die sozialdemokratische Herrschaft über die Hauptstadt auch nach einem Vierteljahrhundert kein Ende findet.

Die Wahlbeteiligung stieg an – Ausdruck der leicht zunehmenden Polarisierung im Land, da ein Großteil dieser Stimmen zur AfD gingen. Doch trotzdem haben die Nichtwähler*innen (34 Prozent) umgerechnet mehr als doppelt so viele Stimmen wie die stärkste Partei. Das Parlament ist mit sechs Parteien so zerstückelt wie nie in Berlin. Dazu kommt, dass vier Parteien, von der CDU bis zur AfD, etwa gleichauf liegen. Zudem ist besonders der Wahlerfolg der Linkspartei auf Sand gebaut – wurden sie doch als Alternative zur Großen Koalition und ihrer Sozialpolitik gewählt.

Alles in allem bestätigt sich unsere Prognose, dass die Abgeordnetenhauswahlen der Legitimationskrise der politischen Kaste in Berlin kein Ende setzen. Angesichts dessen ist es notwendig, dass die kämpferischen Geflüchteten, die antirassistische Jugend und die prekarisierten Beschäftigten den Widerstand gegen die neue Regierung organisieren.

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