Berlin: Demo gegen Hochschulgesetznovelle

18.05.2011, Lesezeit 4 Min.
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Das vieldiskutierte und -kritisierte neue Berliner Hochschulgesetz ist beschlossen. Am Abend des 12. Mais wurde es vom Abgeordnetenhaus mit den Stimmen von SPD und Linkspartei angenommen. Zwei Stunden vorher hatten sich 250 Berliner Studierende trotz Regens vor dem Brandenburger Tor versammelt, um gegen die Novelle zu protestieren. „Wir sind nass und wir sind laut, weil man uns die Bildung klaut!“ hieß es von einem Megafon, das unter einem Regenschirm versteckt war.

In einem offenen Brief hatten StudentInnen, ProfessorInnen, MitarbeiterInnen und auch die Präsidenten aller drei Berliner Unis die Parlamentarier aufgefordert, das Gesetz „nicht im Eilverfahren“ zu beschließen. Die Abstimmung war vorgezogen worden – ursprünglich sollte am Donnerstag nur eine Lesung des Entwurfes stattfinden. „Sie wollen das Gesetz schnell durchschieben“, kommentierte Arvid Peschel, hochschulpolitischer Referent vom Allgemeinen Studierendenausschuss der Freien Universität. Eine weitere Lesung des Gesetzes wurde das Thema in die Abgeordnetenhauswahlen, die in vier Monaten stattfinden, hineinziehen.

Die Hauptkritik richtet sich gegen sogenannte Zwangsberatungen für Studierende, die die Regelzeit überschreiten. Die Folge können Exmatrikulationen sein. Es geht auch um die Wahlfreiheit bei Studieninhalten: Künftig soll „ein Fünftel“ der Lehrveranstaltungen frei wählbar sein, was in vielen Studiengängen eine Verschlechterung im Vergleich zum jetzigen Zustand und „Verschulung“ darstellt.

Auf Widerstand trifft außerdem die Einführung von sogenannten Lehrprofessuren, deren InhaberInnen nicht mehr mit Forschungsaufgaben betraut werden und die – dies die Motivation für die Einführung – nur ein Drittel dessen kosten, was für eine klassische Hochschullehrerstelle aufgewandt wird. Dabei geht nicht nur um das Prinzip der Einheit von Lehre und Forschung, sondern vor allem darum, dass DozentInnen in dieser Kategorie kaum die Möglichkeit haben werden, über ihre Forschung in normale ProfessorInnenstellen aufzuzeigen. Nach Ansicht des „Aktionsbündnisses Hochschulnovelle“ soll durch die Anstellung von Billigarbeitskräften die Schaffung von dringend benötigten, normalen Dozentenstellen vermieden werden.

Anna Herbst, eine Masterstudentin der Geschichte an der FU, wurde durch ein Straßentheater auf die Demo aufmerksam. Mit einem Glücksrad auf dem Unicampus bekam man „Geschenke“ des neuen Hochschulgesetzes wie „Zwangsexmatrikulation“ oder „Burnout“. Für sie geht es um ein „selbstbestimmtes Studium“, da durch die Zwangsberatungen die Studierenden ihren Studienverlauf nicht mehr selbst planen können.

Der Wissenschaftsexperte der SPD-Fraktion, Lars Oberg, sprach im Parlament von einem guten und modernen Gesetz. Bei der Vielzahl der Interessen sei es unmöglich, es allen recht zu machen. Der CDU-Abgeordnete Nicolas Zimmer kritisierte, es gebe niemanden außer „Rot-Rot“, der das Gesetz gut und richtig finde. Die wissenschaftspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Anja Schillhaneck, sagte, SPD und Linke hätten es geschafft, alle gegen sich aufzubringen.

Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) zeigte sich „hoch zufrieden“ mit dem neuen Gesetz. Wolfgang Albers, wissenschaftspolitischer Sprecher der Linksfraktion, erklärte, die Koaltion habe in einem schwierigen Politikfeld „Handlungsfähigkeit bewiesen“ und warf den Studierenden „stetiges Einprügeln auf ihre engsten Unterstützer“ vor, womit er sich und seine GenossInnen meinte.

Isabelle Fenster, die bei DieLinke.SDS, dem Studierendenverband der Linkspartei, an der FU aktiv ist, sieht das anders. Die „Ignoranz unserer Partei gegenüber den Forderungen der Studierenden“ stört sie. Ein zweiter Aktivist des gleichen Verbandes ergänzte, dass er von einer „rot-roten“ Landesregierung erwartet hätte, dass sie „den ‚Spirit‘ des Bildungsstreiks“ übernommen hätte. Doch ein Auftritt von Studierenden beim jüngsten Landesparteitag der Linken sei „einfach ignoriert“ worden, so die beiden AktivistInnen.

Zum Abschluss der Demonstration wurden verschiedene Solidaritätserklärungen verlesen. Irene Iliopoulou aus Griechenland berichtete vom dortigen Generalstreik am Tag zuvor. Die Doktorandin, die bei der Antikapitalistischen Linken Kooperation für den Sturz (ANT.AR.SY.A) organisiert ist, erzählte, dass mehrere DemonstrantInnen von der Polizei schwer verletzt wurden. Außerdem wurde eine Solidaritätserklärung für mit dem Arbeitskampf an der Charité verabschiedet.

Viele UniaktivistInnen erwarten einen Aufschwung der Proteste im kommenden Semester, wenn durch den Abitur-Doppeljahrgang die Überfüllung der Hochschulen eine neue Qualität erreichen wird. Aber bis dahin bleibt die Parole der Demo: „Zöllner lässt uns im Regen stehen!“ in mehrfacher Hinsicht Wirklichkeit.

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