Bayern: Wie das PsychKHG Frauen und Geflüchtete bestraft

29.04.2018, Lesezeit 7 Min.
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Bayern plant derzeit nicht nur die kontrovers diskutierte Novellierung des Polizeiaufgabengesetzes (PAG), sondern auch eine Verschärfung des Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetzes (Bay-PsychKHG). Der Gesetzentwurf stellt einen gewaltigen Angriff auf Frauen, LGBTI, Geflüchtete und andere Unterdrückte dar und muss unbedingt verhindert werden.

Datenschützer*innen, Betroffenenverbände, Mediziner*innen und Gesundheitsexpert*innen zeigen sich gleichermaßen schockiert über den neuen Entwurf der CSU zum Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz. Allein der Name ist eine Farce – von 41 Artikeln befassen sich nur vier mit flächendeckenden Krisenstellen. Alle anderen drehen sich um die (Zwangs-) Unterbringung psychisch Erkrankter. Diese soll an den Strafvollzug angelehnt werden.

Überdies sollten alle Daten von Personen, die in einer psychiatrischen Einrichtung waren, inklusive der Diagnose und weiteren vertraulichen Informationen, für mindestens fünf Jahre in einer zentralen Datenbank, die für etliche Behörden wie die Polizei zugänglich sein sollten, gespeichert werden. Letzteres will die CSU nach etlichen Protesten aus dem Entwurf streichen. Auch der Bezug auf den Maßregelvollzug soll laut Sozialministerin Schreyer entschärft werden. Doch ob es sich hierbei tatsächlich um inhaltliche Änderungen handelt oder nur sprachliche Verschönerungen vorgenommen werden, bleibt abzuwarten. Die bisherigen Aussagen dazu sind noch ziemlich unklar.

Insgesamt werden Menschen, die an einer psychischen Krankheit leiden, unter den Generalverdacht gestellt, potentielle “Gefährder*innen” zu sein. Dies stellt eine drastische Verstärkung der Stigmatisierung psychisch Erkrankter dar. Es gibt keine Hilfe für Betroffene, sondern führt zu einer viel größeren Hemmschwelle, sich überhaupt behandeln zu lassen. Die CSU möchte auch hier eine skandalöse Einschränkung von Grundrechten erwirken.

Ein weiterer sexistischer Angriff

Diejenigen Gruppen, die ohnehin schon am meisten unter gesellschaftlicher Unterdrückung zu leiden haben, werden von diesem Gesetz besonders betroffen sein. Durch das weltweite patriarchale und kapitalistische System werden insbesondere Frauen und LGBTI ihr Leben lang diskriminiert. In Deutschland werden Mädchen – wie in allen anderen Gesellschaften auch – von klein auf mit “traditionellen” Rollenbildern konfrontiert. Von Cis-Männern geprägte Normen (Androzentrismus) bestimmen, was als „weiblich“ gilt und entsprechende Verhaltensweisen müssen befolgt werden, sonst droht soziale Ächtung. Außerdem wird als „männlich“ aufgefasstes Verhalten gesellschaftlich honoriert, beispielsweise im Berufsleben.

So verwundert es nicht, dass Frauen wesentlich häufiger an psychischen Erkrankungen leiden als Männer: durchschnittlich etwa 37 Prozent in allen Altersgruppen ab 20 Jahren gegenüber ca. 25 Prozent bei Männern (einzige Ausnahme sind Männer zwischen 20 und 29 Jahren mit etwa 29%). Meist handelt es sich dabei um Depressionen.

Frauen und LGBTI erfahren oft psychische und physische Gewalt innerhalb der Familie oder in Partnerschaften. Auch außerhalb der genannten Strukturen werden diese Gruppen immer wieder mit psychischer und sexualisierter Gewalt konfrontiert. Fast die Hälfte aller in Deutschland lebenden Frauen hat eine oder mehrere dieser Formen von Gewalt erlebt. Daraus ergeben sich oft Schlafstörungen, Angstzustände, Depressionen usw. Auch haben Übergriffe auf LGBTI in den letzten Jahren massiv zugenommen. Besonders schutzlos der Gewalt ausgeliefert sind diejenigen, die sich prostituieren müssen.

Grundsätzlich führen die Sexualisierung des weiblichen Körpers und der permanente Druck, immer rigoroseren Schönheitsidealen zu entsprechen, zu teils lebensbedrohlichen Krankheiten wie etwa Essstörungen, von denen Mädchen und junge Frauen überproportional betroffen sind.

Das Gesetz ist gerade auch deshalb sexistisch, weil Schwangerschaft und Geburt oft von psychischen Erkrankungen begleitet werden. Jede siebte Frau entwickelt nach einer Geburt Depressionen und etwa zehn Prozent erleiden diese während der Schwangerschaft. Es wird jedoch davon ausgegangen, dass die Dunkelziffer höher ist, da viele dieser ernsthaften Krankheitsbilder nicht erkannt, sondern als harmlose Stimmungsschwankungen aufgefasst werden. Allgemein lastet der Druck der Familienplanung zum größten Teil auf Frauen. Im Fall eines nicht erfüllten Kinderwunsches leiden sie oft unter Schuldgefühlen, einem niedrigen Selbstwertgefühl und Hilflosigkeit bis hin zur Verzweiflung.

Doch auch von anderer Seite sollen Frauen zunehmend unter Druck gesetzt werden – Abtreibung wurde 1933 durch die Nazis in Deutschland unter Strafe gestellt. Auch heute noch sind Schwangerschaftsabbrüche laut Paragraph 218 StGB verboten und lediglich in Ausnahmefällen straffrei. Im umstrittenen Paragraph 219a StGB wird gar das „Werben“ für Schwangerschaftsabbrüche verboten, worunter sogar die sachliche Information fällt.

Sogenannte „Lebensschützer*innen“ haben es sich zur Aufgabe gemacht, vor Praxen und Kliniken Betroffene zu belästigen sowie Ärzt*innen, die diese wichtige Leistung anbieten, zu verklagen. Bisher rekrutierten sich diese „Lebensschützer*innen“ vor allem aus fundamentalistischen christlichen sowie rechten Kreisen (z.B. Beatrix von Storch). Doch dieser Angriff auf das Selbstbestimmungsrecht von Frauen kommt nun sogar aus dem Zentrum der Macht in Person des Bundesgesundheitsministers Jens Spahn.

Überdies sind Frauen und LGBTI überproportional von Prekarisierung betroffen. Prekarisierung bezeichnet die Entwicklung zu unsichereren Arbeits- und Lebensverhältnissen. Immer mehr Menschen sind in Teilzeit, befristet, in Niedriglohn- oder Leiharbeit beschäftigt. Dies trifft insbesondere auf Frauen zu. Insgesamt verdienen Frauen in Deutschland durchschnittlich 21 Prozent weniger als Männer, was zu Planungsunsicherheit und somit zu enormem Stress führt, der sich auch durch wesentlich niedrigere Renten bis ans Lebensende fortsetzt.

Reproduktive Arbeit (unbezahlte Hausarbeit, Kindererziehung, Kranken- und Altenpflege) wird hierzulande immer noch fast ausschließlich von Frauen übernommen und führt zu psychischer und physischer Doppelbelastung. Unter Alleinerziehenden finden sich ebenfalls fast nur Frauen, die einem besonders belastenden Druck ausgesetzt sind. In den meisten Fällen müssen sie Lohnarbeit nachgehen, um den Lebensunterhalt für ihre Kinder zu sichern. Dann greift jedoch ein besonders perfider gesellschaftlicher Mechanismus: die Erwartung an Mütter, all ihre Zeit und Kraft der Kindererziehung zu widmen. Die Rede von sog. „Rabenmüttern“ bereitet berufstätigen Müttern große Schuldgefühle und führt zu psychischen Leiden, wohingegen Männern dieser Vorwurf nie gemacht wird, nur weil sie berufstätig sind.

Nicht nur sexistisch, auch rassistisch

Doch dessen nicht genug – natürlich ist der Gesetzentwurf auch ein Angriff auf Geflüchtete. Viele von ihnen mussten schon in ihren Heimatländern grauenvolle Erfahrungen machen, die sie in die Flucht trieben. Dazu kommt die lebensgefährliche und traumatisierende Flucht selbst. Hier angekommen werden sie dann in Lager, die v.a. in Bayern eher Gefängnissen gleichen, eingesperrt. Ihre Pässe werden abgenommen und sie sind den Behörden ausgeliefert.

Im Falle schlechter Aussichten auf Gewährung von Asyl leiden sie unter Beschäftigungs- und Perspektivlosigkeit. Eingepfercht in Zimmern mit bis zu sieben anderen, gibt es keinerlei Privatsphäre. Sie erhalten weder Deutschkurse, noch Arbeitserlaubnisse, keine ordentliche medizinische Betreuung und sollen nur noch Sach- statt Geldleistungen erhalten. Die Residenzpflicht sorgt dafür, dass sie aus diesen Lagern nicht herauskommen. An Familienzusammenführung ist nicht zu denken. Gesellschaftlich werden sie komplett isoliert.

Dazu kommt die ständige Angst vor unbegründeten Razzien und vor Abschiebung. Sie befinden sich in einer trostlosen Situation, aus der kein Ausweg sichtbar ist. Dass angesichts dessen etwa die Hälfte aller Geflüchteten an Depressionen leidet, kann kaum verwundern. Nachdem Bayern Geflüchtetenunterkünfte ohnehin schon pauschal als “gefährliche Orte” klassifiziert hat, stigmatisiert sie nun diejenigen, die unter diesen barbarischen Bedingungen psychisch erkranken, direkt als “Gefährder*innen”, was an Zynismus kaum zu überbieten ist.

Ein Gesetzentwurf für die Mülltonne

Der Gesetzentwurf bietet damit keinerlei Unterstützung für Betroffene. Er dient dazu, ohnehin schon marginalisierte Teile der Gesellschaft weiter zu stigmatisieren, zu diskriminieren und auszugrenzen. Alle, die nicht in das Weltbild der CSU-Herren passen, werden durch immer mehr Maßnahmen in ihren Grund- und Freiheitsrechten beschränkt und somit zunehmend unterdrückt. Erkämpfte demokratische Rechte und gesellschaftliche Fortschritte möchte die bayerische Staatsregierung wohl am liebsten rückgängig machen.

Der CSU muss klar gemacht werden, dass sich die Menschen derartige Eingriffe nicht gefallen lassen. Erste Proteste haben schon Wirkung gezeigt, die umstrittensten Aspekte sollen angeblich zurückgenommen werden. Doch das reicht noch nicht. Gegen dieses ungeheuerliche Gesetz muss sich ein ebenso breiter gesellschaftlicher Widerstand entwickeln wie gegen das PAG. Gemeinsam können wir es stoppen!

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