Barcelona: Halbe Million Menschen für die Aufnahme von Geflüchteten

20.02.2017, Lesezeit 6 Min.
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In Barcelona fand am vergangenen Samstag eine der größten Demonstrationen in Europa für die Aufnahme von Geflüchteten statt. Dabei gab es auch wichtige Debatten darüber, was für eine Bewegung wir gegen die Festung Europa brauchen.

Eine blaue Welle aus Demonstrant*innen durchflutete am Samstag die Innenstadt Barcelonas. Unter dem Motto „Wir wollen aufnehmen“ versammelten sich laut Veranstalter*innenangaben bis zu einer halben Milion Menschen, um gegen die rassistische Migrationspolitik der EU und der spanischen Regierung zu protestieren. Aufgerufen hatte das Organisationsbündnis „Unser Haus ist dein Haus“ (Casa Nostra Casa Vostra), eine breite Allianz aus sozialen und politischen Organisationen aus Katalonien.

Die Demonstration führte durch das historische Zentrum bis hin zum Mittelmeerstrand. Noch Stunden, nachdem das von Geflüchteten getragene Fronttransparent den Endpunkt der Route erreichte, befanden sich Hunderte am Ausgangspunkt der Demonstration. „Genug der Ausreden, nehmen wir jetzt auf!“, „Keine weiteren Toten, öffnet die Grenzen!“ waren einige der Forderungen, die auf Schildern hochgehalten und gerufen wurden.

Die Hauptkritik richtete sich an die konservative Zentralregierung von Ministerpräsident Mariano Rajoy. Auf dem Höhepunkt der Geflüchtetenkrise im Herbst 2015 versprach er, im Rahmen des EU-Programms zur Aufteilung der Geflüchteten 16.000 Menschen aufzunehmen. Doch bisher erreichten nur 700 auf diesem Weg den Spanischen Staat.

Außerdem ist der Spanische Staat hauptverantwortlich für die Aufrüstung der Südgrenze der „Festung Europa“. Die Exklaven Ceuta und Melilla auf afrikanischem Gebiet werden mit riesigen Zäunen abgesichert und die Boote, welche die Meeresenge von Gibraltar überqueren oder auf die Kanarischen Inseln gelangen wollen, werden direkt von der Küstenwache zurückgeschickt. Seit 2000 starben mehr als 30.000 Menschen beim Versuch, über das Mittelmeer Europa zu erreichen. Alleine im vergangenen Jahr waren es mehr als 5.000.

Die Organisator*innen greifen die Politik der EU-Regierungen angesichts der größten Fluchtbewegungen seit dem Zweiten Weltkrieg dafür an, die Bewegungsfreiheit der Personen „noch weiter einzuschränken, bis hin zum Schließen der Grenzen, und Europa zu einer Festung“ ausgebaut zu haben.

Die Ankunft erfolgt spärlich und diejenigen, die es schaffen, müssen ihr Leben aufs Spiel setzen und ihr Geld an Organisationen des Menschenschmuggels ausgeben. Wenn sie unsere Dörfer und Städte erreichen, sehen sich mit der Gefahr der Abschiebegefängnisse, der Ausgrenzung und des Rassismus konfrontiert. Diese Politik der EU erhöht die Sterblichkeit und zerstört alle sicheren und legalen Wege [der Flucht].

Angesichts dieser Situation fordert ein Manifest, das mehr als 70.000 Unterschriften erhielt, Katalonien zu einem „Ort der Aufnahme“ zu machen, die „Inklusion und die soziale Entwicklung“ zu fördern, den Artikel 13 der Menschenrechtscharta über die Bewegungsfreiheit von Personen umzusetzen und die „Gründe für Unrecht, strukturelle Gewalt, Krieg und Menschenrechtsverletzungen von Grund auf zu beheben“, die die Ursache für die Migrationsbewegungen darstellen.

Jedoch bleibt das Manifest der Organisator*innen weit hinter den Forderungen der migrantischen und Refugee-Organisationen aus dem Spanischen Staat. Sie erheben schon seit Jahren die Forderung nach der Aufhebung der „Ausländergesetze“, die Illegalisierte in Abschiebefängnisse einsperrt und ihnen grundlegende soziale und demokratische Rechte verwehrt.

Auch wird mit keinem Ton das EU-Programm zur Aufteilung der Geflüchteten kritisiert, dass die Refugees wie Waren unter den verschiedenen Ländern aufteilt, ohne dabei zu beachten, wo sie selbst leben wollen. Schon damals galt dieses Programm als komplett unzureichend angesichts der massiven Ankunft von Geflüchteten und als Feigenblatt einer Politik, die die Abschottung und Aufrüstung der Grenze zum Ziel hatte.

Besonders der letzte Punkt, der die spanische und katalanische Regierung zur Behebung der Fluchtursachen auffordert, gibt den Anschein, als könnten die EU-Regierungen Teil einer Lösung des Problems sein. In Wirklichkeit sind die imperialistischen Besatzungen und Invasionen in Afrika und dem Nahen Osten durch die USA, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, den Spanischen Staat, etc. und ihre regionalen Verbündeten die Hauptursache für die Flucht von Millionen von Menschen.

Weil das Programm der Demonstration so unzureichend war, konnten auch zahlreiche Vertreter*innen des politischen Establishments an ihr teilnehmen. Bis auf die konservative Volkspartei waren alle bedeutenden Parteien auf der Demonstration vertreten und mit der Vizepräsidentin Neus Munté und der „linken“ Bürgermeisterin Ada Colau sowohl die katalanische als auch die barcelonische Regierung anwesend.

Besonders letztere hat sich immer wieder in Gesten und Aussagen auf die Seite der Geflüchteten gestellt. Unter ihr ist Barcelona Teil des Netzes der „Sanctuary Cities“ geworden und hat sich zum Ziel gesetzt, Refugees und Migrant*innen Schutz vor Abschiebungen und Repression zu gewähren. Doch migrantische und regierungskritische Gruppen haben seit Langem auf den Zynismus Colaus hingewiesen, die sich hinter Geflüchtete stellt, die sich Hunderte Kilometer entfernt befinden, während in Barcelona der staatliche Rassismus weiterhin herrscht.

Tatsächlich hat unter der „linken“ Regierung die Repression gegen die illegalisierten Straßenverkäufer*innen weiter zugenommen. Das Rathaus gibt Millionen dafür aus, dass die Polizei jährlich Hunderte dieser migrantischen Verkäufer*innen verfolgt und festnimmt. Außerdem kollaboriert auch Colau mit der Nationalpolizei, die die strengen Asylgesetze durchsetzt und Abschiebungen durchführt.

Das ist auch für Deutschland interessant, wo Zehntausende Geflüchtete von Abschiebungen bedroht sind.

Aktuell haben die Sammelabschiebungen nach Afghanistan zahlreiche rot-grün geführte Landesregierungen sowie die rot-rot-grün regierten Länder Berlin und Thüringen dazu gebracht, über zeitweise Abschiebestopps nachzudenken.

Der Blick nach Barcelona macht aber deutlich, dass eine tatsächliche Politik im Interesse der Geflüchteten und Migrant*innen über wohlwollende Gesten hinausgehen und vor allem die konstante Praxis des staatlichen Rassismus herausfordern muss. Schließlich kann ein Abschiebestopp nur der erste, wenngleich notwendige und wichtige, Schritt sein, um vollständige Rechte und Bewegungsfreiheit für alle durchzusetzen.

Auch auf der Demonstration in Barcelona waren solche kritischen Töne zu hören. Ein Block von antikapitalistischen und migrantischen Organisationen kritisierte die Beteiligung der Regierung und machte sie für die Repression gegen Geflüchtete und Migrant*innen verantwortlich. Die Gruppe Clase contra Clase, Schwesterorganisation von RIO im Spanischen Staat, war mit einem Transparent anwesend, dass „Offene Grenzen, Gegen den Imperialismus, Weder Einwanderungsgesetze, Abschiegefängnisse noch Repression gegen Straßenverkäufer*innen“ forderte.

Die Demonstration war die bisher größte Mobilisierung in Solidarität mit Geflüchteten in Europa. Besonders im Kontext des internationalen Rechtsrucks und angesichts der zu erwartenden Erfolge für fremdenfeindliche Parteien bei den Wahlen in den Niederlanden, Frankreich und Deutschland war sie ein deutliches Zeichen, dass Hunderttausende Arbeiter*innen und Jugendliche den rassistischen Plänen der „Festung Europa“ Widerstand leisten werden. Die Debatten um und auf der Demonstration machen zudem deutlich, wie notwendig eine konsequente Bewegung gegen die imperialistische Politik der europäischen Regierungen und für offene Grenzen ist.

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