„Armes Mexiko – so nah an den USA“

23.01.2017, Lesezeit 4 Min.
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Beim Nachbarn im Süden ist nicht nur der neue Mann in Washington verhasst. Zorn gilt auch dem Vorgänger.

„Armes Mexiko“ rief der mexikanische Präsident Porfirio Díaz vor mehr als hundert Jahren, „so fern von Gott und so nah an den USA.“ Noch heute stehen die Mexikaner*innen unter dem ständigem Druck ihres großen Nachbarn im Norden – und erst recht, seitdem Donald Trump mit antimexikanischer Hetze die Wahlen gewann.

Am Freitag Nachmittag – der 45. US-Präsident war erst seit fünf Stunden im Amt – versammelten sich 2.000 Menschen vor der US-Botschaft in Mexiko-Stadt. „Nieder mit der Mauer!“ schallt es von einem alten Linienbus, der zum Lautiwagen umfunktioniert war. „Heute protestieren in mehr als 50 Ländern Menschen gegen den obersten Frauenfeind der Welt“, rief die feministische Aktivistin Xara Almonte ins Mikrofon.

Organisationen aus den Armenvierteln und sozialistische Gruppen hatten zur Demonstration aufgerufen. Nachdem Trump mexikanische Einwanderer zu seinem Wahlkampfauftakt als „Vergewaltiger“ bezeichnet hatte, hätte man noch mehr Protestierende erwarten können, aber die mexikanische Linke ist zersplittert. Kurz nach 16 Uhr zieht die Demonstration los – und um 17 Uhr versammeln sich erneut 200 Menschen am gleichen Ort für eine Anti-Trump-Kundgebung eines Gewerkschaftsdachverbands.

„Seit 20 Tagen erleben wir Mobilisierungen im ganzen Land gegen die Benzinpreiserhöhung„, erzählt Alejandro Viadas. Die anlaufende Privatisierung des staatlichen Ölkonzerns PEMEX und die Amtseinführung des nationalistischen Milliardärs in den USA sind für viele Mexikaner*innen zwei Seiten einer Medaille. Unter ihrem Präsidenten Enrique Peña Nieto geht der Ausverkauf des Landes voran. „Trump und Peña Nieto sind nicht unsere Präsidenten“, so Viadas, „und Arbeiter*innen auf beiden Seiten der Grenze werden die Mauer niederreißen.“

Trump will die mexikanische Regierung für die Grenzmauer zahlen lassen – mehrere dutzend Milliarden US-Dollar könnte das kosten. Auch wenn zahlreiche mexikanische Politiker*innen eine solche Zahlung kategorisch ausgeschlossen haben, so zeigte eine Umfrage der Tageszeitung La Reforma, dass bis zu 35 Prozent der mexikanischen Bürger*innen davon ausgehen, dass ihre Regierung am Ende doch zahlen wird.

Die Spitze der Demonstration führt jemand mit einem orangenen Trump-Kopf aus Pappmaché an. Neben der Riesenpuppe laufen Menschen mit Masken von Barack Obama und Hillary Clinton. Denn hier ist der demokratische Ex-Präsident nicht weniger verhasst als sein republikanischer Nachfolger. Obama hatte in seinen zwei Amtszeiten fast drei Millionen Menschen aus den USA abgeschoben. „Beide Parteien des Kapitals sind unsere Klassenfeinde“, erklärt der Hochschuldozent Sergio Moissen in einer Rede.

An Obamas letztem Arbeitstag kommen 135 Abgeschobene in Mexiko-Stadt an. Der Obstverkäufer Adrian Poncé, der 12 Jahre in New York gelebt hatte, hinterließ zwei kleine Kinder in den USA, wie er gegenüber der Presse erklärte. Trump wird diese Abschiebungen fortsetzen.

„US-MX Solidarity“ steht auf einem weißen Transparent, und dahinter laufen 50 US-Amerikaner*innen mit englischsprachigen Schildern. Die „Expats“ treffen sich jeden Monat, um Solidarität gegen Trump zu zeigen – der Organisator, Theo Di Castri, ist aber in Wirklichkeit Kanadier. Er hütet sich davor, Aussagen zur Stimmung in Mexiko zu machen, da ein Gesetz jegliche politische Aktivität von Ausländer*innen verbietet. Eine Mitstreiterin ist redseliger: „Die Menschen hier haben eine starke antiimperialistische Stimmung“, erklärt die US-amerikanische Journalistin Andrea Penman-Lomeli, „und empören sich darüber, dass ihre Regierung die USA besänftigt“. Aber diese Stimmung wendet sich nicht gegen US-amerikanische Bürger*innen: „Man sieht, dass wir solidarisch sind.“

Als die Demonstrant*innen am zentralen Zócalo-Platz ankommen, liegt die Stadt schon im Dunkeln. Der Trumpf-Kopf wird auf dem Asphalt angezündet. Die Flammen beleuchten die Fassade des Nationalpalasts. Hunderte Jugendliche stehen um das brennende Bildnis und rufen: „Yankees raus aus Lateinamerika!“

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