Argentinien: Erster landesweiter Streik gegen die Kürzungen

29.02.2016, Lesezeit 7 Min.
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Der argentinische Präsident Mauricio Macri stand am 24. Februar der ersten großen Mobilisierung gegen Entlassungen, Kürzungen und sein „Anti-Streikposten-Protokoll“ gegenüber.

Etwas läuft schief für Mauricio Macri

Mauricio Macri, der argentinische „Präsident der Unternehmer“, hat bisher nicht den Erwartungen entsprochen, die seine Regierung auf wirtschaftlicher Ebene geschaffen hatte. Trotz der Entwertung und der Aufhebung der Devisenbeschränkung schafft die Wirtschaft es nicht, sich zu stabilisieren – ihr schlagen die stürmischen Winde der Weltwirtschaft entgegen.

Das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen von Oktober 2015 in Argentinien reiht sich in den Rechtsruck der regionalen Situation in Südamerika ein: Alle sogenannten „progressiven“ Regierungen im Stil von Cristina Kirchner, Maduro in Venezuela und Evo Morales in Bolivien haben Wahlniederlagen einstecken müssen. In Brasilien verschleißt sich die Regierung von Dilma Rousseff, die aktuell ein neoliberales Kürzungsprogramm durchsetzt, immer schneller – aufgrund der Korruptionsskandale und der Drohungen von rechts, ein Amtsenthebungserfahren durchzuführen.

Die „Hoffnung“ Macris wurzelt darin, die vom vorherigen Zyklus geerbte niedrige Verschuldung zu nutzen, um eine neue Periode der Verschuldung einzuläuten und die lahme Wirtschaft zu reaktivieren. Bis jetzt hat Macri getreu seines Profils als „Regierung der CEOs“ gehandelt und per Dekret Gesetze im Sinne der Konzerne und Bosse eingeführt: Zusätzlich zu der Entwertung und der Inflation, die die Löhne der Arbeiter*innen drücken, begann er einen Prozess massiver Entlassungen in der öffentlichen Verwaltung. Und auch wenn er den Großgrundbesitzer*innen Steuervorteile strich, setzte er im Gegenzug eine massive Strompreiserhöhung durch, die in einigen Fällen bis zu 900 Prozent erreicht. Demgegenüber hat er bisher keine einzige Maßnahme im Sinne der armen Massen durchgeführt.

Zusätzlich zu den Entlassungen und Suspendierungen – die laut den Beschäftigten im öffentlichen Dienst schon die Zahl von 25.000 Menschen erreicht haben – verabschiedete das Sicherheitsministerium ein „Protokoll zum Handeln der Sicherheitskräfte des Staates bei öffentlichen Demonstrationen“, welches die demokratischen Freiheiten beschneidet, die in der Vergangenheit durch die Mobilisierung auf den Straßen erlangt wurden. Noch testet die Regierung aus, wie weit sie gehen kann, aber schon jetzt reizen die unternommenen Schritte das Wespennest.

Etwas läuft schief für Mauricio Macri. Die Verabschiedung des „Protokolls“ hat die Ablehnung breiter Sektoren von Intellektuellen, Kulturschaffenden, Menschenrechtsaktivist*innen und der Linken erfahren. Der Bildungsminister der neuen Regierung, der für die Verhandlung der Lohnerhöhungen für die Lehrer*innen verantwortlich ist, kündigte eine „sehr große“ Erhöhung an. Das wäre ein Signal für die Lohnverhandlungen aller Arbeiter*innen mit Tarifverträgen. Macri beeilte sich, den Vorschlag des Bildungsministers zu dementieren, aber musste unter dem Druck der Lehrer*innengewerkschaft zurückrudern, die zu einem landesweiten Streik aufrief. Viele Analyst*innen ziehen schon Parallelen zwischen der Macri-Regierung und den ersten Jahren der Regierung des „großen Privatisierers“ Carlos Menem. Dieser nutzte in den 90er Jahren die Hyperinflation der letzten Jahre der Regierung von Raúl Alfonsín aus, um durch Privatisierungen die Errungenschaften und die Organisationen der Arbeiter*innen zu zerschlagen. Jedoch rollte in jenen Jahren die neoliberale Offensive durch den gesamten Kontinent und die Welt.

Die Auswirkungen des „Ende des ökonomischen Zyklus‘“ lassen sich immer stärker in den Taschen der Arbeiter*innen spüren, besonders im öffentlichen Dienst, wo die ersten Schläge der neuen Regierung landeten. Auch wenn die Antwort auf die Angriffe der Regierung sich noch nicht verallgemeinert hat, hat die Vereinigung der Staatsangestellten (Asociación de Trabajadores del Estado (ATE)) – die in einem Teil von einem Sektor des Kirchnerismus angeführt wird, während ein anderer Teil in der Opposition zum Kirchnerismus stand, wo die (radikale) Linke ein großes Gewicht hat –, für den 24. Februar zum ersten landesweiten Streik gegen die neue Regierung aufgerufen. Die Front der Linken und der Arbeiter*innen (FIT), besonders die Partei Sozialistischer Arbeiter*innen (PTS, Schwesterorganisation der Revolutionären Internationalistischen Organisation), nahm aktiv an dem Streik teil.

Die radikale Linke gewinnt auf landesweiter Ebene an Einfluss

Das andere elektorale Phänomen, welches bei den argentinischen Präsidentschaftswahlen alle überrascht hat, waren die eine Million Stimmen, die die Kandidatur des jungen Nicolás del Caño und Myriam Bregman von der Partei Sozialistischer Arbeiter*innen innerhalb der FIT. Del Caño erlangte viel Sympathie aufgrund seiner scharfen Ablehnung der kommenden Kürzungen und weil er den Wähler*innen versprach, in den kommenden Kämpfen dabei zu sein und in der ersten Reihe des Widerstands gegen die neoliberalen Angriffe zu stehen.

Die Präsidentschaftswahlen positionierten sich die radikale Linke als Akteurin der nationalen politischen Bühne, wie auch die Berichterstattung vom Streiktag aus den großen Medien zeigt. Sogar so weit, dass – angesichts der „samtenen Opposition“ von Sektoren des Kirchnerismus – die einzige ernstzunehmende politische und soziale Opposition, sich in Argentinien als Triebfeder eines wirklichen kämpferischen Widerstands gegen Macri zu etablieren, die radikale Linke ist.

Der Weg des Widerstands

Der Aktionstag gegen Entlassungen und gegen die Kriminalisierung des sozialen Protests, den ATE am 24. Februar ausgerufen hatte, begann um 7:30 Uhr mit einer Blockade von 1000 Personen an der Kreuzung der Straßen Corrientes und Callao im Zentrum von Buenos Aires. Angeführt wurde diese Blockade von Arbeiter*innen des öffentlichen Dienstes verschiedener Behörden, die Teil der kämpferischen Opposition (Klassenkämpferische Gruppierung Marrón) innerhalb von ATE sind, und der Partei Sozialistischer Arbeiter*innen. Auch unabhängige gewerkschaftliche Gruppierungen und andere Organisationen nahmen daran teil. Die Blockade war eine offene Herausforderung gegen das „Anti-Streikposten-Protokoll“ der Sicherheitsministerin Patricia Bulrich und forderte die Gewerkschaftsführung von ATE dazu auf, einen ernsthaften Kampfplan aufzustellen, der die tausenden Entlassungen im Staat beendet. Das Versprechen der Kampagne von Nicolás del Caño, die Arbeiter*innen gegen die Entlassungen und die Repression auf der Straße zu begleiten, wurde hier umgesetzt – nicht nur mit seiner Anwesenheit, sondern mit der Präsenz von Abgeordneten und Referent*innen der FIT wie Myriam Bregman, Patricio del Corro, Christian Castillo, und den U-Bahn-Arbeiter Claudio Dellecarbonara, alle von der PTS.

Wenn Macri die Vorhut des Rechtsruck in Südamerika ist, ist der Streiktag am 24. Februar in Argentinien, der einen landesweiten Streik im öffentlichen Dienst und auch eine große Mobilisierung von 20.000 Personen zum Plaza de Mayo in Buenos Aires beinhaltete, eine erste Schlacht des Widerstands, um Kräfte zu akkumulieren und eine starke Reaktion der Arbeiter*innen und der Jugend gegen die Angriffe zu verallgemeinern.

Er ist auch ein Beispiel auf regionaler Ebene für die Arbeiter*innen, die in Brasilien, Uruguay, Bolivien und Venezuela immer stärker die Schwankungen des „Endes des Zyklus“ spüren werden. Als Teil dieses Weges führte die Bewegung Revolutionärer Arbeiter*innen (Movimento Revolucionário de Trabalhadores, MRT) – Schwesterorganisation von RIO in Brasilien – gemeinsam mit den kämpferischen Arbeiter*innen der Fabrik Mabe am 23. Februar eine große Blockade der wichtigsten Autobahn des Industriegebiets von Campinas in der Nähe von Sao Paulo durch. Wie in Argentinien ist dieser Kampf in der ersten Reihe des Widerstands gemeinsam mit Arbeiter*innen auch damit verbunden, die Linke und besonders die Gewerkschaftsführungen energisch dazu aufzufordern, den Waffenstillstand oder den reinen Diskurs zu beenden und endlich ihre Muskeln zu nutzen, um den kommenden Angriffen zu trotzen.

Diese ersten Schritte markieren den Weg des Widerstands auf regionaler Ebene. Im Dienste der Begleitung dieser Kämpfe und gerade als eine Triebfeder des ideologischen, politischen, sozialen Widerstands und des Klassenkampfes auf regionaler Ebene gegen den Rechtsruck steht das internationale Netz digitaler Tageszeitungen La Izquierda Diario in Spanisch, Englisch, Portugiesisch, Französisch und Deutsch.

Dieser Artikel bei La Izquierda Diario

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